Ausstellung “Marcel Reich-Ranicki: Sein Leben”

Frankfurt zeigt:

“Marcel Reich-Ranicki: Sein Leben in unbekannten Fotos und Dokumenten”

Gemeinsam mit Wolfgang Schopf habe ich die oben in voller Titelschönheit genannte Ausstellung zusammengestellt. Oder um es mit dem Modewort der Saison zu bezeichnen: Wir haben sie kuratiert. Eröffnung ist am kommenden Donnerstag 28. Mai, 19 Uhr.

Gezeigt werden rund 200 bislang unveröffentlichen Fotos und Dokumente aus dem Besitz von Andrew Ranicki, dazu Materialien der Reich-Ranicki Forschungsstelle in Marburg, des Deutschen Literaturarchivs in Marbach, Reich-Ranickis Sammlung mit Schriftsteller-Porträts (aus dem Jüdischen Museum Frankfurt), sein Schreibtisch samt Lesesessen (Historisches Museum Frankfurt) und etliche andere gedruckte oder auch ungedruckte Inkunablen.

Hier die Ausstellungsdaten:

Marcel Reich-Ranicki
Sein Leben in unbekannten Fotos und Dokumenten.
Eine Ausstellung des Literaturarchivs der Goethe-Universität.
Vom 29. Mai bis 30. Juni
Literaturarchiv der Goethe-Universität
Dantestr. 9, 60325 Frankfurt am Main
Montags bis Freitags 15 – 19 Uhr
Samstags bis Sonntags 11 – 20 Uhr

Eröffnung am 28. Mai um 19:00 Uhr
Wer an der Eröffnung teilnehmen will, kann sich anmelden unter:
Tel: 069-798 22 71
Mobil: 0173 470 26 12
w.schopf@lingua.uni-frankfurt.de

 

Dazu gibt es ein dreistufiges Begleitprogramm:

2. Juni, 19:30 Uhr
Glückwunsch Marcel
Eva Demski und Ex-OB Petra Roth erinnern sich
am 95. Geburtstag von Marcel Reich-Ranicki
an den persönlichen Freund und großen Frankfurter
Moderation: Andreas Platthaus (FAZ)

15. Juni 2015, 19:30 Uhr
Lesung
Joachim Kersten und Wolfgang Schopf lesen aus
Marcel Reich-Ranicki und Peter Rühmkorf: Der Briefwechsel

26. Juni 2015, 19:30 Uhr
Marcel Reich-Ranicki: Der Kritiker
Ina Hartwig, Martin Lüdke, Hubert Spiegel und Uwe Wittstock diskutieren über die Leistungen eines Kollegen

 

 

Veröffentlicht unter Personen | Verschlagwortet mit , , | 2 Kommentare

Interview über “Marcel Reich-Ranicki. Die Biographie”

“Reich-Ranicki war ein Volkstribun”

Im Journal Frankfurt ist jetzt ein Interview des Literaturkritiker-Kollegen von Christoph Schröder mit mir über meine Biographie Marcel Reich-Ranicki (Blessing Verlag) erschienen. Was mich naturgemäß freut. Das bislang unpublizierte Foto, mit dem das Magazin den Artikel illustriert hat, stammt aus der Fotosammlung von Andrew Ranicki, die vom 28. Mai bis 30. Juni im Ausstellungsgebäude der Universität Frankfurt, Dantestraße 9, unter dem anspielungsreichen Titel “Sein Leben” zu sehen sein wird. Hier als JPGs die beiden Interview-Seiten aus dem Journal Frankfurt.

 

 


Veröffentlicht unter Personen, Über Bücher | Verschlagwortet mit | Hinterlasse einen Kommentar

Buch & Bar (14): Klaus Modick “Konzert ohne Dichter”

Wer Dichter ist, muss wie Dichter aussehen

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

Heute: Über zuckersüßes Lesen und heilsam bitteres Trinken

Schriftsteller vollbringen ihre größten Kunststücke am Schreibtisch allein und im Sitzen. Ein Anblick, der, seien wir ehrlich, nicht gerade das Blut in den Adern gefrieren lässt. Manche Autoren leiden darunter: Da machen sie auf dem Papier die tollsten Sachen, aber

Klaus Modick: "Konzert ohne Dichter". Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015. 17,99 Euro

keiner sieht es ihnen an. Sie möchten, selbst wenn ihre Arbeit so unauffällig daherkommt, gern auch mal ein wenig auffallen.

Von solchen kleinen Eitelkeiten großer Künstler erzählt Klaus Modick unter anderem in seinem glänzenden Roman Konzert ohne Dichter (Kiepenheuer & Witsch, 17,99 Euro): Als Rilke noch recht jung war, trug er gern rote Stiefelchen samt Bauernkittel, die er aus Russland mitgebracht hatte. In Worpswede traf er um 1900 das Jugendstil-Allroundtalent Heinrich Vogeler, der sich als biedermeierlicher Bohemien verkleidete mit Stehkragen, Weste, Schoßrock und Zylinder. Klingt reichlich affig, zugegeben, aber für die Karriere war’s nützlich: Denn wer wie ein Künstler aussieht, erweckt bei vielen Leuten leicht auch den Eindruck, alles was er macht, sei tatsächlich Kunst.

Dabei war, was Rilke damals schrieb, reichlich süßlicher Kram, man konnte es mit bloßem Auge von Kitsch kaum unterscheiden. Deshalb ist es nur gut, wenn Klaus Modick seinen Rilke und seinen Vogeler auf einer Italienreise einen „erstklassigen Kräuterliqueur“ trinken lässt. Den hat man nach der Lektüre von ein paar frühen Rilke-Gedichte auch dringend nötig. Ich würde Averna empfehlen, einen kräftigen, aber eleganten Magenbitter aus Sizilien. Er kann Wunder wirken, wenn literarisches Sodbrennen droht.

Die Kolumne erschien im Focus vom 4. April 2015. 
2014 startete meine Kurz-Kolumne Buch & Bar im Focus. Sie ist schon deshalb unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.
Veröffentlicht unter Buch & Bar, Personen | Verschlagwortet mit , , | Hinterlasse einen Kommentar

Buch & Bar (13): Martin Suter “Montecristo”

Ein Märchen in den Zeiten der Finanzkrise

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

Heute: Über herrlich harmloses Lesen und Trinken

Lesen Sie öfter mal die Nummern auf ihren Geldscheinen? Nein? Sollten Sie aber. Wahrhaft werthaltige Textzeilen, deren Poesie ganz neue Lebensperspektiven eröffnen können. Jonas Brand zum Beispiel, von Beruf verdrossener Video-Journalist und fröhlicher Romanheld in Martin Suters neuem Bestseller „Montecristo“, liest zweimal

Martin Suter: "Montecristo". Roman. Diogenes Verlag, Zürich. 23,90 Euro

die gleiche Nummer auf zwei verschiedenen Scheinen, und schon wird er auf offner Straße überfallen, seine Wohnung durchwühlt, ein Freund ermordet und für Brands aussichtsarmes Kinoprojekt urplötzlich ein Millionenbudget bewilligt.

Auf den ersten Blick tut Martin Suters Krimi so, als wolle er eine realistische Geschichte erzählen über unsere finanzkriselnden Zeiten, in denen die Banken Geld drucken wie nichts Gutes. Aber auf den zweiten Blick strotzt die Geschichte vor realitätsfernen Zufällen, wie es sie nur im Märchen gibt. Also habe ich mich beim Lesen schon bald entspannt zurückgelehnt, denn Märchen gehen bekanntlich immer gut aus. Das Buch verspricht nicht mehr als ein harmloses Vergnügen und genau das liefert Suter dann auch ab. Seltsamerweise nehmen ihm das manche Literaturkritiker, die selbst zumeist ein komplett harmloses und hoffentlich vergnügtes Leben führen, gern mal übel.

Das harmloseste Getränk, das ich kenne, ist die Weißweinschorle: kostengünstig, niedriger Alkoholgehalt, anspruchslose Zutaten, leicht zu mischen. Das soll nicht verächtlich klingen. Denn an den heißen Sommerabenden, wie sie jetzt bestimmt ! sehr !! bald !!! auf uns zukuommen, ein prima Durstlöscher. Jawohl, auch die Weißweinschorle hat ihr Existenzrecht! Nur wer unter euch ohne Getränkesünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.

Die Kolumne erschien im Focus vom 28. März 2015. 
2014 startete meine Kurz-Kolumne Buch & Bar im Focus. Sie ist schon deshalb unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.
Veröffentlicht unter Buch & Bar | Verschlagwortet mit | Hinterlasse einen Kommentar

Buch & Bar (12): Rainer Moritz “Wer hat den schlechtesten Sex?”

Wenn die Körper läuten wie Kathedralen

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

Heute: Über fabelhaft sinnbefreites Lesen und Trinken

Body-Talk. Was zwei Körper sich zu sagen haben, wenn sie unter einer Decke stecken, kann betörend sein und unvergesslich. Doch diesen Dialog der Leiber in annähernd so betörende Worte zu übersetzen, zählt zu den heikelsten Aufgaben der Weltliteratur. Selbst meisterhafte Dichter scheitern erstaunlich oft daran. Das Problem ist alt und über die Gründe wird gern spekuliert.

Rainer Moritz: "Wer hat den schlechtesten Sex? Eine literarische Stellensuche". DVA, München 2015. 17,99 Euro

Rainer Moritz spekuliert kräftig mit in seinem ebenso klugen wie komischen Buch „Wer hat den schlechtesten Sex?“. Für Heiterkeit sorgen vor allem natürlich die Zitate missratener Sex-Passagen namhafter Autoren. Etwa diese wunderbar sinnfreien „wie“-Vergleiche beim literarischen Liebesspiel: „Sie umhüllte ihn wie warmer Moornebel.“ Oder: „Dann brach mein Körper wie eine Kathedrale in Geläut aus.“ Oder: „Die Stille war überall, und er kam wie ein trinkendes Pferd.“ Willkür und Wahnsinn reichen sich hier traulich die Hände.

„Beer drinkers make better lovers“, sagt der britische Volksmund. Ich habe meine Lieblingsärztin, mit der ich angenehmerweise verheiratet bin, gefragt, was von dieser Behauptung aus medizinischer Sicht zu halten ist. Ihre Antwort war eindeutig und nicht zitierfähig. Dennoch scheint mir ein Glas Bier, oder besser noch: scheinen mir zwei, drei Gläser davon, die ideale Ergänzung zu diesem Buch zu sein. Denn Bier entspannt und macht das Urteil milder. Schriftsteller, die sich an Sex wagen – im literarischen Sinne natürlich – , werden dafür dankbar sein.

Die Kolumne erschien im Focus vom 14. März 2015. 
2014 startete meine Kurz-Kolumne Buch & Bar im Focus. Sie ist schon deshalb unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.
Veröffentlicht unter Buch & Bar, Über Bücher | Verschlagwortet mit | Hinterlasse einen Kommentar

2 unbekannte Telegramme von Marcel Reich-Ranicki

 ”Ich bin am Leben” und andere Familienpost

Für die erste vollständige Biografie Marcel Reich-Ranickis hat mir sein Sohn Andrew Ranicki über 200 Dokumente und Fotos aus privaten Alben zur Publikation anvertraut. Die Materialien haben das Bild vom Leben seiner Eltern verändert und anschaulicher gemacht. Das Buch Marcel Reich-Ranicki. Die Biographie erschien am 24. April im Blessing Verlag, München (19,99 Euro). Am 28. Mai sollen diese Materialien in der von Wolfgang Schopf und mir kuratierten Ausstellung „Sein Leben“ in Frankfurt (Dantestr. 9) zum ersten Mal öffentlich gezeigt werden. Hier möchte ich vorab zwei Telegramme von Marcel Reich-Ranicki aus dem Jahr 1945 an seine Schwester Gerda Böhm in London vorlegen.

Wie sagt man, wenn man überlebt hat? Wie schreibt man der eigenen Schwester, dass man davongekommen ist? Davongekommen nach fünf Jahren, in denen man täglich ermordet werden konnte, genauer: täglich ermordet werden sollte?

Uwe Wittstock: "Marcel Reich-Ranicki. Die Biographie". Blessing Verlag, München 2015. 19,99 €

Am 26. Mai 1945 musste Marcel Reich, der später unter dem Namen Marcel Reich-Ranicki zu einem der mächtigsten Journalisten Deutschlands wurde, in Warschau eine Antwort auf diese Frage finden. Er war 24 Jahre alt.

Ein paar Tage zuvor hatten die deutschen Truppen kapituliert, der Krieg war vorbei, Hitler besiegt. Doch noch immer blieb die Kommunikation über Ländergrenzen – besser: Frontverläufe – hinweg, weitgehend dem Militär vorbehalten. Deshalb fand sich nur unter größten Schwierigkeiten eine Chance, ein Telegramm ins Ausland zu schicken. Ein erstes Lebenszeichen.

Man darf sich das Warschau von 1945 nicht als Stadt mit ein paar Kriegsschäden vorstellen. Nach dem polnischen Aufstand gegen die deutschen Besatzer im Jahr zuvor, hatten Sprengkommandos die Stadt auf Hitlers Befehl systematisch zerstört. Straßenzug um Straßenzug war in Geröllhalden verwandelt worden. Warschau galt als unbewohnbar, als buchstäblich zermalmt. Fachleute rieten, das Trümmerfeld abzutragen und die Stadt an anderem Ort neu zu errichten.

Ein winziges Foto aus diesem Jahr zeigt den jungen Marcel Reich-Ranicki in polnischer Uniform mit Freunden zwischen dem, was vom Warschauer Ghetto geblieben war: Schutt, lose Steine, ein paar Balken, ein zersplitterter Fensterrahmen.

Seine Schwester Gerda hatte es im Juli 1939 noch geschafft, zusammen mit ihrem Mann Gerhard Böhm aus Berlin nach London zu fliehen. Falls sich an ihrer Adresse in Hampstead Hill nichts geändert hatte, konnte ein Telegramm sie erreichen.

Wie schreibt man, dass man überlebt hat? Reich-Ranicki tat es so nüchtern wie möglich: „I am alive“. Dann fügte er, obwohl so viel Entsetzliches zu berichten gewesen wäre, zwei positive Nachrichten hinzu: Er sei verheiratet mit Teofila Langnas (die Ehe wird fast 69 Jahre bis zu Teofilas Tod 2011 halten), und er arbeite nun für ein Ministerium. Und bittet um rasche Antwort.

Erste Lebenszeichen nach Jahren der Lebensgefahr: Marcel Reich-Ranickis Telegramme vom 26. Mai 1945 und vom 19. Juni 1945 an seine Schwester Gerda Böhm in London

Diese Antwort Gerda Böhms an ihren Bruder ist nicht erhalten geblieben. Wohl aber ein zweites erschütterndes Telegramm Reich-Ranickis an seine Schwester, das er erst fünf Wochen später, Ende Juni 1945, abschicken konnte. Nun gab es für ihn keine Möglichkeit mehr, ihr die heillosen Familiennachrichten zu ersparen. Ihre Eltern, so teilte er ihr in nur neun knappen Telegramm-Worten mit, sind im September 1942 im Vernichtungslager vergast, ihr Bruder Alexander ein Jahr später ermordet worden.

Vielleicht hat die Botschaft Gerda Böhm trotz allem nicht ganz unvorbereitet getroffen und ihr nur eine letzte traurige Gewissheit verschafft. Denn die so kurze wie sachliche Nachricht „I am alive“ hat, sobald man über sie nachzudenken beginnt, eine finstere Seite. In dem Satz „Ich bin am Leben“ musste für Reich-Ranickis Schwester bereits ein viel sagendes Schweigen über die Eltern und den Bruder anklingen. Sie wird dieses Schweigen, nach den langen Jahren ohne jede Nachricht von ihrer Familie in Polen, wohl nicht überhört haben.

 

Veröffentlicht unter Personen, Über Bücher | Verschlagwortet mit | Hinterlasse einen Kommentar

Buch & Bar (11): F. Scott Fitzgerald “Der große Gatsby”

Offen scheitern oder heimlich siegen

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

Heute: Über zauberhaft beflügelndes Lesen und Trinken

Manche Romane drohen regelrecht hinter ihrem eigenen Ruhm zu verschwinden. Sie sind dermaßen bekannt, dass es gar nicht mehr nötig erscheint, sie zu lesen. Der große Gatsby (Diogenes, 9,90 Euro) wurde schon fünf(!)mal verfilmt, inzwischen glaubt jeder genau zu wissen, worum es geht: leichte Feste, rauschende Mädchen und Leo DiCaprio mit Gel im Haar. Ist auch völlig richtig so, aber eben nicht das ganze Vergnügen.

F. Scott Fitzgerald: "Der große Gatsby". Übersetzt von Bettina Abarbanell. Dogenes Verlag, Zürich 2012. 9,90 Euro

F. Scott Fitzgerald, den die nicht immer verständnisvolle Nachwelt F. „Scotch“ Fitzgerald taufte, hat seiner Geschichte eine leichtfüßige und bissige Ironie verliehen, die einen beim Lesen beflügelt wie ein guter Drink. Klar, am Schluss scheitert die romantische Sehnsucht des Liebhabers Gatsby naturgemäß an den rauen Klippen einer komplett banalen Realität. Ist ja immer so. Aber die zauberhaft schwebende Ironie Fitzgeralds scheitert eben nicht. Sie ist bis heute frisch und jung im Buch eingefangen und also eine heimliche Siegerin, denn neben ihr sieht die banale Realität ganz schön alt aus.

In der DiCaprio-Verfilmung balancieren alle immerzu wohlgefüllte Champagnerkelche, ich weiß. Aber im Roman trinken sie Highballs gegen den Durst. Denn im Gatsby-Sommer 1922 ist es tropisch heiß. Der klassische Highball besteht aus Scotch und Soda: erst Eis in ein schlankes Glas, dann Whisky drüber und mindestens die doppelte Menge Soda hinterher. Umrühren braucht man nicht, das besorgen die Soda-Bläschen. Ein Toast auf „Thirsty“ Fitzgerald – wie ihn seine Mitwelt nannte.

Die Kolumne erschien im Focus vom 7. März 2015. 
2014 startete meine Kurz-Kolumne Buch & Bar im Focus. Sie ist schon deshalb unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.
Veröffentlicht unter Buch & Bar | Verschlagwortet mit | Hinterlasse einen Kommentar

Kleine Nachlieferung zur Biographie “Marcel Reich-Ranicki”

Günter Grass, Reich-Ranicki und der Regenschirm-Mord

Heute erreichte mich eine Zuschrift eines Lesers zu einem Kapitel meiner Biographie Marcel Reich-Ranicki, das sich mit dem Verhältnis zwischen Günter Grass und Reich-Ranicki beschäftigt. Diese Zuschrift ist wohlinformiert und verlangt eine kleine Nachbesserung zu meinem Buch – die ich hiermit liefern möchte:

Im Buch berichte ich von dem Gespräch, das ich am 8. Juli 2004 mit Günter Grass über Reich-Ranicki führte und auf Tonband aufnahm. Unter anderem bat ich Grass, mir von seiner ersten Begegnung mit Reich-Ranicki 1958 in Warschau zu erzählen. Beide Beteiligte waren damals noch weitgehend unbekannt: Grass hatte einen ersten Lyrikband Die Vorzüge der Windhühner (1956) veröffentlicht und arbeitete an der Blechtrommel, die 1959 erscheinen sollte. Reich-Ranicki hatte 1958 zwar schon acht Jahre als Kritiker in Polen gearbeitet. Doch im Westen war sein Name als Kenner vornehmlich der deutschen Literatur bislang nur wenigen Fachleuten ein Begriff.

Schon dieses erste Aufeinandertreffen der beiden selbstbewussten und streitlustigen Männer verlief nicht spannungsfrei. Reich-Ranicki wollte offenbar ausschließlich über Literatur reden. Grass hatte keine große Lust, sich einem “Verhör” über literarische Themen zu unterziehen und reagierte “frech” auf die hartnäckigen Fragen Reich-Ranickis. Beide merkten, dass sie wenig Freude an dem Gespräch hatten und kürzten das Treffen ab. Also schrieb ich in meiner Biographie unter anderem:

“Wenig später hätten sich die beiden getrennt – doch Grass habe, erzählt er weiter, kurz darauf einen Anruf jenes Freundes erhalten, der den Kontakt zu Reich-Ranicki hergestellt hatte und der ihn nun am Telefon konsterniert fragte: ‘Was hast Du denn mit dem Ranicki angestellt? Der hat mich eben angerufen und hat gesagt: Pass auf, das ist kein deutscher Schriftsteller, das ist ein bulgarischer Agent.’ Und bulgarische Agenten hatten zu jener Zeit einen sehr speziellen Ruf, denn kurz zuvor hatten Angehörige des bulgarischen Geheimdienstes in London mit einem Regenschirm, dessen Spitze vergiftet war, einen Mord begangen, der weltweites Aufsehen erregt.”

Diese Stelle fiel Mark Schultheiß auf und er schickte mir dazu eine Email in der es unter anderem heißt:

“Das Regenschirmattentat fand jedoch 1978 statt, die Begegnung zwischen Grass und Reich-Ranicki glatte 20 Jahre früher. Ob der Ruf des ‘bulgarischen Agenten/Partisans’ nicht aus der Kombination einer gewissen bäurischen Rückständigkeit des damaligen Bulgarien sowie dessen extrem devoter Haltung gg. der UdSSR, die in den anderen Ostautokratien so massiv nicht stattfand, gerade in Polen nicht, zu Stande kam?”

Tatschächlich hat, wie ich per Google schnell feststellen konnte, Mark Schultheiß recht und der berühmte Regenschirmmord 1978 in London stattgefunden. Inzwischen gilt er als aufgeklärt. Er wurde am 7. September 1978 vom bulgarischen Geheimdienst mit Unterstützung des sowjetischen KGB verübt. Das Opfer war Georgi Markow, ein regimekritischer Autor und Emigrant aus Bulgarien, der in London für die BBC arbeitete. Der bulgarische Staats- und Parteichef Todor Schiwkow fühlte sich durch satirischen Bemerkungen Markows buchstäblich tödlich beleidigt und gab den Mord in Auftrag. Markow wurde auf offener Straße durch die mit einer Giftkugel präparierte Regenschirmspitze an der Wade geringfügig verletzt und starb wenige Tage später am 11. September 1978.

Hier ein Link zu einem Artikel, der den Regenschirmmord von 1978 ausführlich schildert:

http://www.sueddeutsche.de/politik/mysterioeser-regenschirmmord-aufgeklaert-gift-direkt-vom-diktator-1.587790

Und hier der entsprechende Wikibedia-Beitrag:

http://de.wikipedia.org/wiki/Regenschirmattentat

Nachdem ich die Mail von Mark Schultheiß gelesen und mich per Google über die Vorgängen von 1978 informiert hatte, hörte ich mir noch einmal das Tonband mit meinem Gespräch mit Günter Grass vom 8. Juli 2004 an. Als er die Begegnung mit Reich-Ranicki 1958 geschildert und den Satz “Pass auf, das ist kein deutscher Schriftsteller, das ist ein bulgarischer Agent” zitiert hatte, fährt er fort:

“Nun muss man wissen (…) zu der Zeit waren bulgarische Agenten sehr aktuell. Das waren diejenigen. die in London mit einer vergifteten Regenspitze einen anderen ermordet hatten. Der berühmte Regenschirmmord, der in London spielte. Also der ‘bulgarische Agent’ hatte eine besondere Bedeutung.”

Grass’ (zeitlich verschobene) Erinnerungen an diesen Mord hatten mich beim Schreiben der Biographie beeindruckt, doch die Sätze von Grass waren im Wortlaut nicht gut wörtlich zitierbar, also machte ich daraus einen kommentierenden Nachsatz. Besser wäre es gewesen, Grass’ Angaben  genau zu überprüfen. Schriftsteller sind phantasiebegabe Menschen, die sich von ihren Assoziationen und Erinnerungen gelegentlich mal über die Grenzen der reinen Faktentreue hinaustragen lassen.

Doch an der Beschreibung des Verhältnisses zwischen Reich-Ranicki und Grass ändert sich meines Erachtens durch die (von mir übernommene) historisch verschobene Zuordnung von Grass nichts. Die beiden Männer hatten vom ersten Moment an eine spannungsvolle Beziehung zu einander, die von starke Konkurrenzgefühlen geprägt war. Das herauszuarbeiten und zu beschreiben, war meine Absicht in diesem kurzen Kapitel der Biographie.

Veröffentlicht unter Personen, Uncategorized | Verschlagwortet mit , | Hinterlasse einen Kommentar

Buch & Bar (10): Christian Ankowitsch

Mit heißen Händen auf harten Stühlen

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

Heute: Über milde stimmendes Lesen und Trinken

“Entschuldigung, eine Frage: Ändert es Ihre Sicht auf die Welt, wenn Sie ein Glas in der Hand halten?“

„Naja, kommt drauf an, was im Glas drin ist.“

Christian Ankowitsch: "Warum Einstein niemals Socken trug". Rowohlt Berlin, 2015. 18.95 Euro

Solche Antworten hören der Suchtbeauftragte nicht gern. Wer erst mal ein Gläschen braucht, um der Welt gelassen ins Auge zu blicken, hat bald keinen Spaß mehr an seinen Leberwerten. Aber so ist das hier gar nicht nicht gemeint. Es geht nicht um hochprozentige, sondern hochtemperierte Getränke. Mit einer heißen Tasse Kaffee in der Hand, beurteilt man das Leben milder als ohne. Schreibt Christian Ankowitsch in „Warum Einstein niemals Socken trug.“ (Rowohlt Berlin, 18,95 €). Ein so leicht wie klug geschriebenes Buch über Wechselwirkungen zwischen Körper und Geist, also darüber “Wie scheinbar Nebensächliches unser Denken beeinflusst”. Denken findet nämlich nicht nur im Gehirn statt, sondern wird vom körperlichen Befinden mit gesteuert. Bei sparsamer Beleuchtung denkt man kühner, auf harten Stühlen genauer, mit warmen Händen milder. Ankowitsch kennt eine Menge Tricks, um Stimmung und Verstand die richtige Richtung zu geben.

Wie Glühwein und Grog beweisen, kann auch Alkohol im Spiel sein, wenn man Hände und Herz wärmen will. Mir hat die Verbindung von Kaffee und Cognac immer sehr eingeleuchtet. Für Café royal wird der Cognac mit Zucker flambiert und mit Kaffee aufgegossen. Aber einen guten Cognac wie etwa Camus Borderies Cognac VSOP, den ich schon aus literarischen Gründen besonders mag, trinke ich lieber zum Kaffee als im Kaffee.

Die Kolumne erschien im Focus vom 28. Februar 2015. 
2014 startete meine Kurz-Kolumne Buch & Bar im Focus. Sie ist schon deshalb unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.

 

 

 

Veröffentlicht unter Buch & Bar | Verschlagwortet mit | 1 Kommentar

Buch & Bar (9): Hans Magnus Enzensberger

Wer verleiht Flügel?
Natürlich die Dichter!

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

Heute: Über Wermut und Anmut beim Lesen und Trinken

Der Innenminister kam an,
schwungvoll wie immer,
nur wir nahmen keine Notiz von ihm.

Die meisten von uns waren beschäftigt
mit ihren Bandscheiben,
oder hatten ihre Geheimzahl vergessen.

Hans Magnus Enzensberger: "Gedichte 1950-2015". Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Berlin 2015. 10 Euro

Sechs Zeilen, die dem schwungvollen Minister die Luft ablassen. Hans Magnus Enzensberger kann das fabelhaft: In alles, was sich aufbläst pikst er rein mit seinen „Gedichten 1950-2015“ (Suhrkamp, 10 €). Klar, so ganz fair ist das nicht. Auch Minister werden ja irgendwie gebraucht. Wenn sie sich mal wieder wichtig tun, sollten wir wohl Geduld mit ihnen haben. So wie mit unseren Bandscheiben oder unserem Gedächtnis, wenn es die Geheimzahl verkramt.

Enzensberger ist der Dandy unter den deutschen Dichtern und mit 85 jünger als nahezu alle, die Jahrzehnte nach ihm kamen. Seine Gedichte sind voller Freimut, Anmut, Übermut, voller Intelligenz, Witz, Eleganz. Wer sie nicht liest, macht einen Fehler, denn sie bringen eine kluge Leichtigkeit ins Leben.

Manche davon schlürfe ich wie einen Dry Martini. Der gilt auch als ein bisschen oldfashioned, und ist doch jünger geblieben als viele andere, die nach ihm kamen. In meiner Berliner Lieblingsbar namens Victoria wird er aus drei Zutaten gemacht: Aus viel Gin, wenig Wermut und Kälte. Dazu gibt‘s noch ein Glas Eiswasser, damit er einen nicht gleich vom Hocker haut.

Die Kolumne erschien im Focus vom 21. Februar 2015. 
2014 startete meine Kurz-Kolumne Buch & Bar im Focus. Sie ist schon deshalb unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.
Veröffentlicht unter Buch & Bar | Verschlagwortet mit | Hinterlasse einen Kommentar