Buch & Bar (31): Paula Hawkins “Girl on the Train”

Das Leben ist auch keine Strandmatte

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

Heute: Über erinnerungslückenloses Lesen und Trinken

Eine superpeinliche Folge von zu viel Alkohol ist die Gedächtnislücke, der Filmriss. Nur die Krimiautoren sind davon komplett begeistert. Sie lieben diese verkaterte Zeugen, die den Kommissar anknurren: „Sorry, Herr Wachtmeister, ich war voll, totaler Black-out, null Ahnung, was gestern passiert ist.“ Später dann tauchen aus ihrem Schnapshirn natürlich doch wieder Erinnerungssplitter auf, grad so, wie’s der Autor für seine Geschichte braucht. Sehr praktisch.

Paula Hawkins: "Girl on the Train". Aus dem Englischen übersetzt von Christoph Göhler. Blanvalet Verlag, München 2015. 12,99 Euro

Genau diesem Rezept folgt die britische Krimiautorin Paula Hawkins in „Girl on the Train“ (Blanvalet, 12,99 EURO), dem Strandmatten-Hit dieses Sommers. Ihre Heldin Rachel ist eine sagenhafte Nervensäge, wehleidig, verlogen und ständig besoffen. Sie hat alles gesehen, was es braucht, um den Mord aufzuklären, weiß aber suffbedingt nichts mehr, und der Mörder verlässt sich brav auf ihre Erinnerungslücke. Bis Rachel im richtigen Moment das entscheidende Detail aus ihren torkelnden Synapsen dann doch entgegenpurzelt. Wenn’s doch mal im Leben so wäre. An so was glaubt nur, wer sich auf der Strandmatte in der Sonne aalt.

Rachel trinkt Gin Tonic aus der Dose. Widerliches Zeug, ich hab’s probiert. Der Drink zum Buch sollte, mit Rachel als abschreckendem Beispiel vor Augen, ohne Alkohol auskommen. Ein Apricot Fizz zum Beispiel: 6 cl Aprikosensaft (kein Nektar!), 1 cl Orangensaft, 1 cl Zitronensaft mit Eis im Shaker schütteln, dann mit Soda auffüllen. Verleiht der Zeit auf der Matte einen fruchtig-paradiesischen Touch.

Die Kolumne erschien im Focus vom 1. August 2015. 
2014 startete meine Kurz-Kolumne Buch & Bar im Focus. Sie ist schon deshalb unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.
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Buch & Bar (30): Cicero “Keine Angst vor dem Älterwerden!”

Die Hammer-Weisheiten der alten Römer

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

Heute: Über zart klassischerkritisches Lesen und Trinken

Ein Freund hielt es für eine gute Idee, mir zum Geburtstag Ciceros Büchlein „Keine Angst vor Älterwerden!“ (Reclam, 8,80 €) zu schenken. „Prima“, bedankte ich mich mit zusammengebissenen Zähnen, „ganz wunderbar.“ Da ich sorgfältig vermeide, über’s Älterwerden nachzudenken, habe ich auch nur wenig Angst davor. Bislang. Aber so ein Buch kann einen ja auf alle möglichen Gedanken bringen, vielleicht sogar auf die, Angst zu kriegen.

Cicero: "Keine Angst vor dem Älterwerden!" Herausgegeben von Marion Giebel. Reclam Verlag, Ditzingen. 8,80 Euro

Glücklicherweise entpuppte es sich als ein antiker Komplett-Schmarrn. Cicero legt seine sehr überschaubaren Weisheiten dem gut achtzigjährigen Cato in den Mund. Der ganze Text soll angeblich ein Gespräch sein, aber Cato dauermonologisiert derart stur und selbstgefällig vor sich hin, bis ich die Gewissheit, dass auch er nicht unsterblich war, recht wohltuend fand. Klar, meint Cato, in der Jugend ist man fitter und hat mehr Spaß am Sex. Aber im Alter kriege man einen Schreibtischjob, käme also ohne Fitness aus und Sex sei eh unvernünftig und halte nur ab von den wirklich wichtigen Dingen: Feldzüge anführen, Staatschef werden, Geschichte machen.

Wow, ich wüsste echt nicht, wie ich zurechtkommen könnte ohne solche Weltklasse-Weisheiten. Zum Dank für das schöne Geschenk habe ich den Freund dann auf einen Cocktail in meine Lieblingsbar eingeladen. Ihm habe ich Kamillentee bestellt, mir einen Sex on the Beach. Mir hat’s geschmeckt.

Die Kolumne erschien im Focus vom 25. Juli 2015. 
2014 startete meine Kurz-Kolumne Buch & Bar im Focus. Sie ist schon deshalb unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.
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Buch & Bar (29): Ian McEwan “Abbitte”

Die Wahrheit und nichts als die frei erfundene Wahrheit

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

Heute: Überstrikt unauthentisches Lesen und Trinken

Übrigens: Literatur ist nie authentisch. Die heute so verbreitete Vorliebe für das angeblich Authentische ist immer ein wenig seltsam, doch in literarischen Fragen ist sie nicht nur seltsam, sondern eine handfeste Dummheit. Denn wirklich wichtig ist nicht, ob ein Autor etwas erlebt oder erfunden, sondern wie er es auf’s Papier gebracht hat. Von Vladimir Nabokov stammt die schöne Feststellung: “Wer eine Geschichte ‘wahr’ nennt, beleidigt Kunst und Wahrheit zugleich.”

Ian McEwan: "Abbitte". Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Diogenes Verlag, Zürch 2015. 12 Euro

Zu den schönsten, klügsten, raffiniertesten Romanen der letzten 20 Jahre zählt für mich „Abbitte“ von Ian McEwan – jetzt als schickes, kleines Leinenbändchen erschienen (Diogenes, 12 €). Nichts daran ist authentisch: nicht die wunderbare Liebe, von der erzählt wird, nicht das Verbrechen, das geschieht und erst recht nicht die herzbrechenden Tode, die gestorben werden. Die ganze Geschichte ist ein Meisterwerk literarischer Imagination – und ironischerweise zugleich eine Warnung vor den Gefahren allzu ungezügelter Imagination. Lesen Sie dieses Buch! Es wird Sie umhauen.

Im Roman serviert ein mieser Kerl miese Cocktails mit Schokolade. Aus Begeisterung über das Buch hat eine Bloggerin namens Kate (thelittlelibrarycafe.com) das Rezept nicht authentisch umgesetzt, sondern verfeinert und etwas Tolles draus gemacht: Dunkle Schokolade unter leichter Hitze schmelzen lassen mit dunklem Rum verrühren, mit 2 TL Ingwer-Sirup, etwas Zimt und ein wenig Muskatnuss mischen, ins Glas geben und warm trinken. Sie hat den Drink nach dem englischen Orginaltitel des Romans „Atonement“ getauft.

Die Kolumne erschien im Focus vom 18. Juli 2015. 
2014 startete meine Kurz-Kolumne Buch & Bar im Focus. Sie ist schon deshalb unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.
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Nachruf auf Walter Hinck

Ein Könner ohne Allüren

Ein paar – zugegebenermaßen: voreingenommene – Bemerkungen um Tod des Germanisten und Literaturkritikers Walter Hinck (1922 – 2015). Ich mochte ihn, ich habe viel von ihm gelernt und nicht zuletzt: Er war mein Doktorvater.

Walter Hinck war ein sanfter und kluger Mann. Obwohl er zu den wichtigsten Germanisten Deutschlands zählte, obwohl er über 40 Jahre für die FAZ Literaturkritiken schrieb und also für Schriftsteller viel von seinem Urteil abhing, war ihm jede auftrumpfende Geste fremd.

Nachdem er als 18-Jähriger in Hitlers Krieg hatte ziehen müssen und erst als 28-Jähriger aus der Gefangenschaft zurückkehrte, rückte Hinck die Literatur konsequent in den Mittelpunkt seines Lebens. Dieser Entschluss hatte bei ihm mit Weltflucht nichts zu tun: Literatur war für ihn immer auch ein Seismograf, der viel über die Welt verriet, in der die Schriftsteller lebten. So wurde er zum brillanten Kenner vergangener Epochen. Daneben aber weckte die neue und neueste Literatur schon in den 50er und 60er-Jahren seine Neugier, als viele seiner Universitätskollegen noch kaum über die Goethe-Zeit hinauszudenken wagten. In Göttingen promovierte er 1956 über Bertolt Brecht – also zu einer Zeit, als der Kommunist Brecht im Westen Deutschlands noch alles andere als populär, wenn nicht gar verpönt war. 1964 wurde er Ordinarius an der Universität zu Köln, Ende der siebziger Jahre habe ich an seinem Lehrstuhl gearbeitet. Er war ein angenehmer Chef, ohne die Lehrstuhl-Inhaber-Allüren vieler seiner Kollegen.

Walter Hinck: "Jahrgang 1922. Autobiographische Skizzen". Bouvier Verlag, 2011. 17,90 Euro

Wenn mich mein Eindruck nicht täuscht, hat sich Walter Hinck im akademischen Betrieb nicht immer wohl gefühlt. Er habilitierte sich zwar mit einer komperatistischen Arbeit über das Deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, die allen Forderungen der universtitären Literaturwissenschaft gerecht wurde. Aber – so kam es mir vor – sein Herz hing viel eher an der Gegenwartsliteratur. Er organisierte Lesungen an der Universität oder auch private Begegnungen zwischen Schriftstellern und Studenten. Mein Idee, über zwei damals noch lebende Schriftsteller aus der DDR, Christa Wolf und Franz Fühmann, zu promovieren, konnte ihn folglich nicht schrecken. Er hat mich mit Geduld, enormer Sachkenntnis und viel freundlicher Zuwendung dabei unterstützt.

Als Literaturkritiker pflegte Hinck einen noblen Stil: Er beschrieb in seinen Rezensionen die besprochenen Bücher zunächst sachlich und deutete dann sein Urteil oder gar seine Zweifel an deren Qualität nur behutsam an. Doch wer aufmerksam las, wusste genau, was Hinck von ihnen hielt.

Er war bereits hoch in den Achtzigern als er seine “Autobiographischen Skizzen” veröffentlichte. Ihm gelang, was viele sich vornehmen, aber nur wenige umzusetzen vermögen: Er hat sich in hohem Alter noch einmal ein ganz neues Arbeitsgebiet eröffnet, sich noch einmal neu erfunden. Nach seinen Erinnerungen begann er Erzählungen zu schreiben und konnte mit Zufriedenheit feststellen, dass die beiden Prosa-Bände “Letzte Tage in Berlin” (2011) und “Wenn aus Liebesversen Elegien werden” (2015)  viel Anerkennung fanden.

Wenn die deutsche Literaturwissenschaft heute zumindest zu einem nennenswerten Teil in der Gegenwart angekommen ist, dann ist das auch Walter Hincks Verdienst.

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Buch & Bar 28: Matthias Politycki: “42,195″

Die Einsamkeit des Langstreckensäufers

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

Heute: Über marathonmäßiges Lesen und Trinken

Matthias Politycki: "42,195. Warum wir Marathon laufen und was wir dabei denken." Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2015. 20 Euro

Alles wird immer komplizierter, sogar das Laufen. Früher reichten mir Hemd, Hose, Turnschuh und ab ging’s. Solange ich dann ein Bein vor das andere kriegte, ohne allzu sehr außer Atem zu geraten, hielt ich mich für den nächsten Nurmi.

Heute ist Laufen einer Wissenschaft. Selbst für blutige Amateure wie mich. In seinem Buch „42,195“ (Hoffman und Campe, 20 €) beschreibt der Lyriker, Romancier und Marathonläufer Matthias Politycki, wie herrlich verzwickt das alles geworden ist. Was man sich alles kaufen kann! Kompressionsstümpfe, verspiegelte Brillen, GPS-Uhren, Stirnlampen, Hoodies in Pink mit neongelben Streifen. Traumhaft!

Aber damit fängt der Spaß erst an. Es stellen sich rasend dramatische Fragen: Um wie viel Meter verlängert sich eine Marathonstrecke, wenn ich nicht ständig haargenau Ideallinie laufen kann? Darf ich meinen Zollstock mitbringen und nachmessen? Und meine PB (Persönliche Bestzeit) aufpolieren, indem ich die zusätzlich gelaufenen Meter vom Resultat abziehe?

Früher hatte ich nach dem Laufen Durst, heute bin ich dehydriert. Auch das ein Riesenfortschritt. Durst bekämpfte ich mit Apfelsaftschorle. Wie profan! Dehydriertheit dagegen verlangt nach exquisiten Gegenmitteln wie Powergels, Regenerationsturbos oder Ultrarefreshern. Himmlisch. Und sie machen mich viel schneller, weil ich ihren himmlisch hohen Preise in voller Höhe von meiner jeweils neusten PB (Persönlichen Bestzeit) abziehe.

Die Kolumne erschien im Focus vom 11. Juli 2015. 
2014 startete meine Kurz-Kolumne Buch & Bar im Focus. Sie ist schon deshalb unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.
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Buch & Bar 27: Hans Zippert “Würden Sie an einer Tortengrafik teilnehmen?”

Das Leben ist kurz, die Kunst noch kürzer

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

Heute: Über das lange Vergnügen am kurzen Lesen und Trinken

Hans Zippert: "Würden Sie an einer Tortengrafik teilnehmen?" Edition Tiamat, Berlin 2015. 14 Euro

Hans Zippert ist ein Großmeister des kurzen Artikels. Für die „Welt“ schreibt er seit 16 Jahren täglich (!) die Kurz-Kolumne „Zippert zappt“. Sie ist a) irre kurz, b) irre komisch und c) seit Kurzem auch als irres Buch zu haben: „Würden Sie an einer Tortengrafik teilnehmen?“ (Edition Tiamat, 14 Euro).

Natürlich konnte Zippertnicht kurzerhand alle der inzwischen fast 5000 Kolumnen in dieses eine Buch pressen. Er hat kürzen müssen. Mich beeindrucken vor allem seine fabelhaften Sprach-Kurzschlüsse: “14 Prozent der Deutschen“, schreibt Zippert, „glauben übrigens, dass ein Bibliophiler Sex mit Büchern hat.“ Als kürzlich ein Meteorit die Erde knapp verfehlte, fragte er kurz angebunden, „welches intelligente Leben“ der denn hierzulande hätte auslöschen können? Oder nach einer Kurzumfrage zu den Wahlchancen der SPD: „Ist Sigmar nur ein anderes Wort für Niederlage?“ Kurzum: Wer Zippertliest, verkürzt sich die Zeit auf das Kurzweiligste.

Die kurzatmige Bar-Kultur hat jetzt den Kurzen wiederentdeckt, den Korn, der lange als degoutantes Proleten-Gesöff galt. Vor Kurzem bekam ich eine Flasche Berliner Brandstifter geschenkt, einen siebenfach gefilterten, verlockend milden Kornbrand. Kurz gesagt: exzellent! Allerdings sollte man sich beim Trinken kurz halten. Die 38 Vol.-% machen aus dem Abend sonst ein kurzlebiges Vergnügen.

Die Kolumne erschien im Focus vom 4. Juli 2015. 
2014 startete meine Kurz-Kolumne Buch & Bar im Focus. Sie ist schon deshalb unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.
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Buch & Bar 26: Goethe und der Wein

Erst der Fleiß macht das Genie!

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

Heute: Über unbeirrbar edelsüßes Lesen und Trinken

"Will keiner trinken? keiner lachen?" Goethe und der Wein. Herausgegeben von Heiner Boehncke und Joachim Seng. Insel Verlag, Berlin 2014. 13,95 Euro

Wir braven Bürger stellen uns das Leben der Dichter gern frei und lustvoll vor. Aber das ist natürlich ganz falsch. Man glaubt ja nicht, wie viel Kraft es kostet, genial zu sein. Nehmen wir mal Goethe zum Beispiel. Wie viel der tagtäglich zu tun hatte! Schon zum zweiten Frühstück, so gegen 10 Uhr, wollte das erste Glas Süßwein getrunken sein, meist Madeira. Den restlichen Vormittag über war ein weiteres Wasserglas voll Wein fällig. Zu Mittag galt es, eine ganze Flasche Wein wegzuputzen, zum Dessert ein Glas Champagner. Nachmittags ging er es ruhiger an, bis schließlich zum Abendessen wieder Wein, Tee, Punsch oder Champagner abzuarbeiten waren war. Kamen Gäste, gab es noch eine Flasche Rheinwein.

Wie soll man, frage ich Sie, bei derartigen Verpflichtungen noch zum Dichten kommen? Etwa zwei Liter Wein trank er pro Tag, listet das feine, kleine Bändchen „Will keiner trinken? keiner lachen?“ über „Goethe und den Wein“ (Insel Verlag, 13,95 Euro) auf. Angesichts solcher Anforderungen, fiele es mir schwer, einen klaren Gedanken fassen oder auch nur der Weg zum Schreibtisch finden. Aber Goethe war eben ein Genie.

Er liebte Wein aus dem Rheingau. Der „Kometenwein“ Jahrgang 1811 war sein Liebling. Der ist heute unbezahlbar. Aber kürzlich habe ich auf einer Rheingau-Wanderung Riesling 2011 probiert, edelsüß, so wie Goethe es mochte (wein-prinz.de). Ein wenig gewöhnungsbedürftig, aber nicht schlecht. Sonst trinke ich trockene Weine. Doch Goethe wage ich nicht zu widersprechen. Nicht einmal in Riesling-Fragen.

Die Kolumne erschien im Focus vom 27. Juni 2015. 
2014 startete meine Kurz-Kolumne Buch & Bar im Focus. Sie ist schon deshalb unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.
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Buch & Bar 25: Truman Capote: “Erhörte Gebete”

Das Tratschen als hohe Kunst betrachtet

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

Heute: Über herrlich schamlos Lesen, Trinken und Übertreiben

Truman Capote: "Erhörte Gebete". Übersetzt von Heidi Zerning. Verlag Kein & Aber. Zürich 2015. 9,90 Euro

Lästern Sie gern? Ich gestehe, ich bin nicht frei von diesem Laster. Meine ungeteilte Bewunderung gilt allen, die ihm widerstehen. Jedes Zusammensein mit anderen Menschen ist mühevoll genug, denn sie sind – wie soll ich sagen – irgendwie anders als man selbst. Die Versuchung ist groß, sich für diese mühevollen Mühen zu entschädigen, indem man die natürlich total liebenswerten kleinen Schwächen der anderen mit nicht nur liebenswürdigen Worten bedenkt. Pfui.

Truman Capote war der unangefochtene World-Champion des Lästerns. Sein Hauptwerk „Erhörte Gebete“ (Kein & Aber, 9,90 €) sollte eine Orgie der üblen Nachrede werden – aber er hat es nie vollendet. Zu besichtigen ist (jetzt als Taschenbuch) die Ruine eines Romans, der das klassische Ideal des Wahren, Schönen, Guten ersetzt durch schamlose Klatschsucht, eleganten Zynismus und brillante Boshaftigkeit. Mitleidloser ist die Welt der Reichen, Mächtigen und Schönen, der Jackie Kennedy, Montgomery Clift oder Dorothy Parker nie gezeigt worden. Und nie mit mehr Witz.

Allerdings bleibt Capote wohl nicht eng bei der Wahrheit, sondern neigt zu maßlosen Übertreibungen. Ein Indiz: Einen guten Daiquiri, der nicht nach „reiner Salzsäure“, sondern „angenehm säuerlich und leicht süß“ schmeckt, kriegt seiner Ansicht nach nur der Chefbarkeeper des Pariser „Ritz“ hin. Da zum klassischen Daiquiri neben weißem Rum und Limettensaft vor allem Rohrzuckersirup gehört, halte ich das für eine völlig haltlose Behauptung und – und bin bereit in einer Menge Bars zwischen Frankfurt und Berlin den Gegenbeweis anzutreten.

Die Kolumne erschien im Focus vom 20. Juni 2015. 
2014 startete meine Kurz-Kolumne Buch & Bar im Focus. Sie ist schon deshalb unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.
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Buch & Bar 24: Christoph Schröder: “Ich pfeife”

Der schöne Starrsinn der Amateure

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

Heute: Über lehrnstuhlbehagliches Lesen und Trinken

Christoph Schröder: "Ich pfeife! Aus dem Leben eines Amateurschiedsrichters". Tropen Verlag 2015. 16,95 Euro

Stellen Sie sich vor, Sie sind Fußball-Schiedsrichter und der Ball friert während des Spiels an der Latte fest. Was nun? Wie geht’s jetzt laut Regelheft weiter? Oder: Sie haben schon angepfiffen, der Ball rollt, aber der Tormann eines Teams steht noch gar nicht auf dem Platz. Oder: Beim Durchzählen merken Sie, eine Mannschaft ist mit zwölf Mann im Einsatz. Oder: Ein Trainer beginnt an der Ersatzbank einen Zuschauer zu würgen? Alles schon dagewesen. Was tun Sie?

Christoph Schröder ist Literaturkritiker und seit 27 Jahren Schiedsrichter. Wir kennen und duzen uns, aber über Fußball habe ich mit ihm noch nie gesprochen. Nur über Literatur. Ein Fehler! Denn sein Buch „Ich pfeife (Tropen Verlag, 16,95 €) über seine Abenteuer als Amateurschiedsrichter ist hinreißend: nicht nur klug, sondern lebensklug, nicht nur lustig, sondern lebenslustig. Er liebt das Spiel, aber er schreibt darüber ganz ohne Verbissenheit und Fanatismus. Stattdessen beschreibt er herrliche Amateurverein-Typen, die so starrsinnig sind, Zeit und Arbeit in ihren Club zu investieren, nur weil Fußball ihnen Spaß macht. Und die oben genannten Fragen beantwortet er noch außerdem.

Nach dem Fußball etwas anderes zu trinken als Bier, ist in stilistischer Hinsicht ein Wagnis. Mir käme es jedenfalls ein wenig prätentiös vor, wenn der Linksaußen sein Kopfball-Tor in der Schlussminute nach dem Spiel mit einem Lafite Rothschild 1973 feierte. Und Bier ist keineswegs nur was dumpfe Rumgröler. Auch Thomas Mann trank zum Abendbrot sein Helles. Und lobte, was es ihm verschaffte: „Ruhe, Abspannung und Lehnstuhlbehagen.“ Also genau das, was man nach einem hektischen Spiel braucht.

Die Kolumne erschien im Focus vom 13. Juni 2015. 
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Buch & Bar (23): John Cleese “Wo war ich noch mal?”

Der Spleen als ewiger Quell der Freude!

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

Heute: Über vergnügt exzentrisches Lesen und Trinken

John Cleese: "Wo war ich noch mal?" Blessing Verlag, 2015. 22,99 Euro

Wer mich zum Lachen bringt, dem bin ich dankbar. Nur wenigen Leuten ist das so gut und oft und bauchmuskelzerrend gelungen wie John Cleese, Mitglied und Mit-Texter der göttlich begnadeten Monty Python. Jetzt ist seine Autobiographie erschienen mit dem eher kuriosen als unvergesslichen Titel „Wo war ich noch mal? (Blessing Verlag, 22,99 Euro). Darin verrät er ein paar eherne Regeln der Comedy. Eine davon lautet: „Je kürzer, desto komischer.“

Sein Buch zählt 480 Seiten. Mit anderen Worten: Es ist nicht komisch. Und auf all den vielen Seiten erzählt er kaum etwas über Monty Python. Beides hat mich, offen gestanden, ein wenig enttäuscht. Dankbar bin ich Cleese trotzdem, weil er, wie es vielleicht nur Briten können, ein fabelhaftes Vergnügen am Exzentrischen vermittelt: Spleens oder Schrullen seine Mitmenschen, über die sich andere schnell mal ärgern würde, macht er zum heiter sprudelnden Quell der Freude. Vorbildlich.

Als ich jüngst in Cornwall war, fand ich in einem Pub mit Meerblick einen recht exzentrischen Cider. Es war ein Apfelschaumwein vollständig aus Birnen. Sofort war mein Misstrauen geweckt und wenige Momente später meine Begeisterung. Der Pear Cider vermittelte eine leicht süßsaure gute Laune, die ich in angenehmster Erinnerung habe. Der Mann hinter der Theke empfahl mir folgende Quelle: http://www.cornishorchards.co.uk/pear-cider/b5. Ich habe es nicht bereut. Auch nicht am nächsten Morgen.

Eine Kollegin schwört dagegen auf die französische Variante Poiré Authentique: http://www.weinart.de/frankreich/normandie/eric-bordelet/poire-authentique-2013.htm

Die Kolumne erschien im Focus vom 6. Juni 2015. 
2014 startete meine Kurz-Kolumne Buch & Bar im Focus. Sie ist schon deshalb unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.
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