Die Einsamkeit des Langstreckensäufers
Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.
Heute: Über marathonmäßiges Lesen und Trinken
Alles wird immer komplizierter, sogar das Laufen. Früher reichten mir Hemd, Hose, Turnschuh und ab ging’s. Solange ich dann ein Bein vor das andere kriegte, ohne allzu sehr außer Atem zu geraten, hielt ich mich für den nächsten Nurmi.
Heute ist Laufen einer Wissenschaft. Selbst für blutige Amateure wie mich. In seinem Buch „42,195“ (Hoffman und Campe, 20 €) beschreibt der Lyriker, Romancier und Marathonläufer Matthias Politycki, wie herrlich verzwickt das alles geworden ist. Was man sich alles kaufen kann! Kompressionsstümpfe, verspiegelte Brillen, GPS-Uhren, Stirnlampen, Hoodies in Pink mit neongelben Streifen. Traumhaft!
Aber damit fängt der Spaß erst an. Es stellen sich rasend dramatische Fragen: Um wie viel Meter verlängert sich eine Marathonstrecke, wenn ich nicht ständig haargenau Ideallinie laufen kann? Darf ich meinen Zollstock mitbringen und nachmessen? Und meine PB (Persönliche Bestzeit) aufpolieren, indem ich die zusätzlich gelaufenen Meter vom Resultat abziehe?
Früher hatte ich nach dem Laufen Durst, heute bin ich dehydriert. Auch das ein Riesenfortschritt. Durst bekämpfte ich mit Apfelsaftschorle. Wie profan! Dehydriertheit dagegen verlangt nach exquisiten Gegenmitteln wie Powergels, Regenerationsturbos oder Ultrarefreshern. Himmlisch. Und sie machen mich viel schneller, weil ich ihren himmlisch hohen Preise in voller Höhe von meiner jeweils neusten PB (Persönlichen Bestzeit) abziehe.
Die Kolumne erschien im Focus vom 11. Juli 2015. 2014 startete meine Kurz-Kolumne Buch & Bar im Focus. Sie ist schon deshalb unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das, worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.