Buch&Bar 111: Angus Hyland und Kendra Wilson “Hunde in der Kunst”

Supermodels ohne Kleider – dafür mit Halsband

Heute: Über die wahren Vorzüge der Kunst und der wilden Hunde beim Lesen und Trinken

Angus Hyland und Kendra Wilson: "Hunde in der Kunst". Dumont Buchverlag. 18 Euro

Sogar Hunde haben Nachteile. Da sind sie genauso wie wir Menschen. Sie hinterlassen Haare und Gerüche. Fressen einem den Kühlschrank leer. Schnarchen. Immerhin quatschen Hunde nicht dauernd dazwischen, das ist einer ihrer Vorzüge.

Im Vergleich dazu ist die Kunst wunderbar. Kunst hat praktisch nur Vorteile. Gemälde von Hunden sind viel besser als Hunde. Denn, siehe oben: Ein gemalter Hund hinterlässt weder Haare noch Gestank. Der Kühlschrank bleibt voll, kein Schnarchen, kein Dazwischenkläffen. Perfekt. Auch deshalb ist es Angus Hyland und Kendra Wilson als ewiges Verdienst anzurechnen, dass sie jetzt das Buch „Hunde in der Kunst“ zusammengestellt haben (DuMont, 18 Euro). Der Band enthält, wenn man alle Hunde darin zusammenzählt, ein Riesenrudel unterschiedlichster Rassen, doch selbst als ich ihn ganz dicht neben mein Ohr hielt: kein Gebell, kein Knurren, keine nasse Zunge an meinem Trommelfell. Himmlisch.

Schon dem Hund zuliebe sollte man keine Hunde in die Bar mitschleppen. Durch einige Foren im Internet schwappt die Debatte, wie schnell Hunde in Shisha-Bars durch den Qualm ihrer Besitzer umkommen. Als Nichtraucher enthalte ich mich da jeden Kommentars. Wer in der Bar ohne Hund nicht auskommt, empfehle ich den „Wilden Hund“: 3 cl polnischen Wodka, 1 cl Himbeersirup und 5 bis 10 Spritzer Tabasco, je nachdem wie wild man seinen Hund gern hätte.

 

2014 startete BUCH & BAR. Die Kolumne ist schon deshalb absolut unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.

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Peter von Matt: Ein großartiger Germanist wird 80

Was wollen uns die Küsse sagen?

Eine Eloge auf Peter von Matt zum 80. Geburtstag
oder: Gibt es noch Nachtisch?

Ich lernte Peter von Matt vor über dreißig Jahren auf einer germanistischen Tagung in Bochum kennen. Damals war ich verblüffenderweise jünger als heute und wohl auch selbstgewisser. Ich arbeitete bei einer Zeitung, fühlte mich als Literaturkritiker, und meine Skepsis gegenüber der Literaturwissenschaft erreichte ihren Höhepunkt. Als Entschuldigung darf ich vielleicht anführen, dass ich zu jener Zeit an meiner Dissertation schrieb und deshalb gezwungen war, eine Überdosis germanistischer Spezialstudien zu meinem kleinen Forschungsgebiet zu mir nehmen. Für mich hatte sich der Eindruck verfestigt, nirgendwo auf der Welt werde uneleganter, kleinkarierter, kunstverständnisloser formuliert und argumentiert als ausgerechnet in der Germanistik. Und diese Tagung würde meine Überzeugungen vollauf bestätigen, so viel war sicher.

Peter von Matt: "Sieben Küsse. Glück und Unglück in der Literatur". Hanser Verlag. 22 Euro

Doch dann hielt Peter von Matt den Eröffnungsvortrag, es ging um „Spiele des Lachens“ in der Literatur, und ich war von meiner Skepsis kuriert. Er formulierte elegant, mit weitem intellektuellen Zuschnitt und einem beneidenswerten Fingerspitzengefühl für die Antriebskräfte der Schriftsteller. Er sprach über „Spiele des Lachens“ und brachte sein Publikum dabei zumindest zum Lächeln, und was er sagte, schärfte nicht nur den Blick auf die Literatur, sondern auch aufs Leben.

Peter von Matt erzählte, ja wirklich: er erzählte unter anderem von Caroline Schlegels Reaktion auf ein zu ihrer Zeit frisch erschienenes, heute längst zum Monument erstarrtes Stück deutscher Lyrik, und von dem schönen Satz, den sie an einen ihrer Briefpartner schrieb: „Über ein Gedicht von Schiller, das Lied von der Glocke, sind wir gestern Mittag fast von den Stühlen gefallen vor Lachen.“ Und tatsächlich war, wie Peter von Matt leichthändig zeigte, die aus formal perfekten, idealistischen, todernsten Versen erbaute Welt der Schiller-Glocke schreiend komisch, sobald man sie mit den Augen eines Menschen anschaute, der an der keineswegs so perfekten und idealen Einrichtung der realen Welt litt wie Caroline Schlegel. Peter von Matt sprach, wenn ich mich heute, dreißig Jahre danach noch richtig entsinne, von dem „verharmlosenden Ernst“, zu der die Literaturwissenschaft bei der Betrachtung von Literatur neige und von der radikalen Sprengkraft der Komik, die mit literaturwissenschaftlichen Begriffen so schwer zu fassen ist.

Durch allerlei dreiste Manöver gelang es mir, bei dem Mittagessen, das auf seinen Vortrag folgte, einen Platz neben Peter von Matt zu ergattern. Ich weiß nicht, wie sehr ich ihm mit meinem Versuch, von meiner Bewunderung für seine Arbeit zu reden, beim Essen auf die Nerven gegangen bin. Scham überkommt mich, wenn ich daran denke. Aber eines weiß ich noch genau: Irgendwann ließ Peter von Matt seinen Blick über den Mittagstisch wandern, jenen Blick, mit dem er immer wieder entscheidende, zuvor übersehene Details in den Werken der Schriftsteller entdeckte, um sie seinem staunenden Publikum vorzulegen, Peter von Matt also ließ seinen Blick über unseren Tisch wandern, ergriff einen der kleinen Löffel, die bei den Tellern der Mittagsgäste lagen, hielt ihn hoch und fragte mich: „Was bedeutet das?“ Ich hatte keinen blassen Schimmer. Woraufhin Peter von Matt vorfreudig lächelte und sagte: „Das bedeutet: Wir kriegen noch Nachtisch.“

Peter von Matt: "Liebesverrat. Die Treulosen in der Literatur". Hanser Verlag. 20,99 Euro

Seither zählt Peter von Matt zu meinen Stars der Germanistik. Seine Bücher sind eine Leselust, er ist ein Stilist von Gnaden, ein weiser Mann der Literatur, der sein enormes Wissen mit Charme und Witz, mit intellektueller Präzision und tänzerischer Leichtigkeit austeilt. Sein jüngstes Buch „Sieben Küsse“ ist ein prachtvolles Beispiel für diese seine Kunst, der Sprache der Schriftsteller nachzulauschen und das, was sie sagen, deutlicher ins Bewusstsein zu heben.

Denn die Literatur hat, schreibt er, ihren eigenen Blick auf die Welt. Sie ist ein uraltes System der Welterklärung ebenso wie Wissenschaft, Philosophie oder Religion. Die Schriftsteller denken in Szenen, so wie die Philosophen in Begriffen und Theorien denken. Für die Literatur zählt immer nur der lebendige Einzelfall, das konkrete Detail – aber sie vermag den Einzelfall, das Detail symbolisch aufzuladen und ihnen so zu überlebensgroßer Bedeutung zu verhelfen. Denn die Literatur, sagt von Matt, „hat sich, im Unterschied zu den andern Systemen, nie ganz abgelöst vom Blick des Kindes. Für das Kind gibt es noch keine Ordnung der Dinge. Alles kann riesig sein oder wie nicht vorhanden. Ein Stein auf dem Weg ist kostbar wie der Rubin in der Königskrone. Er ist sogar lebendig wie ein Tier.“

Peter von Matt: "Literaturwissenschaft und Psychoanalyse". Reclam Verlag. 6 Euro

Und weil, so von Matt, Literatur Wege zeigt, die aus den üblichen Hierarchien und Ordnungsmuster hinausführen, kann sie verschollene, ins unbewusste abgesunkene Erfahrungen wachrufen, „Erfahrungen aus den Urzeiten des eigenen Lebens oder Erfahrungen aus den Urzeiten der Menschheit“. Natürlich wird auch in der Literatur über solche Erfahrungen nachgedacht, aber da diese Erfahrungen in Szenen vergegenwärtigt werden, nicht in Begriffen oder Theorien, bleibt in ihnen immer ein unausdeutbarer Rest, etwas, das man erahnen, aber nicht ganz und gar erklären kann. Wie immer man sich über dieses Denken in Szenen „innerhalb oder außerhalb des Textes den Kopf zerbricht, zu einem vollständig in Sprache übersetzten Verständnis gelangt man nie.“

Wie aber, fragt von Matt, geht das Welterklärungssystem Literatur mit der Sehnsucht nach dem Glück um? Das ist das Forschungsprojekt seines neuen Buches „Sieben Küsse“ (Hanser, 22 Euro). Da die Literatur in Szenen denkt, spricht sie auch von dieser Sehnsucht in Szenen und eine der Urszenen des Glückes ist der Kuss. Also spürt von Matt sieben großen Kussszenen der Weltliteratur nach, Küssen, mit denen das Leben ein anderes wird für die küssenden Geschöpfe der Literatur, Küsse, in denen sich das verdichtet, was die Schriftsteller zur Sehnsucht nach dem Glück zu sagen haben.

Er findet diese Szenen im „Großen Gatsby“ des Amerikaners F.Scott Fitzgerald, im Roman „Mrs Dalloway“ der Engländerin Virginia Woolf, in Erzählungen des Schweizers Gottfried Keller und des Österreichers Franz Grillparzer, in der „Marquise von O.“ des unpreußischen Preußen Heinrich von Kleist, in einem Kurzroman der Französin Marguerite Duras und einer Shortstory des Russen Anton Tschechow. Wie gesagt, Peter von Matts Horizont ist niemals eng, er klammert sich weder an Epochen- noch an Sprachgrenzen. Und ihm gelingt immer wieder, was in der Literaturwissenschaft häufig genug nicht einmal versucht wird: Er macht neugierig, ja regelrecht gierig auf die Bücher, über die er schreibt. Das liegt zum einen daran, dass er, der über die Kunst des Erzählens schreibt, zugleich eine Kunst des Nacherzählens beherrscht, und keine Mühe scheut, seinen Lesern die Geschichten, von denen er spricht, auch vor Augen zu rücken. Zum andern liegt es an seiner Fähigkeit, diese Geschichten eben nicht als bloße Objekte der Analysen zu behandeln, sondern als kunstvolle Versuche der Schriftsteller, Erfahrungen zur Sprache zu bringen, die auf anderem Weg schwer oder gar nicht zu formulieren sind.

Peter von Matt: "Das Wilde und die Ordnung. Zur deutschen Literatur". Hanser Verlag. 24,90 Euro

Literatur ist nämlich für Peter von Matt kein Spaß – auch wenn es ein großes Vergnügen ist, seinen Argumentationen zu folgen. Wenn er schreibt, dass Literatur ein Versuch der Welterklärung ist, dann ist das auch so zu verstehen, dass die Welt der Erklärung bedarf, dass wir oft vor Rätseln stehen, die uns nicht selten quälen, und wir froh sein dürfen, diesen Rätseln mit der Macht der Literatur zu Leibe rücken zu können. Literatur hat nicht immer Recht, warnt von Matt ausdrücklich. Aber unausgesprochen liegt in dieser Warnung das Versprechen, manchmal habe sie eben doch Recht und könne dabei helfen, das rätselvolle Leben etwas weniger rätselhaft machen und uns in ihm ein bisschen heimischer.

Dazu muss man Literatur allerdings genau lesen und zu verstehen versuchen, was in dem Text steht, und nicht die Theorien in ihn hineinlesen, die man ohnehin schon im Kopf hat. In Kleists „Marquise von O.“ zum Beispiel gibt ein Vater seiner verloren geglaubten, aber für ihn dann doch geretteten Tochter einen Kuss, der kein einfacher Kuss mehr ist, sondern eine wahre Kussorgie. Die feministische Literaturtheorie interpretiert diese skandalöse Szene gern als patriarchalischen Gewaltakt, als inzestuöse Beinahe-Vergewaltigung der zu Anfang der Novelle bereits vergewaltigten Marquise. Doch von Matt zeigt, dass diese Interpretation nicht aufgehen kann, wenn man liest, was Kleist tatsächlich geschrieben hat, und diese Szene ein Skandal extremer Gefühle bleibt, die sich üblichen Deutungsmustern nicht fügt.

Peter von Matts Grundüberlegung in diesem Buch, die Literatur denke in Szenen, ist selbstverständlich nicht als absolute Maxime gedacht. Niemand muss von Matt erklären, dass es unszenische Formen von Literatur gibt, denen man Gedankenarmut gleichwohl nicht nachsagen kann. Dennoch verstehe ich von Matts Lehrsatz auch als einen klugen Hinweis auf die besonderen Qualitäten des Erzählens, von dem manche Parteigänger der literarischen Moderne so gern behaupten, es sei längst überlebt und im Rahmen eines ernsthaften ästhetischen Nachdenkens nicht mehr satisfaktionsfähig. Wer heute an die erzählerischen Traditionen des Denkens in Szenen anknüpft, fesselt sich deshalb noch lange nicht an billige literarische Konventionen – auch das ist in von Matts fabelhaftem Buch über „Sieben Küsse“ zu lernen.

Für mich persönlich hat Peter von Matt nur einen Nachteil. Er lebt in Zürich. Und Zürich liegt, aus welchen Zufällen auch immer, unglücklicherweise weitab von meinen Reisepflichten. Wäre das anders, hätte ich längst wieder einmal allerlei dreiste Manöver unternommen, um ihn zu einem Essen und einem Gespräch über Literatur zu gewinnen. Zu einem Essen samt kleinem Löffel, der ihm von Anfang an verspricht: „Wir kriegen noch Nachtisch.“

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Buch&Bar 109: Michael Behrendt “I Don’t Like Mondays”

Verkannte Genies an der Gitarre

Heute: Über Das Vergnügen an Missverständnissen bei Lesen und Trinken

Michael Behrendt: "I Don't Like Mondays".Die 66 größten Songmissverständnisse. Theiss Verlag. 19,95 Euro

So ein Rocksong ist ja ganz allein und schutzlos auf der Welt, falls die Band, die ihn geschrieben hat, nicht tagtäglich auf ihn aufpasst. Und dann passieren die schrecklichsten Dinge mit ihm. Er wird missverstanden, missdeutet, missbraucht, miss … sonstwas.

Über die 66 größten Songmissverständnisse hat der Journalist Michael Behrendt jetzt das Buch „I Don’t Like Mondays“ geschrieben (Theiss, 19,95 Euro). Der Titel zum Beispiel zitiert einen Hit der Boomtown Rats, der gern als Nach-dem-Wochenende-Blues gedeutet wird, tatsächlich aber an ein kalifornisches Schulmassaker erinnert. Interessant ist auch, wie viele Leute beim Hören des Nena-Songs „99 Luftballons“ statt der Zeile „99 Kriegsminister, Streichholz und Benzinkanister“ glaubten, die Worte „99 Kriegsminister streichelten Benzinkanister“ zu verstehen. Die erstaunlichste Fantasie bewiesen jedoch die Reklame-Heinis, die mit Johnny Cashs Liebeslied „Ring Of Fire“ einen Werbespot für Hämorrhoiden-Salbe unterlegten.

Das unerschöpfliche Reservoir an Alkohol-Mischgetränken hält natürlich auch zu diesem Thema den richtigen Drink bereit. Der „Misunderstood Beer Cocktail“ wird gemixt aus je 3 ml Mezcal und Tequila, je 2 ml Ginger-Sirup und Limettensaft, 1 ml Honig und Gurkenstreifen, aufgefüllt mit Lagerbier. Probiert habe ich ihn noch nicht. Klingt, als wäre er erfrischend. Ich werde ihn im Sommer testen.

 

2014 startete BUCH & BAR. Die Kolumne ist schon deshalb absolut unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.

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Willy Brandt und Günter Grass: “Der Briefwechsel“

Der Dichter und sein Kanzler

Vor zwei Jahren starb Günter Grass. Seit der “Bechtrommel” war er nicht nur ein Erzähler von Weltruhm, sondern entwickelte sich bald darauf auch zu einem jederzeit politisch engagierter Schriftsteller. Vielleicht ist es, wenn heute die politischen Debatten rapide an Heftigkeit und Dramatik zunehmen, nicht falsch, an den politisch denkenden Autor Grass und seine Freundschaft zu Willy Brandt zu erinnern. Der 2013 veröffentlichte Briefwechsel verrät viel darüber, wie nahe sich beide standen und welchen Einfluss Grass auf den Politiker und Bundeskanzler hatte.

Zwei Männer von Weltruhm, zweimal Tränen: 1966 besuchte Willy Brandt, der spätere Friedensnobelpreisträger, im Berliner Schillertheater das Theaterstück „Die Plebejer proben den Aufstand“ von Günter Grass. Danach schrieb er dem Autor, wie sehr ihn die Aufführung „aufgewühlt“ habe und dass er „mehr als einmal auch nahe am Heulen“ gewesen sei. Literatur war es, die den Politiker aus der Fassung brachte. 1974 dann, als Brandt wegen der Guillaume-Affäre vom Amt des Bundeskanzlers zurücktrat, weinte Grass, der spätere Literaturnobelpreisträger, wie ein Schlosshund. Politik war es, die dem Schriftsteller die Fassung raubte.

Willy Brandt und Günter Grass: "Der Briefwechsel“, Steidl Verlag, 49,80 Euro

Die acht Jahre zwischen beiden emotionalen Aufwallungen machen den Hauptteil des gewaltigen Briefwechsels zwischen Brandt und Grass aus. Gewaltig schon wegen seines Umfangs: Über 1200 Seiten hat der Band „Der Briefwechsel“. Gewaltig aber auch von seiner Bedeutung her: Seit Goethes Freundschaft mit Großherzog Karl August vor 200 Jahren gab es keinen deutschen Schriftsteller mehr, der so enge Beziehungen zu einem aktiven Machthaber pflegte wie Grass zu Brandt und einen so unmittelbaren Einfluss auf dessen Politik hatte.

Erstmals begegneten sich beide, als der Regierende Bürgermeister Brandt kurz nach dem Mauerbau einige Schriftsteller zum Gespräch ins Berliner Rathaus bat. Grass war zwar nicht eingeladen, ging aber trotzdem hin. Als Brandt die Autoren fragte, wer künftig bereit sei, ihm beim Überarbeiten seiner Reden zu helfen, meldete sich nur einer: ausgerechnet der damals als Anarchist und angeblicher Pornograf verschriene Grass. Der aber hielt Wort.

Schon bald ging es nicht mehr nur um Formulierungstipps. Grass kümmerte sich um Brandt wie ein Rede-Coach um seinen Klienten: Er korrigierte dessen Aussprache („verschwimmende Satzenden“) oder Vortragsrhythmus („stockend“). Schließlich begann er, konkrete politische Empfehlungen zu geben. So beschwor er Brandt 1966, auf keinen Fall in eine Große Koalition („falsche Harmonie“) einzutreten, und bittet, seine Argumente allen SPD-Abgeordneten vorzutragen: „Ich weiß, dass Herbert Wehner allzu rasch geneigt ist, im Andersdenkenden einen Neurotiker zu vermuten. Dennoch bitte ich Sie, diesen Brief der Fraktion zu verlesen. Nichts soll unversucht bleiben.“

Günter Grass: "Der politische Literat". 1 CD. Günter Grass im Originalton. Random House Audio. 10,95 Euro

Damit hat der Briefwechsel seine Tonlage gefunden: Grass häuft Vorschlag auf Vorschlag, wie die SPD und das Land zu führen seien, liefert Argumente für Wahlkämpfe oder berichtet von der Stimmungslage unter Intellektuellen. Brandts Antworten dagegen sind kurz und konzentriert, er bestreitet nur gefühlte zehn Prozent der Korrespondenz. Manche haarsträubende Idee des Schriftstellers übergeht er dabei mit diplomatischem Schweigen: So etwa, wenn Grass 1968 anregt, die SPD solle „einen Anteil ihrer Mitgliedsbeiträge Nord- und Südvietnam zur Verfügung“ stellen.

Anderes jedoch nimmt Brandt sehr ernst – und das zu Recht. Grass, mit dem sich Brandt ab 1968 duzt, ist in mancherlei Hinsicht erstaunlich hellsichtig. So warnt er schon 1970, noch bevor die RAF die ersten Banken überfällt, eindringlich vor den Gefahren des Terrors. Und erkennt bereits 1971 in Helmut Kohl („stärkster Eindruck“) das größte Talent der CDU: „Auf sympathisch anmutende Weise gab er bestimmt und ohne die in Bonn üblichen Ichwürdemeinen-Formulierungen Auskunft über seinen politischen Standort.“

Mehrfach fragt Grass an, ob Brandt ihn nicht mit politischen Aufträgen betrauen wolle: „Dir direkt unterstellt“, sei er gern bereit, „für eine Entwicklungspolitik zu arbeiten.“ Brandt reagiert sehr zurückhaltend, bietet ihm kaum mehr an als die „Eröffnung des Goethe-Instituts in Australien“ – wozu Grass keine Lust hat. Doch der Freundschaft beider Männer tut das keinen Abbruch.

Willy Brandt: "Ein Zeitbild in Originaltönen. Wir sind keine Erwählten, wir sind Gewählte." Verlag Antje Kunstmann. 12,99 Euro

Das Verhältnis von Grass zu Brandt wirkt tatsächlich wie das eines hochbegabten, aber rebellischen Sohnes zum verehrten Übervater. Was gelegentliche Anfälle von Größenwahn auf Seiten des Schriftstellers nicht ausschließt. Als Brandt erstmals Kanzler wird, gibt Grass detaillierte Hinweise, wie das Kabinett zusammenzustellen sei, und drängte ihn, keinesfalls „untaugliche Männer wie Egon Franke und Carlo Schmid“ zu berufen: „In dieser Stunde sollten wir uns jede Sentimentalität verbieten.“

Auch mit direkter Kritik hält sich Grass nicht zurück. Immer wieder verlangt er von Brandt einen „härteren Führungsanspruch“ innerhalb der Partei. Und wirft ihm vor, die falschen Mitarbeiter auszuwählen: “. . . möchte ich Dich darauf aufmerksam machen, dass die Muse der Personalpolitik Deine Nähe scheut.“ Ein höchst ahnungsvolles Urteil, wenn man bedenkt, woran Brandt als Kanzler schließlich scheiterte: an seinem persönlichen Referenten Günter Guillaume, der sich als Stasi-Spion entpuppte.

Indirekt hatte Grass vielleicht sogar Anteil an einer der berühmtesten politischen Gesten der deutschen Nachkriegsgeschichte. Bevor Willy Brandt 1970 zur Unterzeichnung des Warschauer Vertrags nach Polen aufbrach, ermahnte ihn Grass, dieses außergewöhnliche Ereignis nicht mit der “üblichen Glätte und innerhalb des gewohnten Protokolls vonstatten“ gehen zu lassen. Möglicherweise war es dieser Rat, der Brandt auf die Idee zum Kniefall vor dem Denkmal für die Helden des Warschauer Ghettos brachte – dem größten symbolpolitischen Erfolg in seiner Karriere.

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Buch&Bar 108: Philipp Blom “Die Welt aus den Angeln”

Die Philosophie, die aus der Kälte kam

Heute: Über den Fluch des schlechten Wetters beim Lesen und Trinken

Philipp Blom: "Die Welt aus den Angeln". Eine Geschichte der Kleinen Eiszeit von 1570 bis 1700 sowie der Entstehung der modernen Welt, verbunden mit einigen Überlegungen zum Klima der Gegenwart. Hanser Verlag. 24 Euro.

Übrigens: Das Mittelalter hatte gutes Wetter. Im Schnitt war es in Europa zwei bis drei Grad wärmer als heute, schreibt der Historiker Philipp Blom. Das hat die Leute fröhlich, aber auch ein wenig faul gemacht. Auf den Feldern wuchs und gedieh alles, warum sich also Sorgen machen?

Doch dann sanken die Temperaturen rapide um fast fünf Grad und damit ging dem Spätmittelalter der Hintern auf Grundeis: Missernten, Hungersnöte, Bauernaufstände. Plötzlich war, so Bloms Buchtitel, „Die Welt aus den Angeln“ (Hanser, 24 Euro). Und er zeigt, wie die Klimakrise die Gesellschaften förmlich umkrempelte, in Glaubenszweifel stürzte, zu Hexenjagden aufstachelte, aber auch Zuflucht suchen ließ bei mehr Wissenschaft, Technik, Aufklärung. Viel von dem, was heute unser modernes Denken ausmacht, ist unter den tiefen Schneedecken des endlos langen Winters von 1570 bis 1700 gesprossen.

Zugegeben, es ist ein bisschen merkwürdig, so ein frostiges Buch ausgerechnet jetzt zu lesen, wenn im Frühlingslicht die Krokusse blühen. Aber es lohnt sich, Blom ist ein saukluger Weltgeschichts-und-Witterungskenner. Ein paar warme Worte zum heutigen Klimawandel liefert er außerdem gleich mit. Nach denen kann man einen steifen Drink gut vertragen, zum Beispiel den Cocktail-Klassiker „Damn the Weather“ mit 3 cl Gin, 1,5 cl Orangensaft und je 1 cl süßen Wermuth und Triple Sec. Und Eis.

 

2014 startete BUCH & BAR. Die Kolumne ist schon deshalb absolut unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.

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Buch&Bar 107: Hanns Zischler “Kafka geht ins Kino”

Als Franz Kafka mal bei Mona Lisa vorbeischauen wollte

Heute: Über die Lust am Kunstraub beim Lesen und Trinken

Hanns Zischler: "Kafka geht ins Kino". Galiani Verlag. 39,90 Euro

Früher war alles besser. Sogar das Kino war besser. Am 21. August 1911 wurde im Louvre die Mona Lisa gestohlen. Als der Tourist Franz Kafka am 8. September, nur 18 Tage später, nach Paris kam, zeigte ein Kino am Boulevard Montmatre bereits einen Verfilmung des Verbrechens als Komödie.

Daran sollte sich Hollywood heute mal ein Beispiel nehmen. Zugegeben, der Film war nur 10 Minuten lang und eher putzig als komisch. Aber mit den Augen Kafkas betrachtet, hatte er was: Der Louvre-Direktor kriegt die Nachricht morgens im Bett, gerät in Verdacht, selbst der Dieb zu sein, und wird verhaftet. Drei Jahre später begann Kafka seinen Roman „Der Prozess“ mit dem Satz: „Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“

Der Schauspieler Hanns Zischler hat nicht nur das wunderbare Buch „Kafka geht ins Kino“ (Galiani 39,90 Euro) geschrieben, sondern jetzt auf DVD noch sechs Filme hinzugefügt, die Kafka sah. Ich mochte sie alle und habe mir dazu einen Cocktail Mona Lisa gemixt mit 5 cl trockenem Martini, 2 cl Crème de Cacao, Maraschinokirsche, Eis und einem Hauch frisch geriebener Muskatnuss.

Der Louvre bekam seine Mona Lisa übrigens zwei Jahre später wieder zurück, als der Dieb das Bild in Italien für 500.000 Lire zu verkaufen versuchte. Er war sich ganz sicher, nie geschnappt zu werden, denn er hatte sich für den Verkauf den Decknamen Leonardo gegeben.

 

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Buch&Bar 106: Dagrun Hintze “Ballbesitz”

Der Intendant tanzte in der Nachspielzeit

Heute: Über den Rausch des Dionysos beim Lesen und Trinken

Dagrun Hintze: "Ballbesitz". Frauen, Männer und Fußball. Mairisch Verlag. 11 Euro

Wie nah sich Theater und Fußball sind, begriff ich 2013 beim Spiel Borussia Dortmund gegen FC Malaga. Ich sah es in einer verräucherten Berliner Kneipe. Sie liegt schräg gegenüber eines bundesweit gefeierten Theaters, das für diesen Abend eine fünf Stunden lange Premiere angesetzt hatte. Nach der ersten Halbzeit schlich der bundesweit gefeierte Intendant aus dem Theater zu uns rüber, sah die beiden legendären Tore in der Nachspielzeit, schrie, tanzte, umarmte Menschen, trank Bier, viel Bier, und schlich dann zurück, um die letzte Stunde seiner Inszenierung abzusitzen.

Die Theaterautorin Dagrun Hintze hat jetzt ein hinreißend kluges, witziges und schon von der Spielanlage her brillantes Fußballbuch geschrieben: „Ballbesitz“ (Mairisch Verlag, 11 Euro). Sie erinnert daran, dass die Dionysien, die frühesten Theaterfeste der Antike, dazu dienten, das Publikum in einen Rausch der Entgrenzung und Verbrüderung zu versetzen. Und stellt fest, „dass Fußball eine größere Nähe zu den Dionysien aufweist als die meisten Theateraufführungen, die ich besuche“. Das nenne ich eine Tatsachenentscheidung, da gibt’s nix zu reklamieren.

Dagrun Hintze hat ihr Herz an den BVB verloren. Also nehme ich ihr zu Ehren einen tiefen Schluck Brinkhoff’s No. 1 und singe laut, die Flasche in der einen erhobenen Hand, das Buch in der anderen: „Forza BVB – Schwarz und Gelb olé!“

 

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Buch&Bar 105: Jan Mohnhaupt “Der Zoo der anderen”

Die herrliche Ruhe der Elefanten beim Streit

Heute: Über langsame Kühe und andere Zoo-Skandale beim Lesen und Trinken

Jan Mohnhaupt: "Der Zoo der anderen". Als die Stasi ihr Herz für Brillenbären entdeckte & Helmut Schmidt mit Pandas nachrüstete. Hanser Verlag, 20 Euro

Es waren mal zwei kleine Zoodirektoren. Beide so um die 1,70 Meter. Und beide hatten ihren Zoo in der gleichen Stadt. Der eine in Ost-, der andere in West-Berlin. Glücklicherweise stand zwischen ihnen damals eine Mauer, denn leiden konnten sie sich nicht. Aber sobald sich einer etwas schickes Neues für seinen Zoo kaufen konnte, sagen wir: ein Hängebauchschwein, eine Warzenschnecke, ein paar Brüllaffen oder was sonst ein Zoodirektorenherz höher schlagen lässt, luden er den anderen zur Premiere ein, damit er vor Neid richtig schön blass wurde.

Die beiden hießen Klös und Dathe und Jan Mohnhaupt hat ihre sehr lustige, sehr lehrreiche Geschichte jetzt in „Der Zoo der anderen“ aufgeschrieben (Hanser, 20 Euro). Wenn man das Buch liest, wundert man sich, dass seinerzeit aus dem kalten Krieg nicht doch irgendwann mal ein heißer wurde. Als Klös (West) zum Beispiel sein Elefantengehege erweitert hatte, meinte Dathe (Ost) das Gehege sein schön, aber die Elefanten mickrig, woraufhin Klös ihn gegen einen der grauen Riesen schubste und Dathe munter zurückrempelte. Glücklicherweise erklärten sich die Elefanten für neutral und ließen die Menschen das unter sich ausmachen.

Zur Beruhigung habe ich mir nach dem Buch eine Dose „Slow Cow“ aufgemacht, das Gegenteil zu „Red Bull“: Mit Kamille, Baldrian und L-Theanin sorgt die Langsame Kuh für das, was damals auch Ost und West brauchten: für Entspannung.

 

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Buch&Bar 104: Marc Ritter / Tom Ising „Size matters“

Das Flüstern der Frau am Ohr des Mannes

Heute: Über die Gefahren der Größe beim Lesen und Trinken

Marc Ritter / Tom Ising: "Size matters". Das Buch über wahre Größe. Ecowin Verlag. 24 Euro

Okay, ich gebe zu, es ist ein heikles Thema. Aber wir müssen da jetzt durch. Wie wichtig ist Größe? Ich meine, wie wichtig ist sie wirklich? Weltweit flüstern verständnisvolle Frauen besorgten Männern zu: „Size doesn’t matter.“ Gut. Aber stimmt das tatsächlich?

Marc Ritter und Tom Ising trauen derart tröstenden Sirenenklängen nicht. Ihr Buch über wahre Größe heißt „Size matters“ (Ecowin, 24 Euro). Sie versammeln lauter Superlative: Der größte Baum der Welt ist ein Sequoia mit 115 Metern. Das höchste Haus der Welt wird nach Fertigstellung 2018 der Jedda Tower in Saudi-Arabien mit 1007 Metern sein. Die Stadt aller Städte ist Chongqing in Zentralchina: fast so groß wie Österreich und 31,8 Millionen Einwohnern. Politisch wird’s, sobald man nach den größten Tötungsrisiken fragt: 1,25 Millionen Menschen sterben jährlich bei Autounfällen, über 32.000 durch Terror, davon allerdings nur 0,5 Prozent in westlichen Ländern. Und die größte Müllansammlung ist ein Plastik-Strudel im Nordpazifik, der die vierfache Fläche Deutschlands einnimmt.

Auch jeder Bar-Besuch beweist, wie wichtig wahre Größe ist. Hier, in der Bar,  wird sie sogar zur Herrscherin über die Zeit. Wählt man beispielsweise einen Cocktail wie TGV – Tequila, Gin, Vodka zu gleichen Teilen – wird schlagartig klar: Je größer das Glas, desto kürzer der Abend. Ein rasend schneller Zug in Richtung Untergang.

 

2014 startete BUCH & BAR. Die Kolumne ist schon deshalb absolut unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.

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Buch&Bar 103: Matthias Debureaux „Die Kunst, andere mit seinen Reiseberichten zu langweilen“

Der Gentleman reist, genießt und schweigt

Heute: Über den Kampf um die Aufmerksamkeit beim Lesen und Trinken

Matthias Debureaux: "Die Kunst, andere mit seinen Reiseberichten zu langweilen". Übersetzung: Patricia Klobusiczky. Nagen & Kimche. 12 Euro

Es gibt Künste, die jeder  beherrscht. Wirklich jeder, ganz instinktiv. So zum Beispiel „Die Kunst, andere mit seinen Reiseberichten zu langweilen“. Der französische Journalist Matthias Debureaux hat jetzt trotzdem ein gleichnamiges Lehrbuch geschrieben (Nagel & Kimche, 12 Euro).

Warum hat er das getan? Ich habe keinen blassen Schimmer. Vielleicht war er scharf auf die zwölf Euro. Das Buch besteht aus 109 Seiten. Das ist fürchterlich lang, wenn man bedenkt, dass ein durchschnittlich begabtes Versuchsäffchen spätestens nach acht dieser Seiten begriffen hat, nach welchen immergleichen Muster der Text gestrickt ist: Debureaux hangelt sich von einem Ratschlag zu anderen, wie man möglichst klischeehaft, öde, selbstgefällig, und witzlos erzählt. Offenbar hält er das für komisch. Mir kam es ab der neunten Seite klischeehaft, öde, selbstgefällig und witzlos vor.

Mit Rücksicht auf meine zunehmende Schläfrigkeit habe ich beim Lesen vorsichtshalber auf jede Form von Alkohol verzichtet. Lieber griff ich zu dem Kinder-Klassiker Roy Rogers: Cola und Grenadin-Sirup im Verhältnis von 10:1, dazu einen Zitronen-Spalt und eine Maraschino-Kirsche. Mein Puls begann nicht gerade zu rasen, aber, immerhin, ich blieb wach. Danach habe ich nochmal das Gleiche gemixt, diesmal mit einem guten Schuss Rum. Als Trost. Nennt sich Rum’n’Roy. Ich hatte es nötig.

 

2014 startete BUCH & BAR. Die Kolumne ist schon deshalb absolut unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.

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