Champagner und Weltrevolution
Die Fraktionsvorsitzende der Linken, Sahra Wagenknecht, will das Land umbauen. Ihr Entwurf eines modernen Sozialismus “Reichtum ohne Gier” steht auf den Bestsellerlisten. Und auf einmal wirft die Antifa mit Torten, Rechte jubeln ihr zu. Wo steht sie genau? Ich war mit ihr Torte essen und habe sie gefragt.
Darf man das Opfer einer Tortenattacke zum Tortenessen einladen? Um symbolisch und genussvoll aufzuessen, was der Täter als Munition für seinen Angriff benutzte? Wir sind im „Grosz“ verabredet, einem Kaffeehaus mit opulenter Kuchentheke im Stil von Berlins sagenhaften Zwanzigerjahren. Es ist ein großartiger Sommertag, der Kurfürstendamm leuchtet, als läge er irgendwo am Mittelmeer, und Sahra Wagenknecht kommt allein, ohne Bodyguard. Von Ängstlichkeit keine Spur.
Sahra Wagenknecht: "Reichtum ohne Gier. Wie wir uns vor dem Kapitalismus retten". Campus Verlag. 19,95 Euro
Sie wählt ein Himbeertörtchen, klein, aber fein und – schön rot. Die Gäste im Café drehen die Köpfe mit, während wir einen Tisch suchen. Natürlich, man kennt Sahra Wagenknecht aus den Talkshows der Nation, aber das ist es nicht allein. Sie ist eine selbstbewusste, schöne Frau, sie fällt auf und weiß ohne Koketterie damit umzugehen. Ihr Vater war Iraner, sie verdankt ihm einen aparten südlichen Zug, der sich schwer einordnen lässt. Sollte Hollywood je auf die Idee kommen, das Leben Rosa Luxemburgs zu verfilmen, wäre sie für die Hauptrolle keine schlechte Besetzung.
Sie hat ein neues Buch geschrieben, „Reichtum ohne Gier“ (Campus, 19,95 Euro), seit mehreren Wochen steht es auf den Bestsellerlisten. Darin geht es ihr nicht um tagespolitischen Kleinkram, sondern um das ganz große Ganze – den Entwurf einer weithin neuen Wirtschaftsordnung.
An Universitäten gibt es eine alte psychologische Faustregel: Nie fühlen sich Absolventen klü-ger als kurz nach einem bestandenen Examen. 2012 hat Sahra Wagenknecht in Volkswirtschaft promoviert, kein schlechter Augenblick also für so ein wirklich ehrgeiziges Buchprojekt.
Schon auf den ersten Seiten wird klar, welch weiten Weg Sahra Wagenknecht zurückgelegt hat, seit sie in der PDS als Mitglied der Kommunistischen Plattform startete. Inzwischen ist sie eine Linke, die ausdrücklich anerkennt, dass der Kapitalismus „jenen enormen Reichtum geschaffen hat, der heute das Leben selbst des ärmsten Einwohners der Industriestaaten weit über das Niveau seiner Ahnen aus früheren Jahrhunderten“ gehoben hat. Eine Linke, die für Marktwirtschaft plädiert, für Unternehmergeist und Leistungswettbewerb.
Kein Wunder, wenn sie damit unter alten Weggefährten nicht zu Everybody’s Darling wird. Aber Sahra Wagenknecht ist viel zu sehr Politik-Profi und Fraktionsvorsitzende, als dass sie einen Keil zwischen sich und ihre Partei treiben ließe: „Planwirtschaft hat nicht funktioniert, Vollverstaatlichung ist kein sinnvoller Weg“, antwortet sie mir, während sie ihr Törtchen in himbeergroße Stücke teilt, „was wir brauchen und was viele Leute, gerade junge Leute erwarten, ist doch der Entwurf eines originär neuen Wirtschaftsmodells, das die Missstände des Kapitalismus beseitigt.“
Und in dieser Hinsicht ist ihr Buch weiß der Himmel nicht zimperlich. Großbanken und -konzerne dürften sich darauf gefasst machen, zerlegt zu werden, Erbschaften würden auf maximale Werte von einer Million Euro pro Kind beschränkt, spekulative Finanzgeschäfte sollen schlicht verboten, Aktiengesellschaften und GmbHs in Rechtsformen überführt werden, die den Profit langfristig nicht Eigentümern, sondern den Mitarbeitern oder dem Gemeinwohl zuführen.
Das Ganze wirkt wie die Bastelanleitung für eine moderne sozialistische Weltwirtschaftsordnung: entworfen im coolen Design unserer Zeit, aber naturgemäß ohne Funktionsgarantie.
Uwe Wittstock, Sahra Wagenknecht im Café Grosz, Berlin. Foto: Parwez für Focus Magazin
Sahra Wagenknecht rechtfertigt ihre Pläne so eloquent wie kühl. Doch ihre utopischen Höhenflüge stehen in einem seltsamen Kontrast zu ihrer tagespolitischen Genügsamkeit. Als ich sie frage, weshalb ihre Partei bei Umfragen vom schier grenzenlosen Zorn auf die Banken nach der Finanzkrise eigentlich nicht profitiere, sagt sie: „Neun bis zehn Prozent, das ist für uns nicht schlecht, es hat lange nicht so viele Wähler gegeben, links von der SPD.“ Und klagt über das festsitzende, veraltete Vorurteil des bürgerlichen Mittelstands, der noch immer glaube, die Linke wolle ihm sein Erspartes wegnehmen, anstatt es vor Spekulanten zu schützen.
Auf den ersten Blick bringt Sahra Wagenknecht gute Voraussetzungen dafür mit, hier für einen Imagewechsel zu sorgen: eine intelligente, gut aussehende, noch junge Frau, deren Vorstellung von Linkssein sich mit Lebensfreude und Lebensgenuss verknüpft anstatt mit Entsagung und Askese. „Ich bin ja nicht links, weil ich möchte, dass alle nur Wasser trinken, sondern ab und zu auch mal Champagner“, sagt sie und spendiert mir ein Lächeln dazu. „Eine gerechte Gesellschaft heißt auch: jeder mal ins Sterne-Restaurant, wenn er Lust dazu hat.“
Aber wer Sahra Wagenknecht genau zuhört, merkt auch, wie häufig das Wort „Ich“ in ihren Sätzen vorkommt. Ich halte dies für richtig, ich möchte das erreichen, ich möchte jenes Ziel durchsetzen. Sie ist eine machtbewusste Frau mit spürbarem Drang, sich durchzusetzen. Sie hat keine Lust, sich als Politikerin auf das menschelnde, alle umarmende „Wir“ einer Claudia Roth festlegen zu lassen.
Durchaus verständlich. Unter den männlichen Ego-Shootern des Politikbetriebs ist diese Haltung weit verbreitet. Doch es zeigt auch: Sahra Wagenknecht ist kein Team-Player, sie gehört viel eher zu jenen, die gern Richtlinien für die anderen ziehen. Anders als seinerzeit Willy Brandt in der SPD ist sie selbst in der eigenen Partei keine Integrationsfigur, der die Herzen zufliegen. Sollte sie tatsächlich das Vertrauen bürgerlicher Wähler gewinnen wollen, liegt abermals ein weiter Weg vor ihr.
Sahra Wagenknecht. Foto: Parze für Focus Magazin
Zu ihren Lieblingsgegnern zählt die EU – und das schon lange vor dem Brexit. Hier ist sie Populistin und Machttaktikerin in einem. Weil ihre Wählerklientel in der Globalisierung einen Feind und keine Chance sieht, schießt Sahra Wagenknecht das alte linke Ideal des Internationalismus kurzerhand in den Wind. Und weil sie nicht einmal in ihren kühnsten Träumen hoffen kann, die ganze EU auf ihr Wirtschaftsprogramm zu verpflichten, predigt sie: „Wer vernünftige Regeln will, kann sie am besten auf nationaler Ebene einführen.“ Und fordert nach dem Brexit nun auch in Deutschland Referenden über EU-Verträge.
Damit manövriert sie sich allerdings in enge Nachbarschaften zu den neuen Nationalisten der AfD und anderer Länder. „Mit denen“, darauf beharrt sie, „habe ich nichts gemein, nicht das Geringste.“ Ihr gehe es allein darum, die wirtschafts- und finanzpolitische Souveränität des Landes zurückzugewinnen. Die Gefahr, daraus könnten nicht nur ökonomische Konkurrenz zwischen Staaten entstehen, sondern auch wieder nationalistische Feindseligkeiten, wie sie jahrhundertelang den Kontinent verwüsteten, will sie nicht sehen. Man könne das, sagt sie, bewusst verhindern, und auf europäische Zusammenarbeit als Friedensprojekt wolle sie auf keinen Fall verzichten.
Ob sich das tatsächlich trennen lässt? Konkurrenz in Wirtschaftsfragen, aber Zusammenarbeit in Friedensfragen? Vielleicht war die Politikergeneration um Helmut Kohl letztlich linker als die linke Vordenkerin Sahra Wagenknecht. Denn wie Karl Marx stellte sie die Ökonomie in den Mittelpunkt ihres Denkens und der EU: Sie vertraute darauf, dass der Zwang zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit die politische Zusammenarbeit nach sich zieht. „Der Nationalismus – das ist der Krieg“, sagte der Sozialist François Mitterrand, Kohls französischer Amtskollege.
Es war diese Rückkehr zu nationalen Kategorien, die ihr den Tortenangriff eintrug. Sie sprach zwar nicht von einer Obergrenze für die Flüchtlinge, die Deutschland aufnehmen soll, sondern von Kontingenten von Flüchtlingen, die eine Chance haben müssten, auf legalem Weg – nicht durch Schlepper – nach Deutschland zu kommen. Aber, auch darauf beharrt sie, ein solcher Zuzug könne „nicht völlig unbegrenzt sein, weil Kapazitäten logischerweise immer begrenzt sind“.
Für solche Sätze winken ihr ältere rechte Herren wie AfD-Vize Alexander Gauland über alle Parteigrenzen hinweg begeistert zu. Und jungen Antifa-Aktivisten gilt sie als Menschenfeindin und Tortenziel. Sahra Wagenknechts Buch will klare Wege weisen in eine gründlich andere Zukunft, doch sie selbst wirkt, als hätte sie sich zwischen den Frontlinien gründlich verheddert.