Die Dichterin, der Alkohol und ein Latin Lover
Buch&Bar bringt heute: Unglück und 80er-Jahre-Disco-Scheiß beim Lesen und Trinken
Literatur hat, wenn sie gut ist, erstaunliche Eigenschaften. Unter anderem kann sie selbst aus purem Unglück noch einen Funken Glück herausschlagen. Nehmen wir mal die Amerikanerin Lucia Berlin (1936 – 2004): Sie hatte eine üble Skoliose, Mutter, Großvater und Onkel waren Trinker, der Großvater hat sie sexuell, die Mutter sie psychisch missbraucht. Später war sie lange selbst alkoholabhängig.
In ihren Short-Stories „Was ich sonst noch verpasst habe“ (Arche, 22,99 Euro) erzählt sie von all dem. Und zwar mit so viel Klugheit, Menschenkenntnis und Witz, dass einen die Geschichten mit einer seltsamen Freude erfüllen: Das Leben war nicht eben knuffig zu dieser Frau, wirklich nicht, aber auf dem Papier war sie die Stärkere, da hat sie ihre Misere in eine wunderbare halb melancholische, halb ironische Form gezwungen. Bis heute glaubt man zu spüren, wie sehr dieses Fünkchen Glück sie gewärmt hat.
In der Kolumne von gestern versprach ich, den Cocktail „Kiss me“ zu testen: Agavero Tequila, Chambord-Likör, Passionsfruchtsaft, Himbeeren, zwei Limettenachtel. Stefan Weber, Chef der Victoria Bar, warf einen Blick auf das Rezept: „Den mix’ ich nicht, das ist so’n achziger Jahre Disco-Scheiß.“ Vielleicht hätte es Lucia Berlin gut getan, hätten amerikanischen Barkeeper häufiger so auf ihre Bestellungen reagiert. Nach längeren Verhandlungen war Weber bereit, mir stattdessen einen „Latin Lover“ zu machen: Jose Cuervo Silver, Cachaça Berro, Zitronensaft, Ananassaft. Aber der schmeckte eher nach einem matten Caipirinha als nach einem feurigen Liebhaber.
2014 startete BUCH & BAR. Die Kolumne ist schon deshalb absolut unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das, worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.