Gerhart Baum und Burkhard Hirsch zu dem Stück “Terror” von Ferdinand von Schirach

Zwei älteren Herren bei ihrer Blamage zuschauen 

Die Sonntagszeitung der FAS macht ihr Feuilleton heute auf mit einem seltsamen Gespräch: Der Ex-Vizepräsident des Deutschen Bundestages Burkhard Hirsch und der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (beide FDP) greifen das seit Oktober 2015 an 39 deutschsprachigen Bühnen gespielte Stück “Terror” von Ferdinand von Schirach mit offenkundig unliterarischen Argumenten an. Aber widersprochen wird ihnen nicht.

Man darf Gerhart Baum und Burkhard Hirsch nicht böse sein, wenn sie nichts von
Literatur verstehen. Schließlich sind sie durchaus verdiente Juristen. Wenn sie sich offenkundig wenig mit Dramentexten oder Theater beschäftigt haben, dann berührt das ihre zweifellos großen beruflichen Verdienste nicht. Allerdings wäre es klug von ihnen, sich im Urteil zu literarischen bzw. dramatischen Arbeiten zurückzuhalten. Doch das tun sie nicht.

Das Stück, das sie im Interview angreifen, verhandelt den fiktiven Fall eines von Terroristen entführten Passagierflugzeugs, das von einem Kampfpiloten abgeschossen wird, als es die Terroristen in den Anflug auf ein voll besetztes Fußballstadion lenken. Da das Stück sich eng an die Diskussionen um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts anlehnt, die einen solchen Abschuss als rechtswidrig bezeichnet, stellt Baum im Interview den Kunstcharakter des Stücks in Frage und nennt es statt dessen “eine Art Dokumentation”. In meinen Augen ist das Stück eine sehr gelungene literarische Leistung und knüpft mit zeitgenössischen Mitteln an die Brechtsche Lehrstücktheorie und -praxis an. Aber selbst wenn es mit rein dokumentarischen Mitteln arbeitete, würde das den Kunstcharakter des Stücks keineswegs in Frage stellen: Gerade in der deutschsprachigen Theaterliteratur gibt es eine ausgepräge Tradition des Dokumentardramas – bis hin zu Peter Weiss’ “Die Ermittlung” (1965), das zum größten Teil aus wörtlichen Protokollen des Frankfurter Auschwitzprozesses besteht.

Baum wirft Schirach zudem vor, er stelle die eigenen Grundüberzeugungen (dass nämlich ein von Terroristen gekapertes Passagierflugzeug auf keinen Fall unter staatlicher Mithilfe abgeschossen werden dürfe) “zur Disposition”, weil in dem Theaterstück auch die möglichen Gegenargumente zu dieser Grundüberzeugung von Figuren auf der Bühne vorgebracht werden. Offenbar verwechselt Baum hier Literatur (zu deren üblichen Verfahrensweisen es gehört, möglichst viele Haltungen zu einem Thema darzustellen) mit Propaganda (die nur eine Haltung als die einzig richtige darstellt).

Und wieder ist es Baum, der Schirachs Stück vorwirft, darin kämen Schlagworte vor wie “Wir befinden uns im Krieg” – so als könne man heute ein Stück über Terroristen schreiben, ohne die – meines Erachtens falsche, hysterisierte – Haltung von Politikern oder Bürgern zu erwähnen, die tatsächlich und zu Hunderttausenden von einem “Krieg gegen den Terror” sprechen. Er tut so, als wären die Sätze, die eine Figur in dem Stück eine Handlungsempfehlung, die der Autor von Schirach an sein Publikum mit auf den Weg gibt. “Schirach bringt die Leute dazu”, sagt Burkhard Hirsch, “eine falsche Entscheidung zu treffen und sie in die Wirklichkeit zu transponieren.” Das ist schlicht absurd und klingt so, als hätte von Schirach ein Volksverhetzungs-Drama geschrieben, mit dem Ziel, sein Publikum gegen seine eigenen Überzeugungen aufzuwiegeln.

Ferdinand von Schirach: "Terror. Ein Theaterstück und eine Rede". Piper Verlag. 16 Euro

Wie oberflächlich die Lektüre des Stückes von Hirsch und Baum gewesen sein muss und wie willkürlich sie mit den literarischen Tatsachen umgehen, zeigt noch ein weiteres Detail des Interviews. Hirsch bemängelt, Schirach habe in seinem Stück nicht danach gefragte: “Wieso hat der Staat das angeblich bedrohte Stadion nicht räumen lassen?” Doch diese Frage wird im Stück von Schirach selbstverständlich behandelt. Die fiktive Anklagevertreterin des Stückes fragt ausdrücklich danach. Deshalb korrigiert Gerhart Baum seinen Mitstreiter Hirsch, der das Stück offenbar nur unzureichend kennt: “Die Frage wird kurz thematisiert.”

Aber auch diese Berichtigung ist unfair formuliert. Die Frage nach der möglichen Räumung des Stadions wird von der Anklagevertreterin auf immerhin 4 Seiten des Stückes mit einem Zeugen diskutiert (S. 52 bis 55), also keineswegs kurz, sondern pointiert und einprägsam.

Aber wie gesagt, Hirsch und Baum sind verdiente Juristen, keine Literaturwissenschaftler. Ihre Argumente gegen das Stück machen einen auffällig illiberalen Eindruck, so als würden sie einem Autor das Wort verbieten wollen, der das brisante Thema anders behandeln möchte, als es ihren Vorstellungen entspricht. Das passt eigentlich in keiner Weise zu diesen Politikern.

Das Gespräch wurde geführt von Julia Encke und Anne Ameri-Siemens, von denen ich Julia Encke gut kenne und sowohl als Kollegin wie Kritikerin schätze. Umso mehr überrascht es mich, dass die beiden Interviewerinnen, die sich in literarischen Fragen weit besser auskennen als beide Juristen, die Herren Hirsch und Baum auf ihre oft haarsträubenden Argumente und Missverständnisse nicht angesprochen haben. Seltsam. Es wirkt fast so, als hätten Encke und Ameri-Siemens mit verschränkten Armen dabei zugeschaut, wie sich die beiden älteren Herren in diesem Gespräch blamieren.

Und merkwürdig ist auch, dass es Schirachs Stück nicht als Verdienst angerechnet wird, einen so spröden Stoff wie ein Urteil des Verfassungsgerichts zu einem in vielen Theatern heftig debattierten Diskussionsthema gemacht zu haben. Immer wieder wird berichtet, wie viele Zuschauer sich auch nach Ende der jeweiligen Vorstellung vom Thema des Theaterabends nicht trennen können und diskutieren, bis ungeduldige Theaterhausmeister das Foyer schließen. Ich sah die Premiere des Stückes im Schausspiel Frankfurt und kann bestätigen: eine derart engagierte und bewegt politische Diskussion habe ich an einem Theater seit dem Inszenierungsversuch von Fassbinders “Der Müll, die Stadt und der Tod” 1985 nicht erlebt.

Dass dabei auch Ansichten vertreten werden, die Baum und Hirsch (und von Schirach) nicht behagen, ist Teil der demokratischen Meinungsbildung. Es ist überraschend, dass Liberale wie Baum und Hirsch den literarischen Anlass zu einer derart regen politischen Diskussion und daraus folgenden Bewusstseinbildung angreifen und zu unterdrücken versuchen.

Nachtrag am 1. August 2016:

Hier nun die Reaktion der ARD auf den Angriff von Gerhart Baum und Burkhard Hirsch:

Volker Herres: “Geplanter ,Terror’-Fernsehabend im Oktober bleibt selbstverständlich im Programm.”

01.08.2016 – 10:44

München (ots) – Programmdirektor Volker Herres zu der Forderung der ehemaligen Bundespolitiker Gerhart Baum und Burkhard Hirsch in der gestrigen “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung”, den geplanten Fernsehabend mit der Verfilmung von Ferdinand von Schirachs Theaterstück “Terror” (AT) und “hart aber fair” im Oktober aus dem Programm zu nehmen:

“Die von Gerhart Baum und Burkhard Hirsch aufgeworfenen Fragen sind hoch spannend und ein bereichernder Beitrag zur Diskussion. Genau deshalb haben wir die Verfilmung auch so eng mit ‘hart aber fair’ verknüpft. Denn hier ist das geeignete Forum, in dem sowohl das Zuschauervotum als auch die Hintergründe und sachlichen Grundlagen des Stücks von Ferdinand von Schirach (selbstverständlich inklusive der verfassungsrechtlichen Seite) aus unterschiedlichster Perspektive beleuchtet, bewertet und gewichtet werden können. Gerade darin liegt ja der Reiz des Abends! In einem Punkt bin ich allerdings ganz anderer Meinung als Baum und Hirsch: Für fragwürdig oder gar populistisch halte ich von Schirachs Stück nicht. Denn hinter der konkreten Situation, die von Schirach für sein Stück gewählt hat, verbirgt sich doch eine ganz alte, grundlegende philosophische Frage, die hier auf aktuelle Weise neu gestellt wird. Und das übrigens in einer Form – nämlich der der Gerichtsverhandlung mit langen Argumentationsketten – die selbst hochreflexiv und diskursiv ist. Auf vordergründige Effekthascherei wird hier gerade verzichtet. Den Zuschauern im Ersten wird die Verfilmung deshalb auch einiges an Konzentration und gedanklicher Durchdringung abverlangen. Gutes öffentlich-rechtliches Fernsehen muss substanziell und hintergründig sein; es muss aber zugleich auch kontrovers sein, es muss provozieren und polarisieren und zur Auseinandersetzung anregen. Einen Fernsehabend, der dies tut, werde ich deshalb, wie die Herren Baum und Hirsch fordern, auf keinen Fall aus dem Programm nehmen.”
Volker Herres, Programmdirektor Erstes Deutsches Fernsehen

 

 

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