Buch&Bar 52: Henry James “Daisy Miller”

Der kolossale Mut der braven Daisy Miller

Heute: Über schwerst geschichtsbewusstes Lesen und Trinken

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

Henry James: "Daisy Miller". Erzählung. Neu übersetzt von Britta Mümmler. dtv. 14,90 Euro

Zu Weihnachten brachte uns meine Mutter Fotos ihrer beiden Großmütter mit: Gepflegte ältere Damen, geboren so um 1870, mit hochgestecktem Haar, Rüschenkleidern und sanftem Lächeln. Unsere Jungs waren von den Socken, zückten ihre Handys und machten Fotos von den Fotos. Mit einem Mal saß ein winziges Stück 19. Jahrhundert ganz familiär mit am Tisch.

Da fiel mir Daisy Miller ein, die Titelheldin der fabelhaften Erzählung von Henry James (neu übersetzt von Britta Mümmler, dtv, 14,90 Euro). Sie ist Amerikanerin und ungefähr zur gleichen Zeit geboren wie die zwei zauberhaften Preußinnen auf den Fotos meiner Mutter. Als mutige und freche junge Frau glaubt Daisy, auf die engstirnigen Sitten ihrer Zeit pfeifen zu können und geht zu oft mit einem strahlend schönen Italiener aus. Nur aus, nicht ins Bett! Aber das allein reicht schon, um ihr Leben restlos zu ruinieren. Eine bittere Geschichte aus der heute so vielgelobten Epoche des Bürgertums.

Heute, im Zeitalter von Tinder und C-Date, klingt das, als stamme die Geschichte direkt aus dem Neolithikum. Aber so lange ist das alles gar nicht her, wäre der Zweite Weltkrieg nicht dazwischengekommen, hätte ich vielleicht noch auf dem Arm meiner anmutig berüschten Ahninnen in die Windeln machen können. Ihnen zu Ehren habe ich dann einen Sneaky Grandma gemixt: zu gleichen Teilen Rye Whisky, Amaretto, kräftigen Rotwein, Orangen- und Zitronensaft. Dazu etwas frisch geriebenen Zimt. Das gab dem Cocktail noch so eine weihnachtliche Note.

 

2014 startete BUCH & BAR im Focus. Die Kolumne ist schon deshalb absolut unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.

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Porträt der Dichterin und Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger

Gedichte aufsagen beim Appell in Auschwitz-Birkenau

Heute spricht die Schriftstellerin Ruth Klüger anlässlich des Holocaust-Gedenktages vor dem Deutschen Bundestag. Sie war im KZ Theresienstadt, überlebte als Zwölfjährige im KZ Auschwitz-Birkenau. Beschützt und gerettet wurde sie durch Ihre Mutter und manche anonyme Mitgefangene – aber auch durch die Kraft, die sie aus der Literatur zog, aus den Gedichten deutscher Klassiker. Hier eine kleine Skizze einer großen Dichterin – und eine schier unglaubliche Lebensgeschichte:

„Er war ein Dichter und hasste das Ungefähre“, lautet eine der vielzitierten Zeilen von Rainer Maria Rilke. Nicht so oft zitiert wird die Fortsetzung dieses Satzes: „Vielleicht war es ihm nur um die Wahrheit zu tun.“

Ruth Klüger: "unterwegs verloren. Erinnerungen". Zscholnay Verlag, 19,90 Euro

Ruth Klüger ist eine Dichterin buchstäblich von Kindesbeinen an. Sie war Wienerin und sechs Jahre alt, als die Nationalsozialisten aus Österreich die Ostmark machten. In diesem Augenblick endete die Kindheit Ruth Klügers, denn zur Kindheit gehört doch wohl, dass ein junger Mensch sich behütet und behutsam seine ersten Wege durch die Welt suchen darf.

Doch für Ruth Klüger bestand die Kindheit von nun an nicht aus sacht wachsender Selbstständigkeit, sondern aus rapide wachsenden Einschränkungen und Verlusten. Sie durfte in kein Kino mehr gehen, durfte auf keiner Parkbank mehr sitzen, schließlich keine Schule mehr besuchen. In immer schlechtere, dunklere Wohnungen musste sie umziehen und auf der Straße einen gelben Stern tragen, weshalb selbst Spaziergänge keinen Reiz mehr für sie hatten. Und sie verlor, größter Verlust von allen, ihren Vater. Da war sie neun.

Sentimentalität liegt Ruth Klüger fern. In ihrer Autobiographie schreibt sie nicht, angesichts all dieses Unrechts und dieser Verluste habe sie sich als Kind von der Literatur das Leben verzaubern oder verschönern lassen. Sie schreibt stattdessen: „Man ließ mich lesen, weil ich dann niemanden behelligte.“

Nachdem sie von der Schule ausgesperrt worden war, sah sie monatelang keine Kinder und auch die Familie hatte wenig Zeit. Also vertiefte sie sich in Bücher, las Schiller und andere Klassiker, denn die galten den Erwachsenen als unbedenklich, und da sie ein Talent hatte zum Auswendiglernen, brauchte sie für Schillers Balladen bald kein Buch mehr. Sie sagte sie sogar auf der Straße murmelnd her, was ihre Verwandten für unmanierlich hielten.

Aber als sie dann zwölfjährig im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau bei den Appellen stundenlang in der Sonne stehen musste, hatte sie in diesem lyrischen Gedächtnisvorrat etwas, mit dem sie sich über die Zeit retteten konnte.

Ruth Klüger: "weiter Leben. Ein Jugend". Mit MP3-CD. Wallstein Verlag. 14,90 Euro

Und beim Auswendighersagen blieb es nicht. Schon im ersten KZ, in das man sie und ihre Mutter deportierte, in Theresienstadt schrieb sie eigene Gedichte, und im KZ Christianstadt dann Verse, mit denen sie das Unfassliche, was sie zwischenzeitlich in Auschwitz erlebt hatte, fassbar zu machen versuchte.

Ruth Klüger ist eine Dichterin und hasst das Ungefähre. An beidem lässt ihre Autobiographie keinen Zweifel. Sie nimmt es genau und sie hat die Fähigkeit zur genauen Beobachtung, zu genauen Gedanken, zur genauen Formulierung. Auch und gerade wenn es um ihre Erfahrungen während des Holocaust geht. Sie will, so schreibt sie, sich nicht mit der „Schreckensrührung“ zufrieden geben, in die viele Menschen verfallen, wenn sie von den KZs hören und denen, so schreibt sie „alle Lager in einem Entsetzensnebel verschwimmen, worin man sowieso keine Einzelheiten erkennen kann“.

Ihre Genauigkeit auch in den Einzelheiten ermöglicht Ruth Klüger unerwartete Einsichten. Da sind zum Beispiel die Minuten, in denen sich ihre Rettung aus Auschwitz entschied. Frauen von 15 bis 45 wurden selektiert für einen Arbeitstransport, der Auschwitz verlassen durfte. Ihre Mutter hatte es geschafft, sie war dem Transport zugeteilt worden. Aber Ruth Klüger hatte dem SS-Mann, der die Auswahl traf, die Wahrheit gesagt, sie sei erst zwölf und der verurteilte sie daraufhin mit einem Kopfschütteln zum Tode.

Doch die Mutter überredete die Tochter, sich ein zweites Mal bei einem anderen SS-Mann anzustellen. Und dessen Schreiberin, eine Gefangene wie alle andern, bestärkte Ruth Klüger nicht nur flüsternd darin, ihr Alter diesmal mit 15 anzugeben, sondern überzeugte noch dazu den SS-Mann, diese wenig glaubwürdige Angabe zu akzeptieren.

An einer solchen Szene zeigt sich die Genauigkeit des Nachdenkens und Erzählens von Ruth Klüger. Sie schildert die Szene nicht nur, sie erforscht sie. Es gab für diese Schreiberin nicht den geringsten Grund, sich für sie einzusetzen. Ruth Klüger hatte diese junge Frau noch nie zuvor gesehen und ist ihr auch danach nicht mehr begegnet. Dennoch hat diese Mitgefangene ohne den geringsten Vorteil für sich erwarten zu können, etwas ganz und gar Unerwartbares getan und viel riskiert für eine fremde Zwölfjährige. „Sie sah mich“, schreibt Ruth Klüger, „in der Reihe stehen, ein zum Tod verurteiltes Kind, sie kam auf mich zu, sie gab mir die richtigen Worte ein, und sie hat mich verteidigt und durchgeschleust. Die Gelegenheit zu einer freien, spontanen Tat war nirgends und nie so gegeben wie dort und damals.“

Ein Absatz weiter spitzt Ruth Klüger diese Einsicht noch einmal zu. Die junge Frau hatte nichts zu gewinnen und konnte allzu leicht alles verlieren. Wenn sie sich dennoch gegen jeden Eigennutz für eine Unbekannte einsetze, dann war das eine tatsächlich altruistische, eine tatsächlich freie Entscheidung: „Es kann“, folgert Ruth Klüger, „die äußerste Annäherung an die Freiheit nur in der ödesten Gefangenschaft in der Todesnähe stattfinden, also dort, wo die Entscheidungsmöglichkeit auf fast Null reduziert ist. In dem winzigen Spielraum, der dann noch bleibt, dort, kurz vor Null, ist die Freiheit.“

Ruth Klüger: "Zerreißproben. Kommentierte Gedichte". Zscholnay Verlag. 14,90 Euro

Solche Sätze haben es in sich. Sie setzen einer anonymen Schreiberin ein Denkmal, die unter unsäglichen Bedingungen menschlich handelte, und sorgen mit ihrer Unerbittlichkeit beim Leser für einen Schock, der in Erinnerung bleibt.

Ruth Klügers Bücher sind voller solcher Sätze. Zum Beispiel, wenn sie nachdenkt über all die literaturkritischen Verbotstafeln, die in den ersten Nachkriegsjahren aufgerichtet wurden, und wenn sie sich dann die hochfahrenden Verbotstafel-Aufsteller wie Adorno zum Beispiel vorknöpft: „Ich meine“, schreibt sie, „die Experten in Sachen Ethik, Literatur und Wirklichkeit, die fordern, man möge über, von und nach Auschwitz keine Gedichte schreiben. Die Forderung muss von solchen stammen, die die gebundene Sprache entbehren konnten, weil sie diese nie gebraucht, verwendet haben, um sich seelisch über Wasser zu halten. Statt zu dichten möge man sich nur informieren, heißt es, also Dokumente lesen und ansehen – und dass gefassten, aber auch betroffenen Mutes. Und was sollen sich Leser und Betrachter solcher Dokumente dabei denken? Gedichte sind eine bestimmte Art von Kritik am Leben und könnten ihnen beim Verstehen helfen. Warum soll man das nicht dürfen? Und“, spitzt Ruth Klüger ihren Widerspruch erneut zu, „was ist das überhaupt für ein Dürfen und Sollen? Ein moralisches, ein religiöses? Welchen Interessen dient es? Wer mischt sich hier ein?“

Ich glaube, es wäre ein Klischee, wollte man Ruth Klüger solcher Sätze wegen eine streitbare Frau nennen. Das klänge ein wenig so, als würde sie Kontroversen suchen, damit unser öffentlicher Debattenbetrieb kräftig brummt und weiterlaufen kann. Nein, treffender ist es wohl, Ruth Klüger eben eine Dichterin zu nennen, die auf Genauigkeit besteht, weil es ihr um die Wahrheit zu tun ist – und die dafür keinem Streit aus dem Weg geht.

Nicht nur, wenn es um ihre Erfahrungen in deutschen KZs geht oder um allzu selbstgewisse Literaturtheorie. Schonungslos ist sie auch sich selbst gegenüber. Wie sie in ihren autobiographischen Büchern die, wie es wörtlich heißt, „blühende gegenseitige Mutter-Tochter-Neurose“ entfaltet, wie sie über die zehn Jahre ihrer frostige Ehe oder über das komplexe Verhältnis zu ihren beiden Söhnen schreibt, ist nie exhibitionistisch oder indiskret, aber doch von einer solchen Schärfe und Klarheit, wie man sie selten findet. Auch das, was die Feministin Ruth Klüger über das Verhältnis zwischen Männern und Frauen schreibt und mit Alltagsbeobachtungen untermauert, ist von solcher Treffsicherheit, dass man es gerade als Mann nicht leichten Herzens liest.

Oder was sie vom akademischen Betrieb zu erzählen hat: Sechs Jahre lang war sie Ordinaria in Princeton, einer den nobelsten Eliteuniversitäten der amerikanischen Ostküste. Doch was sie mit den ausschließlich männlichen Professoren im German Department dort erlebte, war alles andere als nobel: Die ließen fast keine Gelegenheit aus, ihr das Gefühl zu vermitteln, sie sei dort nur als Quotenfrau geduldet, die an das wissenschaftliche Niveau ihrer männlichen Kollegen nicht heranreiche. Die intensive Beschäftigung mit Kultur, die Ruth Klüger bei diesen Professoren-Kollegen doch wohl voraussetzen durfte, hatte deren Verhalten offenbar nur an der Oberfläche zu kultivieren vermocht. Was darunter zum Vorschein kam, ließ manches von der Behauptung Schillers, die Literatur trage bei zu einer ästhetischen Erziehung des Menschengeschlechts, in einem eher fahlen Licht erscheinen.

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Buch&Bar 51: David Foster Wallace: “Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich”

Diese herrliche Entmündigung

Heute: Über ebenso agoraphobisches wie kreuzfahrtkritisches Lesen und Trinken

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

David Foster Wallace: "Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich". Übersetzt von Marcus Indendaay. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015. 7,99 Euro

Wenn ich mir eine Hölle auf Erden vorstellen soll, stehen Karibik-Kreuzfahrten nicht ganz oben auf der Liste. Solange das Wetter gut ist, mir nirgends ein Hurrikan auflauert und die Redaktion die Rechnung zahlt, müsste sich das aushalten lassen.

Dachte ich, bis ich die furiose Kreuzfahrt-Reportage „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“ von David Foster Wallace (Kiepenheuer & Witsch, 7,99 Euro) las. Äußerlich hatte Wallace Glück: Wetter gut, kein Hurrikan, Redaktion zahlt. Doch innerlich war er Agoraphobiker, hatte also Angst vor großen, freien Räumen (wie endlosen Ozeanen) und wimmelnden Menschenmassen (wie gut besuchten Sonnendecks auf Karibik-Dampfern).

Kurz, Wallace war der falsche Mann am falschen Platz – so wie viele andere große Schriftsteller vor und nach ihm auch. Aber mit seinem phobisch geschärften Blick registrierte er deshalb besonders genau, wie entmündigend das permanente Unterhaltungsprogramm an Bord ist und wie der schwimmende Vergnügungspark namens Traumschiff seine Passagiere mit den immer gleichen vorgestanzten Plastik-Karibik-Erlebnissen abfüttert.

Das Beste aber sind Witz und Selbstironie von Wallace. Er jammert nicht, sondern macht sich lustig – vor allem über sich selbst. Seine Reportage ist, ich schwöre es, auf jeder einzelnen Seite spritzig, geistreich, dreist und leicht überdreht, also ein intelligenter Genuss wie man ihn nur selten in die Finger bekommt.

Schon aus Sympathie mit allen Agoraphobikern dieser Welt sollte man das Buch in einer kleinen, engen, möglichst menschenleeren Bar lesen und dazu keinen karibisch aufgeregten Obstsalat-Cocktail wie Planter’s Punch trinken, sondern sich einen stillen, urbanen Manhattan bestellen, ganz klassisch gemixt mit mildem kanadischem Whisky (wie Tap 357), wirklich trockenem Wermut (wie Noilly Prat) und zwei Spritzern Angostura. Definitiv nicht die Hölle auf Erden.

 

2014 startete BUCH & BAR im Focus. Die Kolumne ist schon deshalb absolut unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.

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Buch&Bar 50: Richard Ford “Frank”

Tipps für einen behaglichen Abend mit Hurrikan

Heute: Über vanillesüß-zitronensaures Lesen und Trinken 

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

Richard Ford: "Frank". Roman. Übersetzt von Frank Heibert. Verlag Hanser Berlin 2015. 19,90 Euro

Kürzlich war ich auf der Messe „InterWhisky“ in Frankfurt. Einer der raren Orte, an dem stattliche Populationen von Whisky-Aficionados in ihrem bevorzugten Habitat, also umgeben von ein paar hundert Whisky-Sorten, beobachtet werden können: orgiastisches Schnüffeln, Schlürfen, Schlecken überall, hochtourig arbeitende Geschmacksknospen, glückliche Gesichter, rote Backen, Dudelsäcke.

Ich mogelte mich auch in eine der Master Classes: Ein jovialer Schotte erklärte jede Fassdaube einzeln, zwischen denen Glenmorangie zehn Jahre lang reift. Das Ergebnis schmeckte köstlich weich und zart nach Vanille und Zitrone. Seit ich diese Kolumne schreibe, denke ich in solchen Momenten: Zu welchem Buch könnte das passen?

Sehr gut zum Roman „Frank“ von Richard Ford (Hanser Berlin, 19,90 Euro). Ein alter Makler hat sein Haus am Strand von New Jersey rechtzeitig verkauft, bevor Hurrikan „Sandy“ es 2012 zerlegt. Eigentlich sollte er denken: Glück gehabt. Doch vor den Trümmern, die lange sein Heim waren, schliddert er in einer Rückschau aufs Leben, mal vanille-melancholisch, mal zitronenscharf-sarkastisch. Keine spektakuläre Story, aber alles so meisterhaft ausbalanciert, so bis ins Detail stimmig wie bei großen Whiskys. Also: „Frank“ und zwei Fingerbreit Glenmorangie im Glas sollten Ihnen einen behaglichen Winterabend bescheren.

2014 startete BUCH & BAR im Focus. Die Kolumne ist schon deshalb absolut unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.

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Befreiung vom Fanatismus: Eine Erinnerung an Franz Fühmann in seinen Briefen

Die vier Lebenswege des literarischen Extremisten Franz Fühmann

In Zeiten, in den religöser Fanatismus Terror verbreitet und Europa in ausgrenzenden und aggressiven Nationalismus zurückzufallen droht, ist die Erinnerung an einen Schriftsteller wie Franz Fühmann wichtig. Wäre er nicht viel zu früh an Krebs gestorben, könnte er heute Geburtstag feiern. Er war vielleicht der bedeutendste Schriftsteller der DDR. Sein Leben und sein Lebenswerk zeigt, wie sich ein Mensch aus den Borniertheiten des ideologischen und dogmatischen Denkens befreien und sich den Weg zu einem offenen Denken bahnen kann.

Barbara Heintze: "Eine Biographie in Bildern, Dokumenten und Briefen". Mit einer Epilog von Sigrid Damm. Hinstorff Verlag. Nur antiquarisch lieferbar.

Ein Schicksal, zerrissen wie unser Jahrhundert: Franz Fühmann führte vier Leben, vier grundverschiedene, diametral entgegengesetzte Existenzen. Dennoch blieb er sich stets im tiefsten Sinne treu.

Er schien unverwüstlich, seine Energie und Willenskraft unerschöpflich. Nach seinem viel zu frühen Tod, wird deutlich, was die Literatur an Franz Fühmann verloren, was sie an ihm gewonnen hat: Vielleicht war er der bedeutendste Schriftsteller der DDR.

Fühmann war ein literarischer Extremist. Wo andere zurückschreckten, begann für ihn erst der Wert und die Würde seiner Arbeit. Hartnäckig und ohne sich selbst zu schonen, wühlte er in den Wunden der deutschen Geschichte und in denen seines totalitären Staates. Er war stets auf das Äußerste aus, auf die ganze, ungeteilte Wahrheit – was ihm harte Kämpfe und auch schmerzhafte Niederlagen eintrug. Doch hat er deshalb in seiner Arbeit niemals Kompromisse oder auch nur diplomatische Zugeständnisse gemacht.

Im Westen Deutschlands ist Fühmann noch immer wenig bekannt. Einige seiner Erzählungen wie „Das Judenauto“ fanden zwar schon vor Jahrzehnten Eingang in die Lesebücher der alten Bundesrepublik. Auch wurde er von Kritikern gefeiert und mit großen Literaturpreisen geehrt. Dennoch stand er  im Schatten anderer DDR-Autoren, deren Bücher besser in das vom Kalten Krieg bestimmte Klima der Zeit passten.

Uwe Wittstock: "Franz Fühmann". Lebens- und Werkgeschichte. Verlag C.H. Beck. Leider nicht lieferbar. Für 5 Euro beim Autor zu haben. Mail an: uwe.wittstock@web.de

Heute aber, da Islamisten die Gefahren des religiös Fundamentalismus tagtäglich der Welt vor Augen stellen und andererseits nach Euro-, Griechenland- und Flüchtlingskrise die Gefahr eines neuen aggressiven Nationalismus in Europa mit Händen zu reifen ist, jetzt erst tritt der intellektuelle Rang Fühmanns deutlich hervor. Seine Briefe aus den Jahren 1950 bis 1984, spiegeln nicht nur fünfunddreißig der vierzig Jahre DDR-Literaturgeschichte wider. Sie lassen zugleich noch einmal miterleben, wie aus dem besessenen Ideologen Fühmann ein souveräner, pluralistisch denkender Mensch und Schriftsteller wurde. Ein ergreifendes, mitreißendes geistiges Schauspiel. Für März dieses Jahres sind zwei neue Bände mit Briefen von Fühmann angekündigt: Seine Korrespondenz mit dem Bildhauer Wieland Förster und die mit seinem Lektor Kurt Batt.

Der 1922 geborene Fühmann war von klein auf zum Fanatismus erzogen worden. Seine bigotte Mutter, die im Alter einem religiösen Wahn verfiel, unterwarf den Sohn strengster katholischer Zucht. Schon als Zehnjährigen schickten ihn seine Eltern in ein Jesuiteninternat bei Wien, wo die Kinder mit rabiaten Mitteln zur künftigen Kirchenelite geformt werden sollten. Doch der Drill zeitigte beim Zögling Franz andere als die erwünschten Folgen: Nach vier Jahren kehrte er der Schule den Rücken: als konsequenter Atheist.

Unter dem Einfluss seines nationalsozialistisch gesinnten Vaters entschied er sich daraufhin in den dreißiger Jahren für ein ganz anderes Leben: Er wurde Mitglied einer nationalsozialistischen Jugendorganisation und besuchte das Gymnasium „in Stiefeln und Braunhemd“. Noch vor Kriegsbeginn trat er der Reiter-SA bei und blieb bis zur Kapitulation Deutschlands 1945 ein treuergebener Soldat Hitlers, der fest an die Überlegenheit der germanischen Rasse und an den Endsieg glaubte.

Franz Fühmann: "Briefe 1950-1984". Hinstorff Verlag, Nur antiquarisch lieferbar.

Diese Phase seines Lebens hat Fühmann nachträglich oft dramatisch überhöht. Obwohl er lediglich als Funker am Krieg teilnahm und nie einen Schuss in einem Gefecht abfeuerte, urteilte er unerbittlich über sich selbst: „Meine Schulzeit insgesamt ist eine gute Erziehung zu Auschwitz gewesen.“ Er fragte sich wieder und wieder, ob er als KZ-Wachmann ebenso widerspruchslos seinen Befehlshabern gefolgt wäre, wie er es als einfacher Soldat getan hatte. Strenger als er ist kein anderer deutscher Schriftsteller der Nachkriegszeit mit sich selbst ins Gericht gegangen. Im Gegenteil: Zahllose wichtige Autoren haben über Jahrzehnte ihre kleinen oder großen politischen Verfehlungen während der Nazi-Jahre beschönigt, beschwiegen oder geleugnet.

In der sowjetischen Kriegsgefangenschaft begann dann Fühmanns dritter Lebensweg: Er wurde auf eine der berüchtigten Antifa-Schulen geschickt, wo man ihn zu einem begeisterten Anhänger Stalins umerzog. Der Druck auf die Schüler war so enorm, dass, wie Fühmann später berichtete, manche in den Selbstmord flüchteten. Doch Fühmann nahm, getrieben von Schuldgefühlen wegen der deutschen Kriegsverbrechen, den neuen, den kommunistischen Glauben von ganzem Herzen an. Er wollte am Aufbau einer besseren und gerechteren Welt mitarbeiten. Dies war für ihn keine leere Phrase, sondern ein Vorhaben, dem er sich mit Haut und Haar verschrieb.

Als entschlossener Stalinist kehrte er Weihnachten 1949 nach Deutschland, in die DDR, nach Ostberlin zurück, wo er sich in den fünfziger Jahren zu den strikt linientreuen Schriftstellern des Landes zählte. Er veröffentlichte nur das, was seiner Partei genehm war und unterwarf sich bereitwillig ihren kulturpolitischen Vorgaben.

Für März 2016 angekündigt: Franz Fühmann und Wieland Förster: "Nun lesen Sie mal schön! Briefwechsel 1968 - 1984". Hinstorff Verlag, 24 Euro

Aber die Kluft zwischen den Idealen und der Wirklichkeit seines neuen Staates blieb ihm nicht lange verborgen. Anfangs versuchte Fühmann noch, die schönen Worte der Propaganda für sich notdürftig mit den tristen Tatsachen des Alltags in Einklang zu bringen. Doch traten ihm die Lebenslügen der DDR schon bald so deutlich vor Augen, dass seine sozialistischen Überzeugungen zu wanken begannen.

Jahrelang betäubte er seine Zweifel mit Alkohol. Wie alles in seinem Leben tat er auch dies radikal und gründlich: Die Ärzte gaben ihm nur noch wenige Monate, als er im August 1968 von der Okkupation der Tschechoslowakei durch die Truppen des Warschauer Pakts erfuhr. Die Nachricht vom brutalen Ende des Prager Frühlings empörte ihn zutiefst und gab ihm Kraft, mit dem Regime seines Staates und zugleich mit dem Alkohol zu brechen.

Fühmanns Briefe lassen erkennen, wie rasch er sich daraufhin zu einem unnachsichtigen Kritiker der DDR wandelte. Er beschränkte sich zunächst auf das Feld, auf dem er sich am besten auskannte, besser als jeder Funktionär: das Feld der Literatur. Er polemisierte vehement gegen die Anmaßung der offiziellen Kulturpolitik, forderte Toleranz gegenüber allen Spielarten der Dichtung und setzte sich beharrlich für junge, in politische Bedrängnis geratene Autoren ein.

Viele von denen, die er damals unter seinen Schutz stellte, werden heute zu den besten Poeten der DDR-Zeit gezählt: so Sarah Kirsch, Wolfgang Hilbig oder Uwe Kolbe. Verblüffend, was für einen herausfordernden und entschiedenen Ton er gegenüber den Machthabern anschlug. In einem offenen Brief an Klaus Höpcke, den stellvertretenden Kulturminister und obersten Zensor des Staates, übte er 1977 Radikalkritik an der Partei: „Weder ein einzelner, noch ein Berufsstand, noch irgendeine soziale Organisation oder politische Gruppierung ist im alleinigen Besitz der Wahrheit.“ Dem Minister dürfte der Atem gestockt haben.

Fühmann machte sich über seinen politischen Einfluss keine Illusionen. Er wusste, mit welchem Zynismus die Funktionäre alle unliebsamen Kommentare der Schriftsteller beiseite schoben. Aber er wollte – selbst auf das Risiko hin, sich lächerlich zu machen – nicht die geringste Chance zur öffentlichen Kritik ungenutzt verstreichen lassen.

Heute beweisen seine Worte: In dieser deutschen Diktatur hatte der einzelne weit größere Möglichkeiten zur Verweigerung oder zum Widerspruch, als es die Mitläufer des Regimes jetzt glauben machen wollen.

Für März 2016 angekündigt: Franz Fühmann "Die Briefe". Briefwechsel mit Kurt Batt. "Träumen und nicht verzweifeln". Hinstorff Verlag, 22 Euro

Fühmann gehörte nicht zu den Schriftstellern, die Politisches und Poetisches säuberlich voneinander trennen können. Ihm geriet jedes Buch, jeder Text, jeder Brief in irgendeiner Weise zum Bekenntnis. Nachdem er die ideologischen Denkschemata hinter sich gelassen hatte, plädierte er ohne jede Rücksicht für vorbehaltlose Meinungsvielfalt in der DDR. So erkannte er schon Ende der siebziger Jahre, was die Strategen der SED nicht sehen wollten: Die Idee eines uniformen, straff organisierten sozialistischen Staates war längst überlebt und würde schon bald der zunehmenden Ablehnung durch die Bevölkerung nicht mehr standhalten können.

Mit diesen Ansichten stellte er sich im offiziellen Kulturleben seines Landes endgültig – und wohl auch bewusst – ins Abseits. Er näherte sich den französischen oder amerikanischen Philosophen, die in den folgenden Jahren die postmoderne Vielfalt der westlichen Welt erforschten und beschrieben.

Doch den letzten Schritt, den Schritt in den Westen, mochte Fühmann nicht mehr vollziehen. Die vergangenen Kämpfe hatten ihn erschöpft, und es fehlte ihm die Kraft, seinen vier Existenzen eine weitere, eine fünfte hinzuzufügen. „Ich kann so nicht mehr leben“, bekannte er, kurz bevor er von seiner tödlichen Krankheit erfuhr, „finde keine andre Möglichkeit, stehe vor Konsequenzen, die irgendwie das Ende bedeuten, muss sie ziehen, kann sie nicht ziehen – (bin) also halt ein verbrauchter, abgewirtschafteter alter Mann, und da ist´s immer am besten: Grube graben, alten Mann reinschmeißen, Grube zuschippen, gell?“

Ein Jahr später erfüllte sich diese Forderung. Er starb im Juli 1984 in der Ostberliner Charité. Noch in seinem literarischen Testament aber werden sein lebenslanger Kampf um Aufrichtigkeit und sein Zorn auf Opportunismus und Verlogenheit spürbar: Den Vorzeige-Schriftstellern der DDR Gerhard Henninger, Dieter Noll und Hermann Kant untersagte er ausdrücklich, an seiner Beerdigung teilzunehmen. „Ich habe grausame Schmerzen. Der bitterste ist der, gescheitert zu sein: in der Literatur und in der Hoffnung auf eine Gesellschaft, wie wir sie alle einmal erträumten.“

Am 8. Oktober 2015 fand in der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin ein Kolloquium zum Werk von Franz Fühmann statt. Auch dies ein Indiz, dass die Bedeutung seiner Arbeit an Aktualität gewinnt und verstärkt Aufmerksamkeit findet.
Hier der Link zur FES:

http://www.fes-forumberlin.de/content/kulturpolitik-2015/fuehmann.php

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Buch&Bar 49: “Porsche Sounds”

Eine Liebe, die durch die Ohren geht

Heute: Über leistungsstarkes Hören, Blättern und Trinken

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

Dieter Landenberger: "Porsche Sounds" Fotobildband mit CD. Edel Verlag, 49,95 Euro

Man soll, sagen die Philosophen, sein Herz nicht an materielle Güter hängen. Das belaste nur, mache unfrei und verlust-ängstlich. Ein weiser Rat. Aber wie ist es mit Geräuschen? Darf man sein Herz verlieren an Geräusche? Zum Beispiel an das des Porsche 917/30 Spyder von 1973, angetrieben vom stärksten Rennmotor aller Zeiten? 12-Zylinder mit 1100 PS. Oder 1400 PS, so genau wusste das keiner, vermutlich weil sie mit dem Zählen nicht mehr nachkamen.

„Porsche Sounds, ein schwerer Bildband mit beigelegter CD (Edel, 49,95 Euro), liefert dieses Hörerlebnis jetzt frei Haus. Es ist kein Brüllen, Grollen oder Donnern. Sondern anfangs eher ein tockerndes Rattern, genauer: so ein ratterndes Tockern, ä-ä-ä-krrrommm-ä-ä-krrrrrrrroooommmm, bevor es dann gefährlich losfaucht, gschiiijjjiiijjjhhh. Von Null auf 300 km/h in 11,3 Sekunden! Wahnsinn. Verlieben kann man sich natürlich auch in eines seiner akustischen Geschwister, etwa in das röhrende Dahinzischen des 911 GT2 (993) oder in das irgendwie borstig-brutale Kollern des RS Spyder von 2005.

Dazu lehne ich mich zurück, blättere in den bunten, aber leider ziemlich banalen Bildchen des Buches und nippe naturgemäß an einen Porsche Cocktail, der zu gleichen Teilen aus Gin, Cointreau und trockenen Wermut gemixt wird, aufgefüllt nicht mit Benzin, sondern Champagner. Der 917/30 verbrauchte fast 100 Liter auf 100 Kilometer. Ich nur 10 cl pro Abend.

Die Kolumne erschien im Focus vom 5. Dezember 2015. 
 
2014 startete BUCH & BAR im Focus. Die Kolumne ist schon deshalb absolut unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.
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Buch&Bar 48: Daniel Bergner “Die versteckte Lust der Frauen. Ein Forschungsbericht”

Amerikanische Forscher haben festgestellt…

Heute über: Tierisch triebhaftes Lesen und Trinken

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

Daniel Bergner: "Die versteckte Lust der Frauen. Ein Forschungsbericht". Übersetzt von Henriette Zeltner. btb Verlag München 2015. 9,99 Euro

Daniel Bergner: "Die versteckte Lust der Frauen. Ein Forschungsbericht". Übersetzt von Henriette Zeltner. btb Verlag, München 2015. 9,99 Euro

Aus rein intellektuellem Interesse las ich jetzt den Forschungsbericht „Die versteckte Lust der Frauen“ (btb, 9,99 Euro). Der Amerikaner Daniel Bergner fasst darin die Ergebnisse neuester sexualwissenschaftlicher Studien zusammen, die der Frage nachgehen, was Frauen wirklich anmacht. Offenbar teile ich meine intellektuellen Interessen mit zahlreichen anderen Lesern: Das Buch ist ein Bestseller. Wir sind halt ein gebildetes Volk.

Die Resultate laufen, falls ich alles richtig verstanden habe, darauf hinaus, dass Frauen in erotischen Dingen ebenso finstere Gesellen sind wie Männer: gierig, triebhaft, skrupellos, promiskuitiv. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich ihnen das, sollten die Ergebnisse zutreffen, niemals übelnehmen würde. Nie! Besorgnis erregend ist jedoch, dass die Forscher ermittelten, Frauen würden diese Neigungen hartnäckig nicht ausleben mit Rücksicht auf die gute Erziehung, das zivilisierte Zusammenleben oder anderen Schnickschnack.

An diesem Punkt, meine Damen, müssen wir arbeiten. Lassen Sie uns reden. Und dazu, aus naheliegenden Gründen, den in England beliebten Cocktail „Lust“ zu schlürfen: zu gleichen Teilen Wodka, Peaches Schnapps, Orangen- und Zitronensaft. Glauben Sie mir, das macht locker, das löst, das entspannt, und gleich sieht die Welt ganz anders aus.

Die Kolumne erschien im Focus vom 28. November 2015. 
 
2014 startete BUCH & BAR im Focus. Die Kolumne ist schon deshalb absolut unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.
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Heinrich Böll: “Irisches Tagebuch”

Reise an den Rand der Welt

Heute könnte Heinrich Böll seinen 98. Geburtstag feiern. Deshalb möchte ich an eines seiner meistgelesenen und vielleicht auch böllschsten Bücher erinnern: das “Irisches Tagebuch”. Es ist eine zugegebenermaßen leicht sentimentale Exkursion geworden in den eremitenhaften Nordwesten Irlands zu einem Mann vor Meerlandschaft.

Wen es hierher lockt, den lockt der Rand der Welt. Weiter geht es nicht. Der nächste Schritt auf den Cliffs of Croaghaun führt ins Nichts. Tief unten rollen die Wellen gegen den Fels, brechen, schlagen hoch, greifen mit ihren Gischtfingern ins Leere. Land’s End. Das ist die äußerste Kante des Kontinents. Dahinter nur noch Wasser und Wolken 4000 Kilometer weit.

Heinrich Böll: "Irisches Tagebuch". Mit Materialien, Fotos und Nachwort von René Böll und Jochen Schubert. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007. 208 Seiten, 15 Euro

Schafe stehen im Wind, kauen an dürren Halmen ungerührt. Neben ihnen bricht der Boden weg ins Bodenlose. Wer hier ankommt, muss anhalten, oder ihn hält nichts mehr. Wer hier stehen bleibt, steht mit dem Rücken zur Welt.

Bäume gibt es nicht. Achill Island, gelegen vor der Westküste Irlands, ist ein kahler Außenposten. Den Croaghaun, den letzten Berg bevor Europa ins Meer stürzt, bedeckt Hochmoor wie ein löchriger, verschossener Filzteppich: Torfmoos, bleiche Grasflecken, Steine, Heidekraut weiter als jedes Auge reicht. Wenn der Atlantik keinen Regen gegen die Felsen wirft, wenn doch einmal die Wolken aufreißen, sieht man hier am Abend das Licht im Meer verschwinden. Vom Land her kehrt es am Morgen zurück, lässt bei klarem Himmel zuerst den Gipfel des Croaghaun aufleuchten und dann nach und nach eine scharfe Schattenlinie bis zu dessen Fuß hinabwandern. Wenn man ihr zusieht, glaubt man zu spüren, wie sich der Planet um sich selber wälzt auf seinem Weg unter der Sonne.

Die letzte, die westlichste Siedlung heißt Keel, verstreute Häuser entlang einer Landstraße, die bald darauf im Moor endet. Hier kam Böll an mit dem Bus im Juni 1955, ein irischer Freund hatte ihm ein billiges Cottage für den Sommer empfohlen. Daheim in Deutschland, Fußballweltmeister seit einem Jahr, blühte das Wirtschaftswunder, es war wieder Geld da, genug um in den Süden aufzubrechen, Elba, Capri, Rimini hießen die Sehnsuchtsziele jener Jahre. Heinrich Böll zog es in entgegen gesetzte Richtung, nach Irland, ins Armenhaus Europas, noch katholischer als seine Heimat Köln, noch frommer als Italien.

Und in Irland wurde Achill Island zu dem Ort, von dem er nicht mehr loskam, der Rand der Welt in der Grafschaft Mayo, die so karg, so arm, so dünn besiedelt ist, dass die Iren refrainhaft „God help us“ flehen, sobald ihr Name fällt. Hierher kam er Jahr für Jahr ein paar Wochen, manchmal ein paar Monate lang. Hier kaufte er sich 1958 ein altes Haus, vier kleine Räume zu ebener Erde, verborgen hinter Büschen, aber mit Blick auf Blacksod Bay, die Nordküste der Insel, auf die man schaut, sobald man an seinem Schreibtisch den Kopf hebt.

Jeder Weg, der hierher führt, wirkt wie ein Fluchweg, aus dem Getümmel der Städte in die Gelassenheit des Moors. Für Böll war Achill Island Ausbruch und Rückkehr zugleich. Man sieht ihn hier mit einem Mal in anderem Licht. Böll, der Moralist, der engagierte Literat, der politische Romancier und Polemiker, der in allen Arenen der Öffentlichkeit zugleich in den Meinungskampf zog, nimmt auf Achill Island sanftere Züge an.

Heinrich Böll: "Irisches Tagebuch". Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2001. 5,90 Euro

Aus seinem schmalen Haus mit Blick auf Moor, Fels und Meer tritt er einem wieder entgegen als der Verteidiger eines einfachen Lebens, der er immer auch war, als der Poet einer schlichten, direkten Mitmenschlichkeit, als ein Prediger der Armut und der Liebe, der dem Lärm der Welt misstraute, weil er über ihren Rand hinweg Ausschau hielt nach einer anderen.

Nachdem die Iren im 5. Jahrhundert früh zum christlichen Glauben bekehrten worden waren und den Brüdern des Heiligen Patrick nun kein „roter“, blutiger Märtyrertod durch Heiden mehr drohte, zogen sich manche der Missionare als Einsiedler zum „grünen“ Martyrium auf die Felseninseln vor Irland zurück. Sie ließen sich schon zu Lebzeiten aus dem Leben fallen ins Gebet und in die Meditation. Für Böll, der sich in Deutschland einer Bekehrungsarbeit eigener Art verschrieben hatte, der auf Missionszug war gegen die alten Lücken im Gedächtnis und eine neue Lust am Überfluss, wird diese Versuchung zum radikalen Rückzug nichts Fremdes gewesen sein.

Auf Achill Island bekommen die Dinge ein anderes Gewicht. Hier hat sich seit St. Patricks Zeiten wenig geändert, hier ist die Geschichte wie ausgestrichen. Doch dafür gewinnen in dieser Landschaft all die alten Sätze, die davon sprechen, dass zwischen Geburt und Tod nur ein Augenblick liegt oder dass die Jagd nach Reichtum das Leben nicht reicher macht, eine neue Kraft. Es gab wohl keinen Ort, der weiter weg war vom Wirtschaftswunder-Deutschland der fünfziger Jahre als dieser. Es gab wohl keinen, an dem sich Böll so nah war wie hier.

Böll hat große Teile seines „Irischen Tagebuchs“ nicht in Irland geschrieben. Seinem Verleger vertraute er in einem Brief an: „Die Irischen Impressionen werde ich im Winter in Köln fertig schreiben: das geht aus der Ferne besser, als wenn man so ganz nah dran ist.“ Gleich als die ersten Reiseberichte in verschiedenen Zeitungen, vor allem in der FAZ, erschienen, trugen sie ihm glänzendes Echo ein. Alfred Andersch pries die „souveräne Prosa“, Wolfgang Hildesheimer nannte sie die „hinreißendste“ seit Jahren, für Carl Zuckmayer war das Buch eines der „schönsten und wertvollsten“.

Bis heute zählt es zu den meistgekauften, meistgelesenen Bölls, geliebt nicht nur von den Deutschen, sondern auch von den Iren. 1957, als es veröffentlicht wurde, konnte dieser Erfolg skeptisch machen. Schließlich war dies Bölls erstes Buch, in dem er nicht ins Gericht ging mit Deutschlands Vergangenheit oder Gegenwart. Böll, der Zornige, schien plötzlich sanft geworden, versöhnlich, heiter. Wurde er sonst nicht müde, den Machthaber in Kirche und Staat ihre Verantwortung vorzurechnen für die Misere der Menschen, schien er hier ein Loblied auf das kleine Glück der kleinen Leute zu singen. Malte er eine Idylle, die es den Lesern leicht machte, sich in das Land und das Buch zu verlieben?

Irisches Hochmoor, südlich von Achill Island

Wer genau liest, spürt auch im „Irischen Tagebuch“ Bölls Grimm, vor allem beim Blick auf den Klerus. Doch er war Gast in diesem Land und deshalb behutsam im Urteil. „Auf dieser Insel also wohnt das einzige Volk Europas, das nie Eroberungszüge unternahm“, heißt es zu Beginn. Man merkt, dass Böll im armen, aber fröhlich-frommen Irland vor allem eine Gegenwelt sah zu jenem Deutschland, das so wenige Jahre zuvor Europa in Trümmer gelegt hatte und sich nun mit nüchternem Fleiß daran machte, eins der reichsten Länder des Kontinents zu werden.

Die alte, zutiefst romantische deutsche Sehnsucht nach einer solchen besseren, wärmenden Gegenwelt ist es wohl, die dem Buch noch heute so viele Verehrer einträgt. Doch Irland ist anders geworden inzwischen. Seit den neunziger Jahren erlebt es sein Wirtschaftswunder. Niedrige Steuersätze, der Internet-Boom, Geld der EU haben die grüne Insel vorübergehend in den Celtic Tiger verwandelt. Auch die Auswirkungen der Finanzkrise scheinen inzwischen überwunden.

Der stete Auswandererstrom, der seit den großen Hungersnöten in der Mitte des 19. Jahrhunderts Millionen aus dem Land spülte, weil das Land sie buchstäblich nicht ernähren konnte, ist nahezu versiegt. Überall wird gebaut, rings um die Städte und Städtchen stehen Siedlungsnester aus schlanken Einfamilienhäusern, Doppelhäusern, Reihenhäusern, als hätten Riesen gerade eben ihre Bauklötzchen in die Landschaft gestellt. Wie nach überlangem Winterschlaf scheint das Land sich zu räkeln, zu recken und neue Kräfte zu erproben.

Dieses Erwachen ist auch an Achill Island nicht spurlos vorübergegangen. An manchen Stellen der Landstraße nach Keel und darüber hinaus drängen sich jetzt Ferienhäuser, warten auf Wochenendgäste aus Dublin oder Urlauber vom Kontinent. Noch sind es wenige, noch verlieren sie sich in der zeitlosen Leere der Insel. Ein paar Meilen hinter Keel ist man auch heute allein mit Moor und Schafen.

Hinterland von Achill Island

Doch selbst hier wäre ein Schriftsteller, wenn er es will, via Notebook und Netz den publizistischen Schlachtfeldern seiner Zeit so nahe wie auf dem Times Square, der Fleet Street oder Unter den Linden. Wer heute der Welt entkommen will an ihren Rand, muss ihre Fangarme noch energischer kappen als einst.

Trotz allem ist in Irland das Leben den Mythen noch immer näher als anderswo. Auch Böll begegnete ihnen hier, als Alltäglichkeiten maskiert, und hielt sie fest in seinem Tagebuch. Am Hang des Slievemore etwa, des anderen großen Bergs der Insel, liegt der Friedhof von Keel. Er ist Meilen vom Meer entfernt, aber doch von der Küste aus unübersehbar wie eine monumentale Inschrift. Man sieht die Gräber, sieht die Mauer, die sie einfasst und die weit ausgreift, wie um daran zu erinnern, dass sie noch lange nicht alle umschließt, die hier ihren Platz finden werden, und sieht einen Kutter, der mitten im Land gleich an der Friedhofsmauer vor Anker gegangen ist. Wer näher kommt, begreift, dass er von seinem Besitzer ins Trockene gebracht, dass es zur Reparatur an die Mauer gelehnt wurde, und doch bleibt der Schreck, vor Charons Fähre zu stehen, die angelegt hat am Friedhof, startklar um die nächste Fracht über den Styx zu bringen in die Unterwelt.

Als Böll nach Drumcliff fuhr, nordöstlich von Achill Island, zum Grab von W.B.Yeats, der 49 Jahre vor ihm den Nobelpreis entgegen nahm, lag das Land im Dauerregen und Krähen flogen um den Kirchturm „wie schwarze Schneeflocken.“ Es braucht nur wenig, dort das gleiche Bild vorzufinden wie er. Die Wolken hängen so tief und nass über Drumcliff Bay, dass man meint, mit erhobenem Arm hineingreifen zu können. Es ist ein schmales, graues Grab.

„Cast a cold Eye
On Life, on Death.
Horseman, pass by!“

hat Yeats auf seinen Stein schreiben lassen, der oben am Rand wie poliert ist von den Händen all der Besucher. Blicke beidem, rät Yeats, kalt ins Auge, Leben und Tod, und dann auf und davon.

Das nächste Restaurant ist nach ihm benannt, Yeats Tavern. Nach dem Essen ist die Welt wie ausgewechselt. Böen vom Atlantik haben die Wolken weggeschoben, den Himmel freigeräumt, nun liegt Sonne über den Hängen, die sanft abfallen zum Meer, und über Drumcliff Bay. Auf den Wiesen stehen Schafe im Wind, ihre Kiefer mahlen ungerührt. Zwischen ihnen springen die Lämmer durchs Gras.

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Buch&Bar 47: Marco Tschirpke: “Frühling, Sommer, Herbst und Günther”

Der Dichter des Schreckens und der Savanne

Heute über: Lesen und Trinken auf den einsamen Höhen der Poesie

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

Marco Tschirpke: "Frühlung, Sommer, herbst und Günther". Ullstein Taschenbuch Verlag, Berlin 2015. 9,99 Euro

Es sind die Dichter, die das Dunkle im Dasein zur Sprache bringen. In den Versen der großen Lyriker findet das Leid des Lebens ins Wort. Besinnen wir uns auf den jungen, ahnungsvoll begabten Poeten Marco Tschirpke, der die nächtlich ihn heimsuchenden Schicksals-Schrecken in einen berührenden, tief aufwühlenden Zweizeiler von unsterblicher Schönheit bringt: „Kein Tier in der Savanne / Schnarcht wie Du, Susanne.“

Was will uns der Dichter damit sagen? Es ist das einsame, das anonyme, in seine Savannen-Existenz geworfene Tier, das Tschirpke dem Schweigen unserer entfremdeten Epoche entreißt. In kühnem philosophischem Kontrast lässt er es in Widerstreit treten mit der Vokalkunst jenes geheimnisvollen Wesen namens Susanne. Meint der Poet damit die Susanne in uns allen? Wir wissen es nicht. Gewiss aber.meint er mit Susanne nicht Günther. Denn Günther steht nicht im Gedicht, sondern im Titel von Tschirpkes Opus Magnum „Frühling, Sommer, Herbst und Günther“ (Ullstein, 9,99 Euro), das wir unfehlbar zu den Markstein der heutigen Literatur zählen müssen.

Hören wir, welche aufrüttelnde Wahrheit dieser Meister der Sprachkunst uns hier über den ewigen Widerstreit zwischen Natur und Zivilisation zu enthüllen weiß: „Zwischen dir und dem Idyll / Steht zumeist ein Haufen Müll.“ Kann man es genauer, kann man es gültiger sagen? Wir alle müssen Tschirpke danken für seine aufopferungsvolle Arbeit an Reim, Rhythmus und Reinheit des Gedankens, die er als Sänger seiner selbst auch von den Kabarettbühnen unseres Landes zu den Menschen bringt.

Was wir nach der Lektüre des Tschirpke’schen Meisterwerks brauchen, ist: Trost. Trost, dass traumhafte Poeten wie Tschirpke so selten unser Dasein erhellen. Und Trost finden wir im Cocktail Poet’s Dream, gemixt zu gleichen Teilen aus Gin, trockenem Wermut und Bénédictine-Kräuterlikör. Bitter, aber herzwärmend.

Die Kolumne erschien im Focus vom 21. November 2015. 
 
2014 startete BUCH & BAR im Focus. Die Kolumne ist schon deshalb absolut unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.
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Buch & Bar 46: Frank Sinatra 100

Was fehlt Ihnen, um richtig cool zu sein?

Heute über 1:87 – maßstabsgerechtes Lesen und Trinken

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

Charles Pigone "Sinatra 100". Das offizielle Buch zum Jubiläum. Verlag Edel Germany. 39,95 EuroAm 12. Dezember konnte, wer Lust hat, Frank Sinatras 100. Geburtstag feiern. Solange er seine Geburtstage noch selbst feierte, galt Ol’ Blue Eyes als König der Coolness. Mit Krawatte auf Halbmast, Hipster-Hütchen und lockerer Hand am  Whiskey-Glas brachte er sein Zuhörer dazu, ekstatisch ihre Brillantringe gegeneinanderzuschlagen, um klatschende Geräusche zu erzeugen.

Im Jubiläums-Buch „Sinatra 100“ (Edel, 39,95 Euro) ist er auf cirka einer Million Fotos zu sehen. Doch nur eins davon zeigt ihn mit Buch. Das hat er offenbar heiß geliebt: Er umarmt es und presst es fest an seine Brust. Es ist ein Buch über Modelleisenbahnen. Sofort startete ein Film in meinen Kopf: Frankie Boy am Trafo mit Schaffnermütze und Trillerpfeife. Noch heute tragen die Hipster in Berlin so kleine Hütchen wie Frank und die Krawatten auf Halbmast. Aber nie höre ich sie über Märklin oder Roco reden. Ahnen die überhaupt, was ihnen fehlt, um endlich Sinatra-cool zu sein? Weder e-Zigaretten noch e-Mobile, sondern E-Loks mit Spurweite H0.

In seinem Glas sah Sinatra am liebsten vier Eiswürfel, zwei Fingerbreit Jack Daniel’s und ein Spritzer Wasser: „This is a gentlemen’s drink.“ Für meinen Geschmack enthält das Rezept einen Hauch zu viel Product Placement.  Deshalb: Versuchen Sie es auch mal mit George Dickel No.12 – auch er wird, wie bei Tennessee-Whiskey üblich, durch Holzkohle gefiltert, ist aber vielleicht noch etwas vanillemilder als Jack Daniel’s.

Die Kolumne erschien im Focus vom 14. November 2015. 
 
2014 startete BUCH & BAR im Focus. Die Kolumne ist schon deshalb absolut unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.
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