J.D.Salinger und Charles Chaplin

Der Dichter und die jungen Frauen

Heute hat J. D. Salinger Geburtstag. Den 104. Sein “Fänger im Roggen” war einer der erfolgreichsten Romane des 20. Jahrhunderts. In ihrer Biografie „Salinger. Ein Leben“ zeigen David Shields und Shane Salerno, wie brutal Salinger in das Grauen des 20. Jahrhunderts verstrickt war – und dass er eine Neigung zu sehr jungen Frauen hatte.

J.D.Salinger: “Der Fänger im Roggen”. Roman. Übersetzung: Eike Schönfeld. Rowohlt Taschenbuch Verlag, 10 Euro

Er gehört zu den rätselhaftesten, aber auch erfolgreichsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. J. D. Salingers Kultroman „Der Fänger im Roggen“ erschien 1951, erreichte bislang eine Auflage von mehr als 65 Millionen und gilt als ein literarischer Ausgangspunkt der endlosen Jugendrebellionen gegen Establishment und Erwachsenenwelt, die seither regelmäßig die westliche Welt erschüttern.

Salinger wuchs in New York als Sohn eines erfolgreichen jüdischen Geschäftsmanns in ebenjenem Milieu wohlhabender Bürger auf, gegen deren Heuchelei Holden Caulfield, der Held des „Fängers im Roggen“, in seinem 200-seitigen Monolog tobt und wütet. Schon mit 21 hatte Salinger die ersten Kurzgeschichten veröffentlicht und lernte 1941 das It-Girl jener Jahre kennen und lieben: die engelhaft schöne und von Klatschreportern umschwärmte 16-jährige Oona O’Neill, Tochter des Literaturnobelpreisträgers Eugene O’Neill. Die Affäre der beiden war nur ein paar Monate kurz und allen Anzeichen nach keusch – aber folgenreich.

Salinger wurde bald zur US-Army eingezogen und verlor Oona an den größten Kinokomiker aller Zeiten: an den damals 53-jährigen Charlie Chaplin, ebenfalls ein entschiedener Liebhaber von Mädchen auf der Schwelle zwischen Pubertät und Erwachsensein. Schon seinerzeit erlebte Chaplin wegen dieser Neigung in der Öffentlichkeit mitunter wütenden Gegenwind, welchen Sturm er heute ernten würde, mag man sich nicht vorstellen. Oona, die von ihrem Vater kaum je beachtet worden war, genoss die Aufmerksamkeit des genialen Filmers. Trotz 36 Jahren Altersunterschied heiratete das Paar an Oonas 18. Geburtstag, bekam acht Kinder und blieb bis zu Chaplins Tod 1977 unzertrennlich.

(Kleine Abschweifung: Ich hatte einmal die großartige Chance, Geraldine Chaplin über Ihre Eltern zu interviewen. Sie erzählte mir, welche innige und zärtliche Liebe ihren Vater und ihre Mutter verbunden hätte. Die beiden seien durch einen über Jahrzehnte andauernden tägliche Flirt verbunden gewesen. Was Chaplin allerdings nicht davon abhielt, gelegentlich auch mal Pointen auf Kosten seiner Frau zu machen. Die beiden hatten acht Kinder zusammen. Als das jüngste 1962 geboren wurde, meinte der 73-jährige Chaplin, er hätte ja gern noch mehr Kinder gehabt, aber seine Frau sei jetzt einfach zu alt dafür.)

J.D.Salinger: “Die jungen Leute”. Drei Stories. Piper Verlag. Derzeit offenbar nicht neu lieferbar. Seltsam.

Zurück zu Salinger: Die Liebesenttäuschung Oona an Chaplin verloren zu haben und seine Jahre als Soldat im Zweiten Weltkrieg veränderten Salinger von Grund auf. Drei seiner frühen Short Storys, die in dem schmalen Band „Die jungen Leute“ erstmals auf Deutsch erschienen sind, zeigen ihn als geschmeidigen literarischen Handwerker, aber noch wenig von der geradezu hypnotischen Suggestionskraft seiner späteren Bücher.

Am 6. Juni 1944, dem D-Day, landete der GI Salinger mit der 4th Infantry Division in der Normandie. Von den 3100 Soldaten seines Regiments waren am Ende des Monats nur noch weniger als 600 am Leben. Im Hürtgenwald und in den Ardennen geriet er in zwei der schwersten Schlachten des Zweiten Weltkriegs. Vor der Gefahr und dem Sterben seiner Kameraden flüchtete Salinger sich in die Literatur. Die ersten sechs Kapitel des „Fängers im Roggen“ hatte er schon damals bei sich, arbeitete in jeder freien Minute daran, einmal sogar, indem er während feindlichen Beschusses unter einem Tisch hockte.

Im Frühjahr 1945 erreichte Salinger völlig unvorbereitet als einer der ersten Befreier das KZ Kaufering IV. Es war erst kurz zuvor von der SS geräumt worden: Die Berge von Verhungerten, die übereinandergestapelt worden waren, und die verkohlten Leichen von Gefangenen, die das abrückende Wachpersonal bei lebendigem Leib verbrannt hatte, traumatisierten ihn dauerhaft.

David Shields und Shane Salerno: „Salinger. Ein Leben“. Übersetzung: Yamin von Rauch. Verlag Droemer/Kraur. 34 Euro

In ihrer hochinformativen Biografie „Salinger. Ein Leben“ weisen David Shields und Shane Salerno nach, dass sich Salinger nach Kriegsende wegen Depressionen in ein Nürnberger Krankenhaus einweisen ließ. Bald darauf heiratete er eine deutsche Ärztin, mit der er in die USA zurückkehrte – die er dann aber abrupt verließ, wohl weil er erfahren hatte, dass sie Informantin der Gestapo gewesen war.

Diese Ehe blieb die einzige, die Salinger je mit einer Gleichaltrigen schloss. Danach entwickelte auch er eine Obsession für sehr junge Frauen. Das Muster seiner Liebesbeziehungen, schreiben seine Biografen, war immer das gleiche: „bewunderte Unschuld, verführte Unschuld, verlassene Unschuld“. (Die Biographie ist auch formal hochinteressant: Was Shields und Salerno hier publizieren, ähnelt über weite Strecken dem, was man gern für den Zettelkasten eines Biographen halten möchte: Sie stellen die Erinnerungen und Kommentare von Zeitzeugen über Salinger unverbunden hintereinander, zumeist ohne sie zu werten oder untereinander zu verbinden. Die Dokumente sollen für sich selbst sprechen.)

Möglicherweise versuchte Salinger, in all seinen sehr jungen Geliebten die verlorene Oona O’Neill wiederzufinden. Mit 53 Jahren, also fast genau in dem Alter, in dem Chaplin die 18-jährige Oona geheiratet hatte – wofür Salinger ihn in Briefen lange als verantwortungslosen Lüstling beschimpfte -, ließ sich Salinger auf eine Affäre mit der 18-jährigen, späteren Schriftstellerin Joyce Maynard ein. (Auch sie hat vor rund zwanzig Jahren ein Buch über ihre Erinnerungen an Salinger geschrieben: „Tanzstunden. Mein Jahr mit Salinger“.)

Joyce Maynard: “Tanzstunden. Mein Jahr mit Salinger”. Piper Verlag. Nur gebraucht lieferbar

Aus der tiefen Nachkriegsdepression rettete sich Salinger durch seine literarische Arbeit und eine intensive Gottsuche auf den Spuren der hinduistischen Lehre des Vedanta. Diese Lehre befahl ihm einen radikalen Rückzug aus dem öffentlichen Leben. Als er nach dem Welterfolg vom „Fänger im Roggen“ von New York ins einsame New Hampshire übersiedelte, war das für seine Fans nur konsequent: Wie sein Held Holden Caulfield wandte er sich von der Verlogenheit der Gesellschaft ab. Der Salinger-Mythos war geboren.

Tatsächlich, so zeigen Shields und Salerno, lagen die Dinge etwas anders: Er reiste viel und achtete darauf, die Welt nie vergessen zu lassen, dass er sich von ihr zurückgezogen hatte.

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Feature Marx und Engels

Zwei Freunde, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten

Ich habe für den Hessischen Rundfunk ein Feature geschrieben über die Freundschaft von Karl Marx und Friedrich Engels. Es wird am kommenden Sonntag von 18 Uhr abends an auf HR2 zu hören sein.

Bärtige Freunde: Friedrich Engels / Karl Marx

Schon äußerlich waren sie ein ungleiches Paar: Friedrich Engels groß, schlank, und sportlich, Karl Marx dagegen gedrungen, mit seltsam eckigen Bewegungen und einer Leidenschaft für Aufenthalte in Bibliotheken. Aber auch sonst waren sie höchst gegensätzlich: Marx kam aus einer aufgeklärten, Engels aus einer frömmlerischen Familie. Marx bemühte sich zeitlebens um den Anschein gutbürgerlicher Lebensformen, während Engels sie als Zwang empfand und lange mit zwei Frauen gleichzeitig zusammenlebte. Marx arbeitete chaotisch, und hinterließ bergeweise unfertige Manuskripte. Engels war ein elegant formulierender Journalist und Autor, der in kürzester Zeit klar strukturierte Bücher zu schreiben vermochte.

Dennoch wurde ihre Freundschaft neben der von Goethe und Schiller zu der wohl bedeutendsten der deutschen Geistesgeschichte. Das Feature geht der Frage nach, wie derart unterschiedliche Menschen über fast vier Jahrzehnte zu einer überaus produktiven Zusammenarbeit finden konnten. Er rekonstruiert ihr Verhältnis vor allem aus dem Briefwechsel der beiden Männer, in dem sie nahezu alles teilten: ihre politisch hochfliegenden Pläne ebenso wie ihre intimsten Geheimnisse, ihren Antisemitismus ebenso wie ihre Neigung, nahezu alle anderen Sozialisten lustvoll zu beleidigen und herabzuwürdigen. Es ist die Geschichte einer Männerfreundschaft des 19. Jahrhunderts, ohne die die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts einen anderen Verlauf genommen hätte.

Über den Sender geht das Feature am 22. April von 18:04 Uhr bis 19 Uhr in hr2-kultur

Anschließend ist es im streaming nachzuhören (kein Download möglich)

Link:  https://www.hr2.de/literatur/hoerspiel-feature/index.html

(auf der Seite muss man etwas runterscrollen)

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Interview zu “Karl Marx beim Barbier”

“Karl Marx beim Barbier”. Ein Interview

WDR 3 Mosaik | 13.04.2018 | 08:33 Min

Der WDR3 hat in seiner Sendung Mosaik ein schönes Interview mit mir gemacht zu meinem Buch “Karl Marx beim Barbier”. Hier ist der Link zur Mediathek, wo das Interview nachgehört werden kann:

https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr3/wdr3-mosaik/audio-karl-marx-beim-barbier-100.html

Zur Sicherheit hier noch einmal als Download:

MARXwdr3

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Nobelpreisträger Kenraburo Oe zum Geburtstag

Vom Stolz der Toten

Heute feiert der japanische Literaturnobelpreisträger Kenzaburo Oe seinen 83. Geburtstag. Vor ein paar Jahren hatte ich die Gelegenheit, mich an einem herrlichen Spätsommer-Nachmittag für eine Stunde mit ihm zu unterhalten. Hier die Erinnerung an diese Begegnung, eine Mischung aus Bericht, Interview und Beschreibung seiner Bücher “Stolz der Toten” und “Tagame”. Der Text wurde zuerst 2005 veröffentlicht.


Im besten Hotel Frankfurts, zwischen all den Clubsesseln, lautlosen Pagen, Mahagonitischchen und Stofftapeten, mit denen beste Hotels so gern renommieren, sitzt Kanzaburo Oe auf einem kleinen Sofa. „Life is so dark“, sagt er, „so dark“, legt sich dazu eine Hand auf die Brust wie zum Schwur und lacht breit über sein altes Kindergesicht: „So dark.“

Kantaburo Oe: "Tagame. Berlin -Tokyo". Fischer Taschenbuch Verlag. Übersetzung: Nora Bierich. 9,95 Euro

Draußen leuchtet ein lichtblauer Himmel. Der herrlichste Spätsommer seit Jahren schenkt der Stadt wundersamen Glanz und ihren Menschen vorübergehend eine seltene Sanftheit, Lockerheit. Es ist definitiv kein Tag, an dem man gern hört, daß die Welt finster sei, so finster. Aber sie ist es. Natürlich. Da darf sich niemand vom Wetter täuschen lassen. Der Sonnenschein vergeht, die Finsternis bleibt.

In Oes Erzählung „Stolz der Toten“ zum Beispiel steigen zwei Studenten aus dem Tageslicht in den Leichenkeller ihrer Universität herab. Dort werden in einer riesigen alkoholgefüllten Wanne Menschenkörper aufbewahrt, bis die Pathologen sie brauchen. Einige der Leichname, erzählt der Verwalter, warten schon seit Jahren. „In dunkelbraune Flüssigkeit getaucht“, so beginnt das Buch, „mit verschlungenen Armen, die Köpfe aneinanderdrängend, treiben wie eine einzige Masse die Toten herauf, um allmählich wieder zu versinken.“

Ja, so ist das mit den Menschen, die für den kurzen Augenblick eines Lebens aus der Flut der Zeit herauftreiben, um allmählich wieder darin zu versinken. Dann sind die beiden Studenten und der Verwalter einen Moment ganz leise und hören, wie die Toten flüstern: „Manchmal werden sie still und verfallen schlagartig in Schweigen; dann plötzlich setzt das Geraune wieder ein.“ Nicht, daß die drei sonderlich erschrocken wären über dieses Mitteilungsbedürfnis aus dem Jenseits. Die shintoistischen Japaner achten zeitlebens darauf, mit den Ahnen einen alltäglichen Umgang zu pflegen, sie besucht sie oft in ihren Schreinen.

Uwe Wittstock: Können die Lebenden mit den Toten sprechen, Herr Oe?

Kenzaburo Oe: Ich bin ein alter Mann, der Tod wird mir immer vertrauter. Er steht mir inzwischen als natürlicher Übergang vor Augen. Da liegt es nahe, den Dialog mit denen zu suchen, die den Übergang schon hinter sich haben. Es gibt definitiv ein Gespräch zwischen Toten und Lebenden. Dieses Gespräch ist ein wichtiger Teil der Kultur, es macht in gewissem Sinne die Kultur aus.

In seinem 2005 erschienenen Roman „Tagame“ entwirft Oe einen solchen Dialog – der natürlich eine Fiktion ist und zugleich mehr als Fiktion. 1997 beging der japanische Regisseur Itami Juzo Selbstmord. Mit Filmen wie „Beerdigungszeremonie“, „Tampopo“ oder „Tanz am Abgrund“ war er zu einer beherrschenden Figur des japanischen Kinos herangewachsen und wurde auch international gefeiert. Sein überraschender Freitod erschütterte Oe, denn er ist mit Itamis Schwester verheiratet und war mit ihm seit Jugendjahren befreundet.

In seinem Roman heißt der Regisseur Goro. Er hat für seinen Freund, einen Schriftsteller namens Kogito, einen Stapel mit Tonbandkassetten besprochen, bevor er von einem Hochhaus sprang. „Ich werde mich nun also ins Jenseits aufmachen“, nuschelt Goro alkoholisiert auf einem der Bänder, spielt dann als effektsicherer Regisseur das Geräusch eines Körpers ein, der aus großer Höhe auf Asphalt aufschlägt, und fährt fort: „Aber ich breche das Gespräch mir dir nicht ab.“

Wittstock: Lernen man etwas über sich selbst, wenn man mit den Toten spricht?

Oe: Es gibt tatsächlich ein solches Tonband, das Itami vor seinem Tod für mich besprochen hat. Es ist nur eine einzige Kassetten, gerade zwanzig Minuten lang. Itami redet darauf zum Beispiel über Albert Camus oder über die Gewalt. Er hat gewissermaßen einen Themenkatalog abgesteckt für künftigen Gespräche. Dieses Tonband habe ich mitgenommen, als ich bald nach Itamis Tod als Gastprofessor nach Berlin eingeladen wurde und habe dann in Deutschland die Arbeit begonnen an meinem neuen Roman. Ich ließ das Band laufen, hörte ein paar seiner Sätze, stoppte und versuchte ihm dann zu antworten. Manches von diesen Dialogen ist dann in das Buch eingegangen. Habe ich dabei etwas über mich gelernt? Früher kam ich mir sehr dumm vor, wenn ich mit Itami sprach, er schien alles schneller zu begreifen als ich. Heute habe ich das Gefühl, daß ich gar nicht so schlecht war in den Gesprächen, die wir in unserer Jugend hatten.

Kenzaburo Oe: "Stolz der Toten". Fischer Taschenbuch Verlag. 6,95 Euro

Wieder lacht Oe, als sei er, Japans Literaturnobelpreisträger, noch immer stolz darauf, in den Gesprächen mit seinem Freund eine ganz gute Figur gemacht zu haben und sei zugleich ein wenig verlegen, sich auf solche Weise ungeniert selbst zu loben. Sein Roman „Tagame“ reicht weit zurück in die Vergangenheit Goros und Kogitos. Die beiden verbindet ein Geheimnis aus den Jahren der amerikanischen Besatzung nach dem Zweiten Weltkrieg, an das sie als Erwachsene jahrzehntelang nicht rühren: „DIESE SACHE“. Haben sie sich um ein Haar in die Machenschaften einer nationalistischen Terrorgruppe hineinziehen lassen, die Anschläge gegen die amerikanischen Truppen plante? Oder geht es um eine homosexuelle Begegnung zwischen Goro und einem amerikanischen Offizier? Oder um beides?

Immer wieder rückt das Buch die zwei Romanfiguren bis zum Verwechseln nahe an die realen Personen Itami und Oe heran. Kurz nach dem finsteren, später so sorgsam beschwiegenen Zwischenfall ihrer Jugend will der künftige Regisseur ein Foto vom künftigen Schriftsteller machen: Kogito soll auf einem Spiegel liegen, Wange an Wange mit seinem Spiegelbild, umgeben von seinen Notizzetteln. Blättert der Leser nach dieser Szene im Buch um, findet auf der folgenden Seite eben dieses Foto, und der junge Mann darauf ist dem jungen Oe wie aus dem Gesicht geschnitten.

Wittstock: Obwohl man in Japan engere Beziehungen zu den Ahnen pflegt als wir in Europa, scheinen die Japaner dazu zu neigen, über bestimmte historischen Tatsachen konsequent zu schweigen. Vor allem mit Blick auf die Rolle Japans im Zweiten Weltkrieg.

Oe: Ich bewundere Deutschland für die Entschlossenheit, mit der es sich der eigenen Vergangenheit konfrontiert hat. Die Verehrung der Ahnen ist bei uns in Japan sehr pauschal. In dem Schrein, in dem sich die Seelen der Soldaten versammeln, die im Krieg gefallen sind, werden Kriegsverbrecher ebenso geehrt, wie zum Beispiel einfache Dorfbewohner, die vom japanischen Militär zum Selbstmord gezwungen wurden, damit sie nicht in amerikanische Kriegsgefangenschaft gerieten. Damals mußten Mütter ihre Säuglinge töten und dann sich selbst. Die Seelen dieser ermordeten Babys finden nun im gleichen Schrein ihre Ruhe wie die Seelen deren, die ihre Ermordung anordneten. Ich habe ein Buch über das Schicksal dieser Babys geschrieben und bin verklagt worden von Hinterbliebenen jener Offiziere, die damals das Kommando führten.

Wittstock: Können die Japaner also, gerade weil sie ihre Ahnen so verehren, nur schwer ein kritisches Verhältnis zur Vergangenheit ihres Landes entwickeln?

Oe: Ja. Das ist das ein Grund. Aber alle Kriegstoten unterschiedslos in einem Schrein zu verehren, ist auch Teil der Regierungspolitik. Diese Politik sorgt für viel Zorn in anderen asiatischen Ländern wie China und Korea. Uns fehlt eine Gedenkstätte für die Menschen, die von den japanischen Truppen im Zweiten Weltkrieg ermordet wurden. Ich habe großen Respekt vor dem Mahnmal, das jetzt in Berlin für die ermordeten Juden Europas errichtet wurden. Das ist eine wichtige Sache.

Die Toten geben Kenzaburo Oe keine Ruhe. Er habe, sagt er, sein neues Buch „Tagame“ geschrieben, um sich ihrem Urteil zu stellen, um sich von ihnen kritisieren zu lassen kann. Und das Urteil der Toten ist streng, eine Menge Ausreden, Ablenkungen, Illusionen werden in ihrer Gesellschaft erkennbar als das, was sie sind: Ausreden, Ablenkungen, Illusionen.

„Wie ist das denn für einen jungen Studenten wie Sie? Es ist doch sicher merkwürdig für Sie, bei den Toten zu arbeiten“, fragt der Verwalter des Leichenkellers in der Erzählung „Stolz der Toten“ einen seiner beiden Begleiter: „Wenn man noch voller Hoffnung ist! Gerät sie nicht ins Wanken beim Anblick der Toten?“

Oe war gerade erst 23 Jahre alt und Student, als er diese Geschichte veröffentlichte. „Ich habe keine Hoffnung“, antwortet sein junger Held. „Man braucht keine Hoffnung zu haben. Ich will mein Leben gut führen und gut studieren. Für ein solches Leben braucht man keine Hoffnung. Ich habe, außer in der Kindheit, nie mit Hoffnung gelebt, ich hatte kein Bedürfnis danach.“

Keine Hoffnung. Die Pagen huschen im Frankfurter Hotel vorüber, die Gäste schmiegen sich in die Ledersessel. Draußen streicht die laue Luft des Spätsommers über die Lebenden. Drinnen sitzt Oe, spricht von den Toten und lacht.


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Annette Mingels Roman “Was alles war”

Der Roman einer echt krassen Herde

Am 27. November 2017 hatte ich das Vergnügen in Berlin die Laudatio zu halten anlässlich der Verleihung des Buchpreises 2017 der Stiftung Ravensburger Verlag an Annette Mingels für ihren Roman „Was alles war“. Es ist ein genau gearbeiteter, kluger Roman, der vor Augen führt, wie sehr sich das Verständnis von Familie in einer liberalen Gesellschaft heute verändert hat. Schon deshalb hat es mir Freude gemacht, eine Rede lang das Loblied auf dieses Buch zu singen.

Liebe Frau Hess-Maier,
sehr geehrter Herr Hauenstein,
sehr verehrte Damen und Herren,
vor allem aber: Liebe Frau Mingels,

wenn wir wissen wollen, in welcher Epoche wir leben, sollten wir gut zählen können. Früher einmal machte man es sich einfach und nannte unser Zeitalter die Moderne, der wir mit bürgerlicher Gesellschaft, individueller Freiheit und Demokratie fast alles verdanken, was unser politisches Denken bis heute prägt. Aber es ist noch nicht lange her, rund 30 oder 35 Jahre, als die Soziologen Anthony Giddens und Ulrich Beck beschrieben, wie sich diese gesellschaftlichen Grundlagen durch die Globalisierung, aber auch die Flexibilisierung der Arbeitswelt gleichermaßen zu radikalisieren und aufzulösen begannen – und nannten diese Entwicklung die Zweite Moderne. In der jüngsten Zeit beginnt nun die digitale Revolution diesen Prozess noch weiter zu beschleunigen, die Freiheiten des Einzelnen von gesellschaftlichen Zwängen scheinen immer größer, die Welt immer kleiner zu werden, aber verwirrenderweise ist gleichzeitig auch das Gegenteil richtig, denn es scheinen sich im Zugriff von Big Data sämtliche Freiheiten zu verflüchtigen und auf die Grenzenlosigkeit der Gegenwart eine neue Sehnsucht nach politischen Grenzen, Mauern, Zäunen zu antworten – was jetzt die Dritte Moderne genannt wird.

Wer heute einen Roman über unsere Gegenwart schreiben will, sollte also mindestens bis Drei zählen können. Denn man kann Geschichten von Menschen in unserer Zeit nicht erzählen, wenn man sich nicht auch ein Bild von dieser Zeit macht. Das sollte allerdings nicht das Bild der Soziologen sein, deren Geschichten immer von gesellschaftlichen Gruppen und Prozessen handeln, sondern im Roman müssen es die Bilder sein, die einzelne Figuren sich von ihrem Zeitalter machen, während diese Einzelnen zugleich von ihrem Zeitalter “gemacht” werden. Das ist klein leichtes Geschäft.

In ihrem Roman „Was alles war“ ist Annette Mingels diesem schwierigen Geschäft glanzvoll nachgegangen. Und sie hat es sich dabei alles andere als einfach gemacht. Denn sie erzählt von einigen der wichtigsten und zugleich ungreifbarsten, den prägendsten und zugleich ambivalentesten Faktoren, die ein Leben beeinflussen: Sie erzählt von dem Geflecht der Familienbindungen. Und davon, wie sich dieses Geflecht in einer dreifach gestaffelten, ersten, zweiten, dritten Moderne verändert, um das bleiben zu können, was es ist: ein Netz, das den Einzelnen wenn möglich nicht einfängt und fesselt, sondern auffängt und ihm Halt bietet.

Die Hauptfigur, von der Annette Mingels in ihrem Roman erzählt, ist eine kluge Frau. Sie heißt Susanna, erforscht als Meeresbiologin das Liebesleben der Plattwürmer, hat aber auch mit dem Liebesleben der Menschen schon ein paar Erfahrung gesammelt und kann verdammt gut bis Drei zählen. Sie könnte hier bei uns in diesem Saal sitzen, die Erkenntnisse der aktuellen Soziologie würden sie nicht überraschen, denn sie geht mit offenen Augen durch ihre Zeit und weiß sehr genau, wie tiefgreifend sich Familie in der liberalen Welt des Westens verändert hat.

Annette Mingels: "Was alles war". Roman. Knaus Verlag. 19,99 Euro

Denn Susanna ist – wie uns allen auch – in diesem Zeitalter die Freiheit der Entscheidung geschenkt worden. In Susannas Familienleben wird das besonders deutlich: Sie ist von ihren Eltern adoptiert worden, ihre Eltern haben sich also sehr bewusst für sie entschieden. Und ihre leibliche Mutter Viola hatte sich zuvor die Freiheit genommen, sie und ihre drei Geschwister zur Adoption freizugeben, weil sie, wie sie Susanna einmal schreibt, „seit jeher vor der Abhängigkeit in jeder Form zurückschreckt“. Aber damit nicht genug der Entscheidungen: Als sich Susanna in einen jungen Witwer namens Henryk mit zwei kleinen Töchtern verliebt, steht sie vor der Entscheidung nicht nur für oder gegen eine Ehe, sondern zugleich vor der für oder gegen eine Patchwork-Mutterschaft. Und die modernen Verhütungsmittel verschaffen ihr die Möglichkeit, sich für oder gegen ein drittes, gemeinsames Kind mit ihrem Mann zu entscheiden, um das familiäre Patchwork noch ein wenig bunter zu machen. Und als Henryk den lang ersehnten Ruf erhält, als Professor an einer Universität zu unterrichten, die aber unglücklicherweise fernab von jedem meeresbiologischen Institut liegt, ermöglicht Susanna das moderne Scheidungsrecht sich frei zu entscheiden zwischen ihrer beruflichen Selbstständigkeit als Alleinerziehende in ihrer vertrauten Küstenstadt  oder dem Leben als einer Fernpendler-Mutter und -Wissenschaftlerin  oder eben auch als Ehefrau, die ihre persönlichen Berufschancen eintauscht gegen die traditionelle Familienbindung.

Doch spätestens bei dem letztgenannten Entscheidungsszenario wird überdeutlich, wie zynisch es ist, noch von der Freiheit zur Entscheidung zu sprechen, obwohl es sich doch unverkennbar um einen Entscheidungszwang handelt, der die Heldin Susanna, gleichgültig wie sie sich entscheidet, zu zerreißen droht. Denn das macht die Schattenseite jener umfassenden Liberalisierungen aus, vor die wir uns durch die Entwicklungslogik der modernen Gesellschaft gestellt sehen: Sie befreit uns von lauter überkommenen sozialen Zwängen, um uns im Gegenzug vor den Zwang zu unseren ganz persönlichen Entscheidungen zu stellen, die dann unsere Verantwortung ausmachen.

Zu dem Großartigen an Annette Mingels Roman gehört, dass er diese Dialektik der gewachsenen Freiheiten nicht beklagt, denn wer würde sich schon die angeblich so guten alten Zeiten der Unfreiheit zurückwünschen. Nein, der Roman klagt nicht über die neuen Freiheiten, sondern er beobachtet und beschreibt ihre Auswirkungen mit großer psychologischer Einfühlungskraft. Ihre kluge Heldin Susanna erlebt den permanenten Entscheidungszwang, vor den sie sich gestellt sieht, nämlich zugleich als einen Bewusstmacher, der sie dazu anhält, sich alle Möglichkeiten, Chancen, Alternativen in ihrem Leben sehr genau vor Augen zu führen, bevor sie sich entscheidet. Niemand wird behaupten, das wäre leicht, aber es sorgt doch auch dafür, das sie intensiver und eben bewusster lebt. Es ist keine Konvention, kein blindes Schicksal und auch nicht die Diktatur der Mutterschaft, die sie an ihre Ehe und Familie fesseln, sondern es ist die Wahl, die sie selbst für sich trifft.

Natürlich geht es in diesem Roman nicht um Susanna allein, das macht ja den Reiz eines Familienromans aus, dass die Entscheidungen jeder einzelnen Figur immer auch abhängig sind und zurückwirken auf die Entscheidungen anderer Figuren. Doch der Versuch zu zeigen, mit welchem erzählerischen Geschick Annette Mingels auch die anderen Figuren ihrer Geschichte mit ihren jeweiligen Wahlzwängen konfrontiert, führte hier zu weit. Beeindruckend ist auch, wie sie ihre Heldin Susanna zwischenzeitlich in der Vielzahl von Rollen, denen sie als Wissenschaftlerin, Ehefrau, Mutter und zugleich auch noch als Tochter eines sterbenden Vaters gerecht werden muss, an die Grenze ihrer Kräfte führt – und noch ein gutes Stück über diese Grenze hinaus, wo sich Susanna dann so gründlich selbst verliert, dass von ihr nicht mehr aus der Ich-Perspektive erzählt werden kann, sondern nur noch aus einer distanzierten Außenperspektive.

Annette Mingels Foto: (c) Hendrik Lüders

Aber auch das ist noch nicht alles, was in diesem Roman steckt. All das klingt nach einer sehr ernsten, sehr gewichtigen Geschichte, die hier erzählt wird, und das ist auch richtig so. Aber Annette Mingels versteht es zugleich, die wunderbaren kleinen Unvernünftigkeiten und Irrtümer ihrer Figuren mit Ironie anklingen zu lassen. Dutzendfach entdecken sie Familienähnlichkeiten zwischen Menschen, zwischen denen es zumindest aus biologischen Gründen gar keine Familienähnlichkeiten geben kann. Und als sich Susanna schließlich nach dem Tod ihres Adoptivvaters auf die Suche macht nach ihrem biologischen Vater, der von ihrer Geburt nie etwas erfahren hat, entdeckt sie genetische Zusammenhänge, über die ich hier lieber nichts verraten will, um niemanden, der den Roman noch nicht gelesen hat, eine Schlusspointe vorwegzunehmen.

Aber ich glaube, dass in diesen ironischen Momenten des Romans zugleich ein großes Stück Weisheit liegt.  Es gibt einen, wie ich finde: sehr philosophischen Film über eine Adoption, der vor einigen Jahren in historischer Verkleidung von unserer modernen Erfahrung erzählte, dass Familie heute nicht mehr unbedingt in dem Fundament der gemeinsamen Gene wurzelt, sondern auch auf der Grundlage gemeinsamer Entscheidungen sich entwickeln kann. Es ist ein Trickfilm, heute nennt man so etwas einen Animationsfilm, und ich habe ihn gemeinsam mit meinen damals noch recht kleinen Söhnen angeschaut. Er heißt „Ice Age“, spielt in einer sehr frühen Steinzeit, und handelt von einem einsamen Mammut, einem Säbelzahntiger mit Altersproblemen und einem vorlauten, ein wenig dummen Riesenfaultier namens Sid. Die drei sind von der Natur offenkundig nicht füreinander bestimmt, aber sie haben sich entschieden, zusammen zu bleiben, und sie fahren gut damit, da sich ihre Stärken und Schwächen vorteilhaft ergänzen – und außerdem adoptieren sie vorübergehend einen verlorenen Menschensäugling, um ihn zurückzubringen zu seinen Eltern. Nachdem viele Abenteuer bestanden, der Säugling beim glücklichen Vater abgegeben und die Steinzeitwelt wieder in Ordnung ist, wendet sich Sid, das Riesenfaultier vom Stamme der Shakespearischen Narren an seine beiden Begleiter und meint: „Also, ich weiß nicht, wie ihr darüber denkt, aber wir sind die krasseste Herde, die ich kenne.“

Tja, und vermutlich geht es einfach darum, nicht nur beim Zusammenleben von Mammut, Tiger und Faultier, sondern auch bei Susanna, Henryk, Henryks beiden Töchtern und ihrem gemeinsamen Sohn, dass sie bei all den Unterschieden, die sie trennen, und den aufreibenden Entscheidungs-Abenteuern, die ihnen die Moderne abverlangt, dennoch immer wieder mal zu der Überzeugung kommen, hey, wir sind die krasseste Herde, die wir kennen.

Meine Damen und Herren, ich danke für Ihre Geduld, und liebe Frau Mingels, ich gratuliere ihnen zu ihrem großartigen Roman „Was alles war“ und beglückwünsche Sie sehr herzlich zum Buchpreis der Stiftung Ravensburger Verlag 2017.

 

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Buch&Bar 123: Raymond Chandler “Der lange Abschied”

Ein Held nur aus Worten

Buch&Bar heute zum letzten Mal: Über die Macht der Literatur und die Rituale des Abschieds beim Lesen und Trinken

Raymond Chandler: "Der große Abschied". Roman. Aus dem Englischen von Hans Wollschläger. Diogenes Verlag. 12,90 Euro

Manche Schriftsteller können zaubern. Nur aus Worten erschaffen sie Figuren, die einen festen Platz in unserer Fantasie einnehmen, selbst wenn wir ihre Bücher gar nicht kennen. Raymond Chandler ist so ein Schriftsteller, und sein Held, der Privatdetektiv Philip Marlowe, ist so eine Figur.

Marlowe lebt in einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft und bewegt sich in ihr wie ein Fisch im Wasser. Aber er ragt doch über sie hinaus. Mitten in ehrloser Zeit ist er ein Mann von Ehre. Während alle enthemmt nach Geld grapschen, nimmt er nur Honorare, die ihm nach seinem Moralkodex zustehen. Während alle auf den eigenen Vorteil achten, hält er den Kopf hin für die Schwachen. Er ist ein hartgesottener Romantiker in der unromantischsten aller Welten.

Besonders glaubwürdig war diese Figur nie. Aber Chandler erzählt so perfekt von ihr, dass sie bis heute in zahllosen anderen Detektiv- oder Polizistenfiguren und also noch immer im kollektiven Gedächtnis fortlebt. In Chandlers schönstem Roman „Der lange Abschied“ (Diogenes, 10,90 Euro) lässt sich Marlowe von Gangstern verprügeln und von der Polizei einsperren, weil er an die Unschuld eines Freundes glaubt, mit dem ihn nicht mehr verbindet als ein paar gute Gespräche in einer Bar und ein paar gute Drinks.

Der beste Drink, den die beiden dann auch zu ihrem langen Abschied trinken, ist für sie der Gimlet: „Richtiger Gimlet besteht zur einen Hälfte aus Gin und zur anderen aus Rose’s Lime Juice und aus sonst nichts.“ In dieser Mischung ist der Gimlet deshalb zum klassischen Farewell-Drink geworden. Also trinke ich zu meinem Abschied von dieser Kolumnen-Reihe nun einen Gimlet auf die Geduld der Leser und auf Raymond Chandler.

 

2014 startete BUCH & BAR die mit dieser 123 Folge endet. Die Kolumne war schon deshalb absolut unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Sie war also haargenau das, worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs servierte. Doch nach 123 Folgen ist es Zeit, sich nach anderem umzuschauen. Cheerio!

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Buch&Bar 122: Peter Catapano / Simon Critchley “Von Kung-Fu bis Ladypower”

Auf der Suche nach der Theorie für den nächsten Banken-Crash

Buch&Bar heute: Über die orgiastischen Vergnügungen alter und allerneuester Philosophen beim Denken und Trinken

Peter Catapano und Simon Critchley: "Von Kung-Fu bis Ladypower. 33 Übungen in moderner Philosophie". J.B.Metzler Verlag. 19,99 Euro

Auch die Philosophie ist nicht mehr das, was sie mal war. Früher dachten Philosophen über Gott nach oder die Unsterblichkeit der Seele oder die Frage, ob wir die Realität vielleicht verwechseln mit irgendwelchen Schatten an Höhlenwänden.

Inzwischen hausen Philosophen nicht mehr in Höhlen oder Fässern, sondern in coolen Apartments und schreiben für die „New York Times“. Denn die hat einen Blog, der in Erinnerung an den Stein der Weisen „The Stone“ heißt. In den Artikeln geht es „Von Kung-Fu bis Ladypower“ um das rätselvolle Dasein in unserer modernen Welt. Peter Catapano und Simon Critchley haben daraus ein Buch gemacht (Metzler, 19,99 Euro).

Hier denken Philosophen über Neurowissenschaften nach oder Hollywoods „Matrix“- Serie oder die Frage, ob Kant ein Feminist war. Oder darüber, was künftige Generationen über die dauerironischen Hipster von heute denken werden, die ihnen als ihr Lebenswerk eine Sammlung von Katzenvideos hinterlassen. Am besten gefallen hat mir die Begründung, weshalb selbst Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaft immer erst hinterher wissen, warum die Banken schon wieder einen Crash hingelegt haben: Philosophisch betrachtet, betreiben Volkswirte nämlich gar keine exakte Wissenschaft, sondern so eine Art Pi-mal-Daumen-Handwerk.

Übrigens: Schon die antiken griechischen Philosophen haben bekanntlich gern einen gekippt. Am liebsten Wein. Dazu hielten sie Reden und nannten es nicht Sauftour, sondern Symposion. Und danach kamen freundliche Musikerinnen zu ihnen zu Besuch. Wenn ich da an die deutlich trockeneren Symposien von heute denke! Aber ach, die Philosophie ist eben nicht mehr das, was sie mal war.

 

2014 startete BUCH & BAR. Die Kolumne ist schon deshalb absolut unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.

 

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Buch&Bar 121: Björn Akstinat und Simon Akstinat “Marx & Engels intim”

Meisterbeleidiger Marx

Heute in Buch&Bar: Über das Vergnügen an superscharfen Sachen beim Lesen und Trinken

Björn Akstinat und Simon Akstinat: "Marx & Engels intim". Erstaunliches aus dem unzensierten Briefwechsel von Karl Marx und Friedrich Engels. IMH Service. (Vertrieb über amazon) 9,95 Euro

Kürzlich, als ich in herrlicher Sommer-Abendsonne über Berlins Torstraße ging, fiel mein Blick in einem der Schaufenster auf eine Flasche Marx-Gin mit der vollbärtigen Karl Marx-Ikone auf den Etikett. Ich mochte beides und suchte seither nach einem passenden und aktuellen Marx-Buch, um den Gin hier in der Kolumne unterbringen zu können.

Gefunden habe ich „Marx & Engels intim“ (IMH-Service, 9,95 Euro). Die Herausgeber Björn und Simon Akstinat  haben in dem Taschenbüchlein bemerkenswerte Ausschnitte aus dem Briefwechsel zwischen Marx und Engels zusammengestellt. Ich beschränke mich hier mit meinen Zitaten ausschließlich auf Marx’ erstaunliche Freude an Beleidigungen: Engels’ Vater nennt er brieflich einen „Schweinehund“. Von einem frisch verstorbenen Onkel spricht er dagegen nur als einem „alten Hund“. Ferdinand Lassalle, den Gründer des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, bezeichnet er als der „jüdischen Nigger“ oder „wasserpolackischen Juden“. In seiner Funktion als Vorkämpfer der Arbeiterklasse schrieb er : „Komplettere Esel als diese Arbeiter gibt es wohl nicht.“ Von dem Mitgründer der SPD Wilhelm Liebknecht spricht er als „Vieh“ und von dem linken Dichter Ferdinand von Freiligrath als „Scheißkerl“. Über seinen Schwiegersohn Paul Lafargue, dessen Mutter eine kubanische Kreolin war, behauptet Marx, er habe eine „üble Narbe von dem Negerstamm“ habe. Die Pointe, dass Marx ihn außerdem in einem Brief an eine Tochter den „Abkömmling eines Gorillas“ nannte, haben die Herausgeber ausgespart. Darauf einen kräftigen Schluck Marx-Gin. Prost.

 

2014 startete BUCH & BAR. Die Kolumne ist schon deshalb absolut unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.

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Buch&Bar 120: Hans-Werner Wahl “Die neue Psychologie des Alterns”

Das Positive am Positivsein!

Heute in Buch&Bar: Über die unbändige Freude der Jungen auf die Lebensweisheiten der Alten beim Lesen und Trinken

Hans-Werner Wahl: "Die neue Psychologie des Alterns. Überraschende Erkenntnisse über unsere längste Lebensphase." Kösel Verlag, 19,99 Euro

Älterwerden ist eine Erfolgsgeschichte. Es sein denn, man hält es für den größeren Triumph, mit 27 in Gras zu beißen. Manche Rockstars wie Janis Joplin, Kurt Cobain oder Amy Winehouse haben ja hart an so einem frühen Finish gearbeitet. Ich fand ihre Einstellung immer ein wenig seltsam und habe mich deshalb beruflich anders orientiert. Nicht so in Richtung Weltstar.

Altersforscher Hans-Werner Wahl hat jetzt überraschende Erkenntnisse zusammengetragen über „Die neue Psychologie des Alterns“ (Kösel, 19,99 Euro). Da ich inzwischen die 27 überschritten habe, beginnen mich solche Bücher zu interessieren. Wussten Sie zum Beispiel, dass eine positive Einstellung zum Altern einen erstaunlichen Einfluss darauf hat, wie alt man tatsächlich wird? Leute, die im Älterwerden nichts als Elend und Unglück sehen können, fallen dem Knochenmann im Durchschnitt gut sieben Jahre früher anheim. Wer aber die Jahre jenseits der 70 als Chance sieht auf neue, bemerkenswerte Erfahrungen, hat auch größere Chancen, mehr davon zu erleben.

Seither male ich mir aus, weißhaarig an der Bar zu sitzen und Jüngeren, die ehrfürchtig lauschen, meine frei erfundenen Lebensweisheiten auf die Nase zu binden. Großartig. Und dazu vielleicht einen Cocktail Old Timer zu trinken: 2 cl Apricot Brandy, 2 cl Triple Sec, eine Zitronenspirale und eine Maraschino-Kirsche. Ein kleiner, milder Drink, denn im Alter verträgt man leider nicht mehr so viel Alkohol. Was definitiv keine Erfolgsgeschichte ist.

 

2014 startete BUCH & BAR. Die Kolumne ist schon deshalb absolut unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.

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Buch&Bar 119: Anke Fesel und Chris Keller “Berlin Heartbeats”

Das Glück der Veteranen

Heute in Buch&Bar: Über die Abenteuer der Freiheit beim betrachten nostalgischer Fotos und natürlich beim Lesen und Trinken

Anke Fesel / Chris Keller: "Berlin Heartbeats". Stories from the wild years. Suhrkamp Verlag. 29,90 Euro

Nicht nur Kriege, sondern auch schöne Ereignisse der Geschichte bringen Veteranen hervor. So zum Beispiel der Mauerfall von Berlin, der die Stadt für ein paar Jahre in einen Abenteuerspielplatz für Erlebnishungrige verwandelte. Die Helden von damals, die sich intensiver als andere in den Taumel stürzten, sind die Veteranen von heute.

Anke Fesel und Chris Keller haben für sie ein leicht nostalgisches Fotoalbum der wilden Jahre in dokumentarischem Schwarzweiß zusammengestellt: „Berlin Heartbeats“ (Suhrkamp, 29,90 Euro). Dazu gibt’s Erinnerungen von alten Kämpen wie Klaus Biesenbach, Frank Castorf oder Sasha Waltz. Überall in der wiedervereinigten Stadt war plötzlich Platz da, schreibt Judith Hermann, „zum Filme zeigen, Radiomachen, Fotografieren, Theaterstücke aufführen: wie Spielen, ohne dass das wirklich etwas wollte, es war alles sehr leicht.“ Doch, fügt sie hinzu, das Glück der unbeschwerten (Selbst-)Entdeckungslust hatte zwei Seiten: „Es hatte auf der einen Seite etwas Zielloses – und auf der anderen Seite war es genau deshalb so bedrückend.“

Drinks werden ja gern nach legendenträchtigen Städten benannt: vom Parisian über den London Buck oder den Manhattan bis hin zum Singapore Sling. Seltsam, in dieser Hinsicht hat das schwer legendenträchtige Berlin noch viel aufzuholen. Immerhin hatte die kürzlich geschlossene „Rivabar“ im S-Bahnbogen am Alexanderplatz schon mal The Mitte Cocktail entwickelt: 5 cl Weinbrand, 2 cl Persico, 2 cl roten Wermut, 2 cl Orangensaft. Perfekt um mit Herzpochen in „Berlin Heartbeats“ zu blättern.

 

2014 startete BUCH & BAR. Die Kolumne ist schon deshalb absolut unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.

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