Jón Gnarr, der Punk als Politiker

Smokescreen im Rathaus

Der weltweit lustigste Bürgermeister Jón Gnarr liefert seine politische Programmschrift ab: “Hören Sie genau zu und wiederholen Sie!!!” Reykjavík ist gut mit ihm gefahren, ob Gnarr aber als Bürgermeister so viel Spaß hatte wie erhofft, bleibt offen. Hier eine Erinnerung an seinen Wahlsieg und Ausschnitte aus einem Gespräch mit ihm:

Island kann auch im Frühjahr verdammt kalt sein. Aber ich hatte Glück. Am Abend des 27. Mai 2010 war es angenehm lau. Es war der Tag der Kommunalwahl auf der Vulkaninsel – auf der eine Menge der sonst friedfertigen Isländer kurz vor dem Ausbruch standen.

In Jón Gnarrs Wahlkampf-Hauptquartier versammelten sich seine Unterstützer, darunter Schriftsteller, Sänger, Schauspieler. Gnarr, der bekannteste Komiker des Landes, hatte wenige Monate zuvor die „Beste Partei“ gegründet, einen fabelhaften Wahlwerbespot auf YouTube gepostet (Unbedingt ansehen! Laut!:  http://www.youtube.com/watch?v=xxBW4mPzv6E) und seine Kandidatur für das Amt des Bürgermeisters von Reykjavík verkündet. Die Wahllokale hatten gerade geschlossen, als ich Gnarrs kahler Büroentage besuchte, überall liefen die Fernseher und immer wieder ging ein Raunen durch die Mannschaft.

Allerdings zeigten die Bildschirme nicht die Wahlergebnisse aus Islands Hauptstadt – sondern die des Eurovision Song Contests in Oslo, den an diesem 27. Mai Lena Meyer-Landrut für Deutschland gewann: „Satellite“. Erst danach wurde umgeschaltet: 34,7 Prozent für die Beste Partei, keine andere hatte mehr: Gnarr war neuer Bürgermeister seiner Heimatstadt.

Jón Gnarr: "Hören Sie gut zu und wiederholen Sie". Wie ich einmal Bürgermeister wurde und die Welt veränderte. Übersetzt von Betty Wahl. Tropen Verlag, Stuttgart 2014. 14,95 Euro

Eine Protestwahl, natürlich. Die Finanzkrise 2008 hatte den drei größten Banken Islands das Genick gebrochen, das Land schlidderte haarscharf am Staatsbankrott vorüber, aufgebrachte Bürger lärmten wochenlang mit Töpfen und Pfannen vorm Parlament und manche von ihnen drohten, die Politiker handgreiflich in die Eiswüste zu schicken.

Da kam ihnen einer wie Gnarr gerade recht: Ein Schulabbrecher, der zwei Jahre in einem Internat für Schwererziehbare verbrachte. Ein Punk, der sich lange als Taxifahrer durchschlug. Ein bekennender Anarchist, der jede Ideologie oder Staatstheorie ablehnt, sogar den Anarchismus. Ein Standup-Comedian, der fürs Radio Sitcoms und fürs Fernsehen Sketch-Shows schrieb und dessen einzige politische Leidenschaft es schien, Politikern eine Nase zu drehen.

Doch Gnarr, der nie die ihm zugedachten Rollen übernahm, verweigerte sich auch dieser. Seine Beste Partei bildete mit den Sozialdemokraten eine stabile Koalition, krempelte die Ärmel hoch und begann eine, auch mit der Opposition betont respektvolle Zusammenarbeit zum Wohl der Stadt. „Wir haben den finanziell angeschlagenen Energiekonzern Reykjavíks wieder hingekriegt“, sagt Gnarr, wenn man ihn nach seinen größten politischen Erfolgen fragt, „wir haben die Internet-Plattform ‚Betri Reykjavík’ eingerichtet, die eine sehr direkte Bürgerbeteiligung möglich macht, wir haben eine Schulreform gemacht, für mehr Fahrradwege gesorgt, und, und, und…“

Sein Buch „Hören Sie gut zu und wiederholen Sie!!!“ (Tropen Verlag), das jetzt in Deutschland erscheint, ist ein ebenso unterhalt- wie bedachtsamer Rechenschaftsbericht über seine Expedition in die Gefilde der Politik, gespickt mit Ratschlägen für Protest-Parteigründer weltweit – und eine Aufforderung an jedermann, sich einzumischen: „Wie gut Demokratie funktioniert, hängt davon ab, wie viele von uns aktiv teilnehmen. Wenn es zu wenige sind, wird die Demokratie platt und banal.“ Der Titel des Buches ist wohl wörtlich zu verstehen: Gnarr möchte seine Botschaft per Buch weltweit verbreiten und Nachahmungstäter finden.

Allerdings hat Gnarr seine Rolle im Rathaus vornehmlich als, wie er schreibt, „Smokescreen“ verstanden. Er lenkt die Angriffe der politischen Gegner wie „eine Art Blitzableiter“ auf sich, um dem Rest des Magistrats ruhige Arbeit zu ermöglichen. Um reizvolle Mittel dafür ist er nie verlegen: Mal tritt er mit Kleid und Gesichtsmaske von Pussy Riot auf, um gegen die Verhaftung der russischen Frauen-Band zu protestieren, mal als Yedi-Ritter, wenn er Lady Gaga einen Friedenspreis überreichen soll, oder auch als Drag-Queen bei der jährlichen Gay-Pride-Parade der Stadt – was etliche Politiker und Bürger für unvereinbar halten mit der Würde seines Amtes.

Das ist er allerdings bald los. Zur Wiederwahl im Mai tritt er nicht an. „Die Beste Partei liegt zwar“, sagt er, „in den Umfragen bei 37 Prozent, könnte also wieder gewinnen, aber ich möchte das nicht. Man kennt das doch: Nach ein paar Jahren beginnen alle politischen Bewegungen zu verkrusten und ihren Schwung zu verlieren.“ Die Beste Partei solle nicht enden wie alle anderen Parteien auch: als behäbige Institution. Lieber räume er den Platz. „Dann können andere mit neuen Ideen weitermachen.“

Aber auch Gnarr ist in eigener Sache nicht um neue Ideen verlegen. „Vielleicht gründe ich jetzt nach der Besten Partei eine Beste Religion.“ Ob er nach dem Amt des Bürgermeisters nun in das  des Papstes einer selbstgestifteten Glaubensgemeinschaft wechseln wolle? „Papst!“ ruft er: „Das wäre fabelhaft. Seit meinem Auftritt als Drag-Queen habe ich ja schon Erfahrung mit Crossdressing.“

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