“Was machen Sie denn hier?”
Das literarische Leben Berlins ist legendär. Was man keinem sagen muss, der je einen Blick in die Veranstaltungskalender der Stadt geworfen hat. Vollständig kann über die Szene nur der Auskunft geben, der die reizvolle Fähigkeit besitzt, an bis zu siebzehn Orten gleichzeitig zu sein. Mir ist das nicht gegeben, doch das hält mich nicht davon ab, mich immer wieder mal irgendwo ins Publikum zu mischen. Vielleicht ist es, dachte ich gestern, interessant oder gelegentlich sogar amüsant, über das Erlebte Auskunft zu geben. Also möchte ich mich hier hin und wieder an einem Berliner Buchbetriebs-Bericht (sog. BBbB) versuchen. Mal schaun, ob’s Spaß macht.
Was würde sich zum Auftakt besser eignen, als die Buchpremiere zu Ehren einer Literatur-Nobelpreisträgerin am Tage der Nobelpreis-Verleihung? Obwohl Alice Munro gestern weder in Stockholm noch in Berlin dabei war. In Stockholm vertrat sie ihre Tochter, in Berlin lasen die Munro-Verehrerinnen Judith Hermann, Monika Maron und Eva Menasse eine Erzählung aus dem neuen Munro-Band Liebes Leben, umrahmt durch biographisch-literaturkritischen Vor- bzw. Nachbemerkungen von Manuela Reichart. Und zwar im Babylon-Kino, das einst in Berlin – Hauptstadt der DDR eine ähnliche Rolle spielte wie der Zoo-Palast im alten West-Berlin. Der offenbar seit Jahren hingebungsvoll konservierte leicht angestaubte Charme des Ortes gab dem Ganzen zusätzlichen Reiz.
„Was machen Sie denn hier?“ fragte mich die Dame, neben die ich mich setzte. Sie wollte damit, wie sich herausstellte, nicht andeuten, dass wir uns kannten. Sie wollte vielmehr ihrer Überraschung Ausdruck geben, einen Mann bei der Präsentation eines Buches einer Autorin durch vier Autorinnen zu sehen. Zur Ehrenrettung der Dame muss ich hinzufügen, der Anteil männlicher Zuhörer im Saal war tatsächlich erstaunlich gering (er ist meiner Erfahrung nach bei Lesungen jedoch nie sonderlich hoch). Mir hängt allerdings der Geschlechterdiskurs in literarischen Fragen besonders weit zum Hals heraus. Ich habe deshalb, um ehrlich zu sein, den Gedankenaustausch mit der Sitznachbarin vergleichsweise kurz gehalten. Alice Munro schreibt weder Frauen- noch Männerliteratur, sondern eben Weltliteratur aus der Perspektive einer Frau, und die sollte für jeden Menschen von Interesse sein – ebenso wie Weltliteratur aus der Perspektive eines Mannes.
Das Programm war tadellos, die Anmerkungen Manuela Reicharts klug, die drei lesenden Autorinnen eindrucksvoll, die Erzählung selbst fabelhaft. Aus Alice Munros Sätzen ist auch noch der letzte Funke Eitelkeit getilgt, sie verzichtet auf alles Prunkende oder Prächtige in ihrer Sprache, ja sogar auf das heimliche Gepränge allzu demonstrativer Lakonie. Im ersten Moment kann ein unbedachter, wenig erfahrener das Leser mit Schlichtheit verwechseln. Vor ein paar Jahren legte ich an der Universität in Jena einem Seminar mit Germanistik-Studenten eine anonymisierte Erzählung Alice Munros vor und bat sie, Rezensionen darüber zu schreiben. Fast die Hälfte lieferten glatte Verrisse ab, sie hielten die Geschichte für eine dürftige Anfängerarbeit ohne die geringste Kunstfertigkeit. In Deutschland wird, fürchte ich, der Wert von Literatur noch viel zu oft nach dem Grad des sprachliches Schwulstes auf der nach oben offenen Bombast-Skala bewertet. Identifiziert hat die Autorin keiner der knapp dreißig Seminar-Teilnehmer.
Was diesen Punkt angeht, erwiesen sich die Ausführungen des S.Fischer-Verlagschefs Jörg Bong im Babylon als aufschlussreich: Seit etlichen Jahren verlege, sagte Bong, der S.Fischer Verlag Alice Munro, leider ohne große Auflagenerfolge. Doch nach der Nobelpreis-Nachricht im Oktober konnten, so berichtete er mit Stolz in Stimme und Blick, in nur zwei Monaten 600.000 Exemplare ihrer Bücher hierzulande an die Leserinnen und (darauf bestehe ich:) Leser gebracht werden.
Gute Literatur, gute Nachrichten: lauter Anlässe zur Freude also. Kommt hinzu, dass die Sitze im Babylon-Kino wirklich saubequem sind, weitaus bequemer als die Stühle bei Lesungen üblicherweise. Zu allem Überfluss ließ die Kanadische Botschaft danach im Foyer noch Weißwein ausschenken, mit dem es sich der Meisterin nach Clinton, Ontario, hervorragend zuprosten ließ. Wenn die Stockholmer Akademie immer ein so gutes Händchen bei der Auswahl ihrer Laureaten erwiese, dürfte aus der Veranstaltung von mir aus gern eine feste jährliche Reihe gemacht werden.
Lieber Herr Wittstock,
danke für Ihren schönen Blog. Wir saßen vorher im Restaurant nebeneinander – ich bat Ihnen die mir zuviel gelieferte Butter an. Wie lustig.
Herzliche Grüße
Astrid H. Holzamer
Kulturattaché
Kommunikation und kulturelle Veranstaltungen
Freut mich, dass Ihnen der kleine Bericht gefallen hat. Und nochmal: Vielen Dank für die Butter.