Prolegomena zu einem Versuch über das Lachen beim Leiden aus streng literarischer Sicht
Alles wird tatsächlich immer besser in Klagenfurt. Jetzt ist beim Wettlesen sogar die Literatur besser geworden. Das Beste daran ist, dass nunmehr sogar in tieftraurigen Depressions-Erzählungen nicht nur tieftraurige Depressions-Erfahrung beschrieben, sondern auch mal ein handfester Witz gerissen wird.
Ich halte das ja für ein gutes Zeichen. Denn die unerfreulichen Dinge des Lebens sind ebenso wie die erfreulichen für den Schriftsteller letztlich schlicht Material. Will er ein guter Schriftsteller sein, muss er aus dem Material etwas machen. Es transformieren, es verwandeln. Ich habe den Eindruck, als würden sich deutschsprachige Schriftsteller viel zu oft von trübseligen Themen umstandslos zu trübseligen Büchern anregen lassen. Mir scheint es dagegen die größere Kunstleistung zu sein, den Leser spüren zu lassen, welch herbe Lebensfragen gerade literarisch verhandelt werden, ihn aber gelegentlich zu überraschen und herauszufordern, indem schnell mal von Moll in Dur gewechselt oder plötzlich ein Lichtstreif in die ewige Finsternis eingelassen wird. Manchmal wirkt die Finsternis nach so einem Aufflackern gleich noch viel finsterer.
Genau das machte Inger-Maria Mahlke heute früh in ihrer Lesung. Sie erzählt von einer alleinerziehenden Mutter, ehemals Pflegekraft im Krankenhaus, dann Backshop-Bäckerin, die ihren Job verliert und daraufhin als Latex-Domina in einem SM-Studio arbeitet. Dass es ihr bei all dem nicht sonderlich gut geht, liegt nahe, zumal sie Latex offenbar nicht mag und ihre berufliche Neuorientierung vor ihrem Sohn verbergen möchte. Der war aber nach der Schule im Backshop und hat seine Mutter dort vermisst. „Ich bin wieder in der Pflege“, beschwichtigt sie ihm. Und als er nachfragt, auf welcher Station sie arbeite, antwortet sie trocken: „Schmerzpatienten“.
Also, ich fand das saukomisch. Wie der Sohn hier mit der Wahrheit an der Nase herumgeführt wird. Scharf. Aber leider hat außer mir keiner über die Stelle lachen können.
Fabelhaft gefiel mir, um noch mal kurz den Literaturkritiker rauszukehren, außerdem wie Inger-Maria Mahlke im inneren Selbstgespräch ihrer Helden immer wieder das Subjekt der Sätze weglässt, sobald die von sich selbst spricht: „Hast das Wechselgeld abgezählt…“, „Hattest einen Stein im Bauch…“, „Bist als Vampir zum Fasching gegangen…“ Die Heldin kommt im eigenen inneren Monolog auf diese Weise gar nicht als Person vor, sondern als Leerstelle. Einen solchen Grad von Ich-Leere darf man wohl eine knochenharte Depression nennen. Sprachlich fand ich das reizvoll, denn es bringt zugleich Tempo in die Prosa, ohne sie spröde oder für den Leser mühselig zu machen.
Von mir bekommt Inger-Maria Mahlke hiermit also – Trommelwirbel – einen Stern verliehen, und für den Witz, den sie in das Elends-Einerlei ihrer Heldin geschmuggelt hat, bekommt sie – Fanfaren – gleich noch zwei.