Die Weltherrschaft ist nicht wichtig im Café Einfall
Am 1. September erhielt Sven Regener den Sondermann-Preis 2022 für komische Kunst und Literatur. Die Auszeichnung wird gern der “Oscar” der komischen Kunst in Deutschland genannt. Die Verleihung fand ein einer vom Sondermann-Verein ausgerichteten Gala im Club “Zoom” in Frankfurt statt. Ich durfte Sven Regener in einer kleinen Laudatio feiern. Hier ist sie:
Sven Regener: “Herr Lehmann”. Roman. Goldmann Verlag, 9,99 Euro
Verehrtes Publikum, haben sie schon mal versucht, einen Roman von Sven Regener nachzuerzählen? Das ist verdammt schwierig, vielleicht sogar unmöglich. Denn Regener erzählt nicht eine Geschichte, sondern gleich einen ganzen Haufen Geschichten, die sich parallel entwickeln, miteinander verschlingen, nach allen Seiten fortwuchern und zu unabsehbarer Größe heranwachsen. Kurz, Regener ist gar kein Romancier, sondern ein Epiker. Und sein ungeheurer epischer Erzähl-Kosmos blüht und gedeiht seit jetzt über 20 Jahren in den paar Straßen zwischen Görlitzer Park und Kottbusser Tor und zeichnet ein großartiges Porträt der achtziger Jahre.
Wenn sie mich, verehrtes Publikum, nun fragten, was denn der Unterschied ist zwischen einem handelsüblichen Roman und einem fabelhaften Sven-Regener-Epos, dann gestehe ich sofort, dass ich keine Ahnung habe und erst recht keine Definition. Aber ich erkenne ein Epos, wenn ich eines lese.
Sven Regener: “Der kleine Bruder”. Roman. Goldmann Verlag. 9,99 Euro
Zugegeben, Berlin-Kreuzberg ist nicht Mittelerde und Regeners Held Frank Lehmann kein Herr der Ringe. Aber wer glaubt, als Herr des Bieres im Café Einfall sei Frank Lehmann kein Mann von maßloser Macht, der hat noch nie durstig an einer Theke gesessen. Und zugegeben, Frank Lehmann ist nicht der kleine Hobbit, aber auch als der kleine Bruder ist er in endlose Kämpfe verstrickt. Bei diesen Kämpfen geht es nicht darum, Sauron die Weltherrschaft zu entreißen, sondern um etwas, dass in den achtziger Jahren noch viel wichtiger war als Weltherrschaft, nämlich die sogenannte Selbstverwirklichung.
Ein großer Teil der Komik von Sven Regeners Alltags-Epos rührt, so kommt es mir vor, her von dem inständigen Wunsch der Bewohner Kreuzbergs, haargenau als derjenige oder diejenige anerkannt zu werden, als der oder die sie gesehen werden wollen. Man merkt das nicht zuletzt beim Umgang mit ihren Namen. Frank Lehmann möchte um jeden Preis Frank sein, nicht Herr Lehmann und schon gar nicht Frankie. Karl Schmitt möchte auf keinen Fall Charlie genannt werden. Peter von Immel will unbedingt P.Immel sein. Susi möchte Kerstin heißen. Und H.R. will niemals Heinz-Rüdiger gerufen werden – was ich gut verstehen kann.
Sven Regener: “Wiener Strasse”. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch. 12 Euro
Sven Regener hat Kreuzberg nicht nur ein Denkmal gesetzt, er hat es in unser Denken hineinversetzt. Oscar Wilde hat einmal gesagt, das 19. Jahrhundert sei, so wie wir es kennen, im Wesentlichen eine Erfindung von Balzac. Kreuzberg ist, so wie wir es heute kennen, eine Erfindung von Sven Regener. Und der Sondermann-Preis ist dafür die angemessene, längst überfällige Anerkennung.
Vielen Dank!
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