Der Büchersäufer stellt in dieser Kolumne Bücher vor, die er mit Genuss bis zur Neige geleert, oder an denen er lieber nur kurz genippt hat.
Heute geht es um einen Tyrannen als Witzfigur und die Frage, wie man mit klugem Geplapper eine Diktatur entlarven kann
Sich das Grauen von der Seele lachen
Darf man über Hitler lachen? Einen Millionenmörder wie ihn als komische Figur zu zeigen, ist eine verdammt heikle Sache. Viele Filme und Romane sind daran gescheitert, weil sie sich über ihn lustig machten, indem sie ihn als dummen August hinstellen – ihn damit aber harmloser aussehen lassen, als er es war.
Anders ist das bei den zeitgenössischen Künstlern, die Hitler liebend gern ermordet hätte, wenn sie ihm in die Hände gefallen wären. Niemand könnte ihnen das Recht absprechen, Hitler als (Horror-)Clown zu zeigen, um sich das Grauen von der Seele zu lachen. Filme wie „Der große Diktator“ von Charlie Chaplin oder „Sein oder Nichtsein“ von Ernst Lubitsch sind grandiose Meisterwerke.
Ein kleines literarisches Meisterstück aus dieser Zeit kann man jetzt wiederentdecken: Irmgard Keuns „Nach Mitternacht“ (Claassen Verlag, 22 Euro). Der Roman erzählt zu Anfang von einem Besuch Hitlers in Frankfurt 1936. Er lässt sich von seinen Anhängern auf dem Opernplatz stundenlang feiern. Zwei junge Frauen schauen zu und beschreiben die Choreografie der endlosen Aufmärsche, des Strammstehens und Fahnenschwenkens, die für ihn abgespult wird. Sie erzählen auch von dem kleinen Mädchen, dass – wie bei solchen Nazi-Events üblich – dazu ausgewählt wurde, scheinbar spontan die Reihen der Zuschauer zu durchbrechen, um Hitler einen Blumenstrauß zu überreichen. Die beiden jungen Frauen schildern das scheinbar völlig naiv – und entlarven Hitler dennoch als den lächerlichen, von sich selbst berauschten Popanz, der er auch war. Es ist ein satirisches Kabinettstück, wie Irmgard Keun hier durch das angebliche Backfisch-Geplapper der zwei Zuschauerinnen den Hitler-Auftritt als billige Propagandaschau bloßstellt.
Irmgard Keun kannte den Nazi-Zirkus aus eigener Anschauung. Nachdem fast alle hitlerfeindlichen Autoren 1933 aus Deutschland fliehen mussten, blieb sie noch drei Jahre dort und konnte beobachten, wie sich die Menschen unter dem Einfluss der Diktatur zu Fanatikern und Denunzianten verwandelten: Die Gewaltherrschaft verwandelte die Menschen und öffnete Tür und Tor für ein gewalttätiges Verhalten untereinander im Alltag. Erst als Irmgard Keun dann 1936 schließlich doch ins Exil gehen musste, schrieb sie „Nach Mitternacht“. Der Roman wurde unter den Lesern der Emigrationsliteratur ein Riesenerfolg, Klaus Mann und Arthur Koestler haben sich wortstark für ihn eingesetzt. Aber danach wurde er viel zu schnell vergessen. Jetzt wird er im Rahmen des Literaturfestivals “Frankfurt liest ein Buch” vom 2. bis 15. Mai in dutzenden von Lesungen gefeiert.
Überlebt hat Irmgard Keun den Krieg auf gewagte Weise. Sie beging angeblich Selbstmord, ihr Tod wurde in ausländischen Zeitungen gemeldet. Dann verschaffte sie sich über einen SS-Mann falsche Papiere und tauchte in Deutschland unter. Sie war eine kluge, freche, mutige Frau und eine großartige Schriftstellerin.