Die Bücher-Bar / Eine Kolumne / Folge 7

Was bleibt uns in Zeiten der Krise? Die Bücher! Das Lesen! Abenteuer im Kopf.

Der Büchersäufer stellt hier Bücher vor, die er mit Genuss bis zur Neige geleert, oder an denen er lieber nur kurz genippt hat.

Heute: Nature writing ist derzeit zwar Trend, aber nicht so mein Ding. Ich bin zwei mit der Natur und war deshalb sofort neugierig auf ein schmales Buch mit dem vielversprechenden Titel Ein Stadtmensch im Wald.

Die Flucht zurück zu den Menschen

Ich bin in Städten aufgewachsen. Ich habe mich in Städten immer wohl gefühlt. Von Wäldern kann ich das nicht sagen. Wälder sind gefährlich. Als Kind stellte ich fest, dass es Leute gibt, die Bäume nicht Bäume nennen, sondern Ulme, Erle, Esche, Eiche oder von mir aus auch Linde. Ich fand das überflüssig, letztlich sehen sie alle gleich aus: Stamm, Äste, Grünzeug. Ein wenig meine ich das heute noch.

Jetzt las ich das Buch „Ein Stadtmensch im Wald“ (Galiani, 14 Euro). Es stammt angeblich von dem Autor H.D. Walden. Doch das ist ein Pseudonym, hinter dem der Schweizer Schriftsteller Linus Reichlin steckt.

H.D.Walden (Linus Reichlin): "Ein Stadtmensch im Wald". Galiani Verlag, 112 Seiten, 14 Euro

H.D.Walden (Linus Reichlin): “Ein Stadtmensch im Wald”. Galiani Verlag, 112 Seiten, 14 Euro

Erzählt wird von einem Naturbanausen, der aus Furcht vor Corona in eine einsame Waldhütte flieht. Er will nichts als allein und in Sicherheit sein. Bäume, Tiere, Pflanzen sind ihm fremd wie der Mars. Doch dann kommen ihn die Tiere besuchen, weil sie Futter wollen, und er beginnt, sie mit Hilfe einer App allmählich kennenzulernen. Was zwei Flügel hat, ist ein Vogel, soviel weiß er. Doch die App erklärt ihm, was ein Kleiber ist, was ein Dompfaff oder eine Mönchsgrasmücke.

Vor allem verliebt er sich in einen Waschbären, der jede Nacht um zwei Uhr auftaucht, um Meisenknödel zu klauen. Kurz: Nach und nach verwandelt ihn die Waldeinsamkeit in einen heiligen Franziskus, der mit den Tieren spricht und lebt.

Bis er einen Schuss hört und begreift, dass es im Wald auch Jäger gibt. Jäger, die Waschbären ermorden. Tagelang rennt er durch den Forst, um den Jäger um das Leben seines Waschbären anzuflehen. Bis ihm klar wird, wie verrückt sein Wunsch ist, ein einzelnes Tier retten zu wollen, und dass der Wald beginnt, ihn tiefer und tiefer in eine Wahnwelt einzuspinnen. Schleunigst packt er seine Sachen und flieht zurück zu den Menschen, zurück in die Stadt. Ein kluges, ein witziges Buch, ein Bericht aus dem Herzen der Finsternis namens Wald.

Dieser Beitrag wurde unter Bücher-Bar / Eine Kolumne abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>