Vorne drohen und hinten stechen
Heute in Buch&Bar: Über das Vergnügen behutsam behandelt zu werden beim Lesen und Trinken
Wenn man mich nach meinem Beruf fragt, sage ich gern: „Literaturkritiker“. Die Leute denken dann an Reich-Ranicki, halten mich für einen hochexplosiven Streithammel und gehen behutsam mit mir um. Das mag ich.
Der amerikanische Kritiker A.O. Scott hat jetzt ein Buch über unser Metier geschrieben: „Kritik üben“ (Hanser, 22 Euro). Darin schreibt er zum Beispiel: „Die heilige Pflicht des Kritikers ist es, unrecht zu haben.“ Womit er natürlich unrecht hat und so seine heilige Pflicht erfüllt. Kritiker müssen vielmehr, sage ich (und unter uns: ich bin viel schlauer als A.O. Scott), auf inspirierende Weise unrecht haben. Die Leute lassen sich nämlich ihre Meinung über Bücher, Filme etc. sowieso nicht vorschreiben. Was ihnen gefällt, gefällt ihnen, basta. Wenn man ihnen aber auf anregende Weise widerspricht und also in ihren Augen unrecht hat, beginnen sie manchmal über Buch oder Film nachzudenken. Und diese Sekunde des Nachdenkens – die ist der Triumpf des Kritikers.
Was trinken Kritiker am Feierabend in der Bar? Den Cocktail Klassiker Scorpion! Warum? Zu einen wegen des skorpionischen Kampfstils: Vorn mit den Scheren drohen, aber von hinten mit dem Stachel stechen. Zum andern weil dieser Cocktail im Vergleich zu vielen anderen so traumhaft kompliziert ist: 2cl Brandy, 2cl Rum (weiss), 3cl Rum (braun), 1cl Triple Sec Curaçao, 1cl Zitronensaft, 5cl Orangensaft, 1cl Limettensaft und Eis. Herrlich.
2014 startete BUCH & BAR. Die Kolumne ist schon deshalb absolut unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das, worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.