Der allerschärfste Kritiker der Elche
Um ein Haar hätte ich es verpasst. Aber F.W. Bernstein feiert heute Geburtstag, und zwar den 79. Eine gute Gelegenheit den Grandseigneur des Grotesken nach besten Kräften zu feiern. Hier meine Verbeugung vor dem Nonsens-Lyriker und Absurditäts-Dramatiker und Bildergeschichten-Zeichner und Gentleman und großartigen Künstler im komischen Fach:
Es gibt nur wenige, aber Fritz Weigle, genannt F.W. Bernstein, ist einer davon, einer von jenen freien Geistern, die soviel Talent, Verstand und Glück haben, dass sie sich nie in irgendein Schema fügen müssen und allen Zwängen die Zunge rausstrecken können. Der Zeichner, Karikaturist, Cartoonist, Dichter, Dramatiker Bernstein gehört zu den fabelhaft Vielfachbegabten der inzwischen legendären Neuen Frankfurter Schule.
Er hat einen entscheidenden Teil seiner Biografie im tänzelnden Gleichschritt mit Robert Gernhardt verbracht. Geboren in Göppingen, traf er Gernhardt 1956, studierte mit ihm in Stuttgart und Berlin, wurde im Doppelpack mit ihm 1964 als Redakteur für das Satiremagazin “Pardon” engagiert, veröffentlichte mit ihm den Lyrikband “Besternte Ernte” und dazu noch mit Gernhardt und F.K. Waechter die ebenso hochkomische wie fiktive Biografie “Die Wahrheit über Arnold Hau”.
Neben seiner künstlerischen Karriere verfolgte Bernstein, anders als das übrige Neue Frankfurter Schulpersonal, auch eine bürgerliche Laufbahn. Er begann Mitte der Sechzigerjahre als Kunsterzieher, schrieb über seine einschlägigen Erfahrungen “Die Lehrprobe”, einen satirischen “Report aus dem Klassenzimmer”, wechselte dann an die Pädagogische Hochschule in Göttingen, bevor er 1984 die deutschlandweit einzige Professur für Karikatur und Bildergeschichte an der Kunsthochschule in Berlin übernahm.
Aber auch den Zwängen einer solchen akademischen Existenz entzog er sich schließlich wieder und gab sein Amt 1999 auf. Als Praktiker und Pädagoge eines Zeichnens, das auf die Lachlust zielt, ist es ihm gelungen, die Grundlagen dieser Kunst auf das nach ihm benannte Bernsteinsche “Gesetz von den drei großen G der Karikatur” zu bringen: “Gritik, Gomik und Graphik”. Entgangen ist ihm dabei allerdings ein vierter entscheidender G-Faktor, nämlich: Graft. Bernstein ist mit Stift, Kreide, Pinsel unermüdlich, arbeitet buchstäblich pausenlos, und hat allein oder in Zusammenarbeit mit anderen eine schier unübersehbare Zahl von Büchern herausgegeben oder illustriert. Vor allem “Bernsteins Buch der Zeichnerei”, ein, wie es im Untertitel heißt, “Lehr-, Lust-, Sach-, und Fach-Buch sondergleichen”, ist eine so umfassende wie inspirierende Einführung in die Geheimnisse der Karikatur.
Als Dichter ist Bernstein ein Meister der Nonsens-Lyrik. “Horch – ein Schrank geht durch die Nacht, / voll mit nassen Hemden … / den hab ich mir ausgedacht, um euch zu befremden.” Er ist ein Sprachjongleur, der die formalen Ansprüche der Gattung leichthändig erfüllt, auf deren hartnäckige Tendenz zur Sinnstiftung aber allemal mit der Freude an der Unsinnstiftung antwortet. “Erwin aus der Unterschicht / liebt die Oberklasse nicht. / Doch vom Chef die Tochter / sah er gern und mocht er.”
Seinem poetischen Genie verdankt die Neue Frankfurter Schule nicht zuletzt ihren heute wohl bekanntesten und geflügeltsten Zweizeiler: “Die schärfsten Kritiker der Elche / waren früher selber welche.”
Eine ganz eigene, schwer vergleichbare Form der Komik hat Bernstein mit seinen kurzen “Dramen in unordentlichem Zustand” für sich erobert. Sie versetzen den Leser in eine aberwitzige Welt, die irgendwo zwischen den literarischen Ländereien von Karl Valentin und Alfred Jarry angesiedelt ist. Ob da ein Städter mit Sehnsucht nach dem Landleben vor einem strengen bäurischen Prüfer eine Dialektprüfung ablegen muss, ob ein Starpianist namens Franz Liszt sich von einem Reporter nach seinen Geliebten befragen lassen muss oder ob ein Ministerialdirektor fröhlich die komplette Vernichtung Göttingens organisiert – die Stücke sind allesamt von betörend verwirrendem Witz.
Zum Ungewöhnlichen des Künstlers F.W. Bernstein gehört, dass er nicht nur von den Zwängen der literarischen Sinnstiftung oder des bürgerlichen Karriere-Ehrgeizes frei zu sein scheint, sondern auch von jenem Drang zum Ruhm, der so viele Künstler lebenslang quält. Anstatt von Kollegen, Kritikern oder Publikum mit der Besessenheit des Egozentrikers Anerkennung einzufordern, ist ihm die so menschenfreundliche Fähigkeit zur Bewunderung gegeben. Fast nie spricht er von der eigenen Arbeit, umso häufiger stimmt er Hymnen der Begeisterung und des Lobes auf andere an. Er ist ein Gentleman des Gags, ein Grandseigneur des Grotesken, der nichts so sehr genießt wie “die Lust, sich über die Wirklichkeit lustig zu machen.”