Die Seele ist wund
Heute vor 10 Jahren starb Robert Gernhardt. Er war ein umfassend begabter Künstler und Schriftsteller und darüber hinaus ein großartiger Mensch. Ich halte es für ein Versagen der Deutschen Akademie und einen bleibenden Makel des Büchner-Preises, das Robert Gernhardt ihn nie erhalten hat. Sportreporter bejubeln manche Profis als „vollständige“ Spieler, weil sie über jede Schlag- oder Schusstechnik ihrer Disziplin perfekt verfügen. In diesem Sinne war Gernhardt ein vollständiger Lyriker: Er beherrscht alle Formen und Tonfälle, schreibt philosophische Gedichte ebenso wie melancholische, ironische wie elegische, Heine’sche wie schweinische.
Als Erinnerung an Robert Gernhardt hier mein Bericht über seine Trauerfeier 2006 in Frankfurt.
Es war einer dieser strahlenden Sommertage, hell und leuchtend, wie Robert Gernhardt sie geliebt hat. Hunderte von Trauergästen versammelten sich auf dem Frankfurter Hauptfriedhof, um sich von ihm, der das Licht zeitlebens so blendend besungen und gemalt hat, endgültig zu trennen.
Trost gab es da kaum. Allenfalls in den Zeilen seines Dichterkollegen Gottfried Benn: „Am schlimmsten: / nicht im Sommer zu sterben, / wenn es hell ist / und die Erde für Spaten leicht.“ Dieses Schlimmste blieb Gernhardt erspart.
Aber ist das ein Trost? Sie waren alle, alle da, um einen der Größten aus ihrem Kreis zu verabschieden. Frankfurt ist heute, hat Gernhardt einmal geschrieben, „der Ort mit der größten Satirikerdichte Deutschlands“. Angelockt nicht zuletzt durch die hier angesiedelten Satiremagazine „Pardon“ und „Titanic“ haben sich in dieser Stadt mehr Autoren und Zeichner mit Talent zur Komik niedergelassen als irgendwo sonst im Land.
Der Ruhm der „Neuen Frankfurter Schule“, dieser lockeren Vereinigung unterschiedlichster Künstler-Temperamente im Zeichen von Witz und Spott und Ironie ist bundesweit längst legendär. Wenn Frankfurt heute so etwas wie eine literarische Seele hat, dann ist sie machtvoll geprägt durch diese Komik-Fachpersonal.
Doch die Seele in wund. Und das nicht erst seit Gernhardts Tod vor gut einer Woche. Die komische Literatur und Kunst aus Frankfurt und Umgebung erlebt eine Schwarze Serie ohnegleichen. In den vergangenen vier Jahren starben der Kabarettist Matthias Beltz, der Jazzgitarrist und Cartoonist Volker Kriegel, die Gründungsmitglieder der Neuen Frankfurter Schule Chlodwig Poth und F.K.Waechter, der Cartoonist und Maler Bernd Pfarr und die Pianistin und Kabarettistin Anne Bärenz. Und sie starben ausnahmslos vor ihrer Zeit, allzu viele erlebten nicht einmal ihren sechzigsten Geburtstag.
Der Tod hat schrecklich reiche Ernte gehalten unter Leuten, denen die Herzen zuflogen, weil sie Kritik und Komik, Geist und Gelächter, Poesie und Pointen zu verbinden verstanden zu einer lebenssteigernden, weil Gedanken, Gefühle und Gelüste ihres Publikums intensivierenden Mixtur.
Nicht zuletzt das macht den Abschied von ihnen so schwer: Denn in ihrem Witz lag immer auch ein utopisches Moment, ihr Witz barg immer auch eine Erinnerung daran, welche Lust das Leben sein könnte. Und wer versteht sich schon darauf, von solcher Utopie Abschied zu nehmen?
Natürlich wäre es zuviel gesagt, wollte man behaupten, daß eine ganze Stadt derzeit Trauer trägt um Robert Gernhardt. Frankfurt hat sich in den vergangenen Tagen der Euphorie der Fußball-WM hingegeben so wie das ganze Land. Doch mischte sich bei einem großen Teil der Bürger dieser Stadt seit der Nachricht von Gernhardts Tod in die Festtagstimmung das Empfinden, einen ganz persönlichen Verlust erlitten zu haben.
Man hat Gernhardt, der über vierzig Jahre in Frankfurt lebte, nicht nur auf Lesungen gehört, man ist ihm auch auf Straßen, in Kneipen oder Cafés begegnet. Es ist verblüffend, wie viele Menschen, die sich keineswegs zum Literaturbetrieb zählen, Gedichte von ihm liebend gern auswendig hersagen und einige seiner Zeilen regelrecht zu ihrer intimen Bewußtseins-Ausstattung zählen. Welcher Schriftsteller sonst könnten heute Ähnliches von sich und seinem Werk behaupten?
An Gernhardts Sarg sprachen Bernd Eilert über ihn als Dichter, F.W. Bernstein über ihn als Zeichner, Peter Knorr über ihn als Satiriker und Petra Roth, die Frankfurter Oberbürgermeisterin, dankte dem Toten im Namen der Stadt. Niemand konnte Gram und Schmerz in den Reden seiner drei Weggefährten überhören, niemand aber auch diesen unvergleichlichen Ton aus Intelligenz, Eleganz und Witz, der selbst die Trauergemeinde einiges Lachen entlockte.
Gernhardt und seine Freunde haben diesen Ton, der so herrlich leicht ist und so schwer zu treffen, in die Literatur und damit ins Leben ihrer Leser gebracht. Und er wird so schnell nicht wieder verschwinden, denn er ist nicht zuletzt aufgehoben in Gernhardts Gedichten und Erzählungen. Vielleicht ist das der beste, der einzige Trost an solchen ebenso strahlenden wie trostlosen Tag. Es ist mit Gernhardt etwas in die Welt gekommen, das ihr bleibt. Man kann, auch wenn er tot ist, dem Geist Gernhardts begegnen, sobald man eines seiner Bücher aufschlägt.
„Sicher“, sagte Bernd Eilert, der zusammen mit Gernhardt und Peter Knorr unter anderem Texte und Drehbücher für Otto Waalkes schrieb, „sicher“, sagte Eilert, sie hätten gelegentlich im Schatten Gernhardts gestanden, „aber ich habe mich gesonnt in diesem Schatten“.
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