„Apropos – haben Sie jetzt Angst vor mir?“
Ist sie die Fachfrau des Brutalen in der Literatur? Oder ein scheues Reh? Sibylle Berg erzählt in ihrem Roman “Der Tag, als meine Frau einen Mann fand” mit grellen Worten eine grelle Dreiecksgeschichte
Eine Begegnung auf den Höhen des Prenzlauer Bergs
Sie ist die Meisterin des Spotts, eine Virtuosin der Verachtung und des Zorns. Ihre Romane leben von Polemik, nicht von Poesie. Sie kultiviert einen kalten Blick auf Menschen und spaltet das Publikum damit zuverlässig in zwei Lager: zarte Gemüter, die erschauern vor der Wucht ihres Grimms, und in Abgebrühte, die ihren Furor genießen.
Wir sind in einem Café in Berlins Prenzlauer Berg verabredet: Trödlermöbel, gepflegte Stillosigkeit, Wohnküchenflair. Sibylle Berg betritt den Raum, scheu wie ein Reh, das sich in der Mondnacht auf eine Lichtung vortastet. Dann kuschelt sie sich auf eins der Sperrmüllsofas, zieht noch die Füße hoch aufs Polster, schmiegt den Kopf an die Rückenlehne. Jetzt wirkt sie wie ein Kätzchen, das sich genussvoll auf ein Kissen drapiert. Wird sie gleich schnurren? Sie schnurrt nicht.
Schon als ich den Verlag ihres neuen Romans bat, das Treffen mit ihr zu arrangieren, hieß es, manche Journalisten hätten regelrecht Angst vor ihr. Doch Angst brauche man nicht zu haben. „Es ist schwer, gegen Kategorisierungen anzugehen“, sagt Sibylle Berg. „Am besten spart man sich die Mühe. Wenn Journalisten schreiben: Frau Berg ist nett, die Bücher auch, wird das ja kein spannender Artikel. Also beschreiben sie mich als die Fachfrau des Bösen, Brutalen. Ist Literatur, die nicht brutal ist, interessant? Apropos – haben Sie jetzt Angst vor mir?“
Ihr neuer Roman heißt „Der Tag, als meine Frau einen Mann fand“. Er erzählt von einer vertrauten, um nicht zu sagen von einer steinalten Erfahrung: Die erste Leidenschaft der Liebe bleibt nicht lange frisch. Rasmus und Chloe sind in Sibylle Bergs Buch seit fast 20 Jahren ein Paar, von der Glut, die sie einst aneinanderschmiedete, ist nur noch Asche geblieben.
Für romantische Illusionen lässt der Roman keinen Raum. Auf der ersten Seite lernen wir Rasmus beim Onanieren kennen und sehen zu, wie er sein Sperma tölpelhaft auf der Computertastatur verschmiert. Chloe masturbiert lieber unter der Dusche und ist froh, dass die beiden immer seltener miteinander schlafen, denn mehr als einen „kleinen Schmerz“ empfindet sie nicht dabei. „Ich hatte früher“, sagt Chloe, „nichts gegen Sex. Falls es rhetorisch korrekt ist, würde ich sagen, dass ich theoretisch gerne ficke. Aber nicht mit Rasmus.”
Doch trennen wollen oder können sich die beiden nicht. Zu tief stecken sie in ihren Gewohnheiten. Sie haben weder den Wunsch noch die Kraft, allein oder gemeinsam zu neuen Ufern aufzubrechen: „Schlafen, essen, ficken, kacken. Das ist es, bitte schön, worum es geht“, resümiert Rasmus.
„Kann es sein“, frage ich die malerisch ins Sofa geschmiegte Sibylle Berg, „dass Sie die Helden Ihres Romans nicht mögen?“
„Ist es für einen Roman nicht uninteressant, ob ich tiefe Gefühle für die von mir erdachten Menschen aufbringe? Die meisten Menschen, mich selbst eingeschlossen, rühren mich, weil sie an ihren zu großen Erwartungen ans Leben scheitern.“
Haben nicht alle Leute zu große Erwartungen ans Leben?
„Ich nicht.“ Sie schüttelt den Kopf. „Ich habe nur sehr kleine, niedliche Erwartungen.“
Sagt sie. Dabei könnte sie große Erwartungen haben. Sie ist gut im Geschäft, eine Erfolgsautorin: Auf ihrer Website verzeichnet sie elf Bücher und 18 Theaterstücke, die zusammen in 26 Sprachen übersetzt worden sind. Ihr Stück „Und jetzt: die Welt!“ wurde vom Fachblatt „Theater heute“ zum Stück des Jahres 2014 gewählt.
Es geht ihr also besser als ihrem Helden Rasmus, denn der hat seine Karriere als Regisseur an die Wand gefahren. Zum ehelichen Elend kommt nun noch ein finanzielles. Doch nicht nur das: Chloe verliebt sich in einem schmuddeligen Tropenort in einen Masseur namens Benny. Er folgt ihr nach Europa, sie quartiert ihn in der gemeinsamen Wohnung ein, überlässt Rasmus das Schlafzimmer und zieht zu Benny auf die Couch. Mit ihm hat sie nun überall Sex: „Natürlich auf dem Ehebett, ein Wort, in dem Pflichterfüllung mitschwingt, natürlich in der Küche, während des Essens, im Bad selbstredend.“
Sibylle Bergs Augen stehen erstaunlich schräg. Man sieht das noch genauer, wenn man ihr auf Sofalänge gegenübersitzt. In Kitsch-Romanen würden sie wohl außerdem noch „mandelförmig“ genannt. Das verleiht ihr einen irritierenden, irgendwie schnittigen Blick. Sie unterstützt diese Wirkung nach Kräften mit den Tricks der Kosmetik. Sie scheint diese Wirkung zu genießen.
„Die liebenswerteste Figur ist wohl Benny“, sagt sie. „Er wird erst von Chloe, dann von Rasmus ausgenutzt. Aber bei Dreierbeziehungen bleibt meist einer auf der Strecke. Wir verraten noch nicht, wer das in meinem Roman ist.“
Früher einmal, in den angeblich guten alten Zeiten, in denen es schon als politische Protestform galt, wenn Männer lange Haare trugen, gab es noch das Wort vom „Bürgerschreck“. Sibylle Berg gefällt sich in der Rolle eines literarischen Bürgerschrecks. Sie provoziert gern ein bisschen, sie redet oder schreibt gern ein bisschen zu schrill über Sex und benutzt ein bisschen zu häufig Worte, die feine ältere Damen für wenig salonfähig halten könnten.
Das wirkt gelegentlich ein wenig pennälerhaft, zugegeben. Aber hinter dieser Attitüde, hinter diesem Markenzeichen macht sich fast immer noch etwas anderes bemerkbar: eine scharfe Verzweiflung darüber, wie brutal das Leben mit unseren Träumen und Idealen umspringt. Wie bitter es ist, dabei zuzuschauen, wenn die eigenen Leidenschaften verwehen. Wie die Zeit uns in einen gnadenlosen Abnutzungskampf zwingt, den wir nicht gewinnen können.
Zynismus, so soll der italienische Schauspieler Alberto Sordi einmal gesagt haben, entstünde, wenn ein heißes Gefühl zu kalt geduscht wird. Manche der galligen Spitzen, die Sibylle Berg in ihre Romane packt, sind billige Effekthascherei. Sie neigt zur Selbstinszenierung, mal als böse Domina der deutschen Literatur, mal als scheues Reh oder als Kätzchen mit wildem Blick. Doch wenn man genau hinschaut, entdeckt man hinter ihren diversen Masken ein heißes Herz unter einer zu kalten Dusche.