Buch & Bar (35): Carlo Rovelli “Sieben kurze Lektionen über Physik”

Das Hirn in den Zeiten der Teilchen

Über sternenstaubiges Lesen und Trinken

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

Carlo Rovelli: "Sieben kurze Lektionen über Physik". Übersetzt von Sigrid Vagt. Rowohlt Verlag, Reinbek 2015. 10 Euro

Kaum schlage ich so ein populäres Physik-Buch der Stephen Hawking-Klasse auf, zerfällt mir die Realität unter den Händen in einen Haufen von Elektronen, Photonen, Gluonen, Klingonen und Quarks. Dem CERN in Genf reichte das nicht, also schickten sie kürzlich noch die Higgs-Boson-Teilchen ins Rennen. Okay, denke ich, warum nicht, und rufe ihnen im Sinne einer positiven Willkommenskultur ein herzliches: „Hallo Higgs, toll, dass ihr da seid“ zu.

Auch der italienische Wissenschaftler Carlo Rovelli braucht in seinen „Sieben kurzen Lektionen über Physik“ (Rowohlt, 10 Euro) nur 90 Seiten, um die Alltags-Vorstellungen meines Hirns von Raum und Zeit in einen Klumpen nasse Lumpen zu verwandeln. Die Welt und wir, das ist nur Sternenstaub, schreibt Rovelli, und bestimmt hat er Recht. Ich mag den Effekt dieser Bücher ganz gern. Denn wenn ich danach einen Sonnenuntergang sehe oder ein Bild von Matisse, denke ich, klar, alles nur Quarks und Higgs, aber ganz chic, was das Hirn draus zaubern kann, oder?

Dem Sonnenuntergang mit einem ein Stardust-Cocktail in der Hand zuzuschauen, macht die Sachen noch ein wenig hübscher. Natürlich ist auch der nur Sternenstaub. Und es gibt so viele Varianten dieses Drinks wie Teilchen. Mit Wodka Citron und Blue Curaçao (Brrh!) oder Amaretto, Wodka, Erdbeer-Likör (Brrrh!!) und Prosecco  oder mit Tequila, Crème de Cacao und Heavy Cream (Brrrrh!!!). Ich mag den Negroni-nahen Mix aus Gin, Campari, Wermut, Orangen- und Grapefruit-Saft. Selten schmecken mir Quarks und Higgs besser.

Die Kolumne erschien im Focus vom 29. August 2015. 
2014 startete meine Kurz-Kolumne Buch & Bar im Focus. Sie ist schon deshalb unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.
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