Buch & Bar (34): Helmut Krausser “Alles ist gut”

Von “Boah” zu “Pff” in 100 Seiten

Über: Leider verwässertes Lesen und Trinken

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

Helmut Krausser: "Alles ist gut". Roman. Berlin Verlag 2015, 20 Euro

Während der inzwischen leider vergangenen heißen Tage bestellte ich abends beim Italiener einen Negroni. Sie hatten die Tische rausgestellt auf die breiten Neuköllner Bürgersteige und der erste eiskalte Schluck war fabelhaft: Der Gin gab dem bitteren Gemisch aus Campari und Wermut etwas Wuchtiges, Übermütiges. Auch der zweite schnelle Schluck war noch gut, dann schmolz das Eis und der Drink wurde dünn.

Ganz ähnlich ging es mir mit dem neuen Roman „Alles wird gut“ (Berlin Verlag, 20 Euro) von Helmut Krausser, den ich dabei las. Er fängt fabelhaft an: Ein großmäuliger Komponist fühlt sich verkannt, seine Opern werden nicht aufgeführt und also ergeht er sich in Weltverachtung und Selbstmitleid. So wie der Gin den Negroni so verwandelt Kraussers beneidenswerte Sprachkraft das an sich banale Gejammer seines Helden anfangs in einen übermütigen, spritzigen Sarkasmus.

Doch dann wird der Roman dünn wie ein wässriger Cocktail: Krausser lässt ihn in fade historische Rückblenden und abgedroschene Spielereien mit verschiedenen Fiktionsebenen verläppern. Kurz: Er modelliert eine wunderbare Romanfigur, aber vermurkst die Romanhandlung. Erst dachte ich: Boah! Nach 100 Seiten dachte ich: Pfff. Trost spendete nach dem Essen ein zweiter Negroni.

Die Kolumne erschien im Focus vom 22. August 2015. 
2014 startete meine Kurz-Kolumne Buch & Bar im Focus. Sie ist schon deshalb unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.
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