Mehr, als Sie je über Geflügel wissen wollten
Über definitiv unkuschliges Lesen und Trinken
Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.
Um ehrlich zu sein, Habichte waren mir bislang schnurzegal. Am Mirower See in Mecklenburg habe ich mal einen gesehen. Er thronte auf einem Baum, war sehr schön und schaute stur an mir vorbei. Offenbar war auch ich ihm schnurzegal.
Die Britin Helen Macdonald dagegen hat einen Narren an ihnen gefressen. Und ihr Buch „H wie Habicht“ (Allegria, 20 Euro) ist so hinreißend gut geschrieben, dass ich mir von ihr beim Lesen begeistert jede Feder einzeln erklären ließ. Wenn Macdonald Bedienungsanleitungen schriebe, wären jetzt Waschmaschinen meine neuen Stars. Sie erzählt, wie sie nach dem Tod ihres Vaters einen Habicht für die Jagd abrichtet, weil der ist, wie sie gern wäre: „Einzelgänger, selbstbeherrscht, frei von Trauer und taub gegenüber den Verletzungen des Lebens.“ Habichte sind, stellt sie klar, keine Kuschelvögel, sondern Killer, die nur eine Freude kennen: das Töten. Echt ungemütliche Tiere also, in denen sie etwas von ihrem kalten, nackten Zorn auf ein Leben wiederfand, das ihr den Vater nahm.
Als ich mit dem Buch fertig war, habe ich mir bei Victoria, Berlins bester Bar, einen Rattlesnake bestellt, einen grimmigen Drink: Wild Turkey Bourbon mit 50,5 % Vol., Zitronensaft, Zuckersirup, Eiweiß und einem Schuss Ansinth. Nichts für den gemütlichen Tagesausklang. Eher was, um Zorn runterzuspülen.
Die Kolumne erschien im Focus vom 5. September 2015. 2014 startete meine Kurz-Kolumne Buch & Bar im Focus. Sie ist schon deshalb unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das, worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.
Pingback: Helen Macdonald: H wie Habicht | SchöneSeiten