Buch & Bar (32): Ralf Rothmann “Im Frühling sterben”

Die Kindersoldaten des letzten Weltkriegs

Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.

Heute: Über erlebnisgieriges Lesen und Trinken

Ein verdammt starker Roman: Zwei siebzehnjährige Jungen werden in den letzten Kriegsmonaten zur Waffen-SS eingezogen und fast ohne Ausbildung an die Front geschickt. Walter ist vorsichtig und kommt davon. Fiete ist frech, versucht zu desertieren, wird geschnappt und hingerichtet. Da Walter ins Erschießungskommando befohlen wird, muss er mithelfen, seinen Freund ins Jenseits zu befördern.

Ralf Rothmann: "Im Frühling sterben". Suhrkamp verlag, Berlin 2015. 19,95 Euro

Ralf Rothmann war nie im Krieg, aber sein Kriegsroman „Im Frühling sterben“ (Suhrkamp, 19,95 €) geht unter die Haut. Nicht zuletzt weil er den Mut hat, einen Großteil von Walters Kriegserlebnissen als Abenteuergeschichte zu erzählen. Rothmann zeichnet ein Inferno im Superbreitwandformat: hin- und hergerissen zwischen Nervenkitzel und Angst, Sensationslust und Abscheu. Er zeigt nicht nur das Grauen, sondern auch die makabre Faszination des Kriegs, der sich ein Siebzehnjähriger nur schwer entziehen kann.

Ein klassischer Cocktail mit militärischem Touch ist für mich der Sidecar. Gemixt wird er aus 5 cl Cognac, 2 cl Cointreau und 2 cl frisch gepresstem Zitronensaft. Benannt wurde er angeblich nach dem Motoradgespannen, die US-Soldaten im 1.Weltkrieg fuhren. Vor Jahren bin ich Ralf Rothmann mal begegnet, er ist ein spröder Autor, der zu Kritikern lieber Abstand wahrt. Sein gutes Recht. Also hebe ich mein Glas aus der Ferne und trinke auf ihn und sein bemerkenswertes Buch.

Die Kolumne erschien im Focus vom 8. August 2015. 
2014 startete meine Kurz-Kolumne Buch & Bar im Focus. Sie ist schon deshalb unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das,  worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.
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