Kutsche fahren und über Männer reden
Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.
Heute: Über genussvoll avantgardistisches Lesen und Trinken
Vor 100 Jahren, als der Begriff Avantgarde noch kein Wischlappen war, an dem sich jeder Wichtigtuer die Schuhe abputzt, träumten Autoren davon, einen Roman über nichts zu schreiben. Ein Roman ohne Handlung. Ich habe diese Leidenschaft nie verstanden, denn den Roman gab es längst. Jetzt habe ich ihn in neuer Übersetzung von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié gelesen: „Stolz und Vorurteil“ von Jane Austen (Fischer Verlag, 9,99 €).
Der perfekte Non-Action-Roman, 200 Jahre alt. Nichts passiert. Junge Leute fahren mit Kutschen und reden. Das ist alles. Die Frauen reden über die Männer und ihre Gefühle zu den Männern. Oder über Gefühle ihrer Schwestern zu den Männern. Oder über vermutete Gefühle der Männer zu ihnen. Das ist so großartig, so spannend, so hinreißend klug, dass ich den letzten Teil bis halb vier Uhr früh zu Ende las, weil ich einfach nicht aufhören konnte.
Was wird heute in Frauenrunden getrunken, wenn sie über Männer reden? Bei meinen ausschweifenden Recherchen unter männeranalysierenden Damen wurde der Queen Mum erwähnt: 4 cl Gin (ich mag Hendrick’s), 250 cl Tonic und Gurkenscheiben. Dass Frauen auf kleingeschnittenen Gurken im Glas bestehen, sobald sie über Männer sprechen, lässt die Psychologen unter uns aufhorchen. Queen Mum ist mit dem Drink fast 102 Jahre alt geworden, ganz ungesund kann er also nicht sein.
Die Kolumne erschien im Focus vom 30. Mai 2015. 2014 startete meine Kurz-Kolumne Buch & Bar im Focus. Sie ist schon deshalb unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das, worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.