Die beiden Seiten einer Flüssigkeit
Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.
Heute: Über zweischneidiges Lesen und Trinken
Als der erste Römer den seither unvergessenen Satz „In vino veritas“ murmelte, hatte er mutmaßlich ganz schön einen sitzen. Ich habe keine Ahnung, was da für Wahrheit im Wein sein soll, aber mit Sicherheit ist Alkohol drin. Und der bringt den einen Spaß und manch andere um. Zwei Kenner haben dazu Bücher geschrieben: Peter Richter, “Über das Trinken“ (Goldmann, 12,99 EURO) und Daniel Schreiber, „Nüchtern“ (Hanser Berlin, 16,90 EURO).
Hinreißend, wie unterschiedlich Bücher zum gleichen Thema sein können: Richter schreibt fabelhaft schwungvoll und gut gelaunt. Er hat nicht die geringste Lust, sich den Spaß am Durst durch Gesundheitsdiktatoren, Trauerklöße oder Führerscheinentzug verderben zu lassen. Richtig so. Schreibers Buch dagegen liest sich, als liefe im Hintergrund Beethovens Schicksalssinfonie: entschieden, ernst, klug. Auf jeder Seite spürt man Schreibers Glück, dem Säufertod gerade noch mal von der Schippe gesprungen zu sein. Richtig so. Wenn eine Wahrheit im Wein liegt, dann die, dass er zwei Seiten hat.
Schon aus Solidarität mit Daniel Schreiber kann ich zu beiden Büchern nur einen Drink empfehlen: Mineralwasser. Sage niemand, das sei fantasietötend: Es gibt Mineralwasser zu äußerst fantasievollen Preisen. Das Berliner „Hotel Adlon“ bot einmal das japanische Rokko No Mizu für herrliche 124 Euro pro Flasche an. Gibt es aber heute leider nicht mehr. Als zweitteuerstes Wasser gilt derzeit Bling H2O, das ist allerdings schon für enttäuschende 69 Euro zu haben.
Die Kolumne erschien im Focus vom 7. Februar 2015. 2014 startete meine Kurz-Kolumne Buch & Bar im Focus. Sie ist schon deshalb unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das, worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.