Büchnerpreis 2014 für Jürgen Becker

Ängstlich und bedenkenträgerisch

Heute gab die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt bekannt, den Georg-Büchnerpreis in diesem Jahr dem Kölner Lyriker und Prosaautor Jürgen Becker zu verleihen. Was ist von dieser Entscheidung zu halten?

Als Friedrich Dürrenmatt 1986 den Büchnerpreis erhielt, sagte er bei einer der vielen Reden, die ein Büchnerpreisträger halten muss: “Preise bekommt man immer erst dann, wenn man keine mehr braucht.”

Jürgen Becker: "Wie es weiterging. Ein Durchkang - Prosa aus fünf Jahrzehnten". Suhrkamp Verlag. 21,95 Euro

Nun kann jeder Schriftsteller Preise gebrauchen, und Jürgen Becker wird für die Verwendung der Preissumme von 50.000 Euro auch etwas gutes einfallen. Da bin ich mir sicher. Gemeint hat der damals 65-igjährige Dürrenmatt mit seinem Satz aber wohl etwas anderes. Für einen etablierten Autor im Rentenalter hat ein Preis eine andere Bedeutung, als für einen jungen Autor, der noch um Anerkennung für seine Arbeit kämpfen muss. Hier kann ein wichtige Auszeichnung zugleich zu einer wichtigen Zäsur im Lebensweg und im Werk des Schriftstellers werden.

In der Satzung des Büchnerpreises heißt es: “Zur Verleihung können Schriftsteller und Dichter vorgeschlagen werden, die in deutscher Sprache schreiben, durch ihre Arbeiten und Werke in besonderem Maße hervortreten und die an der Gestaltung des gegenwärtigen deutschen Kulturlebens wesentlichen Anteil haben.”

Ich kenne Jürgen Becker ein wenig, er ist ein ungemein sympathischer Mann und ich freue mich für ihn, wenn er im Herbst den Büchnerpreis entgegennehmen kann. Aber bei allem Freude – ich würde nie behaupten, dass sein Werk “an der Gestaltung des gegenwärtigen deutschen Kulturlebens wesentlichen Anteil” hat. Seine Bücher waren in den sechziger und siebziger Jahren wichtig. Vielleicht hätte man ihm in diesen Jahren den Büchnerpreis geben sollen.

Der Büchnerpreis hatte seine beste Zeiten den sechziger Jahren, als einige sehr frühe und mutige Entscheidungen getroffen wurden: Enzensberger, Bachmann, Grass erhielten die Auszeichnung in aufeinander folgenden Jahren (1963 – 1965), obwohl sie erst Mitte Dreißig waren. Wenn die Akademie heute den Mut hätte, sich unter den Mitte Vierzigjährigen umzuschauen, würden mir Daniel Kehlmann, Ingo Schulze, Judith Herrmann oder – postum – Wolfgang Herrndorf einfallen. Mag sein, dass die literarischen Fähigkeiten dieser Autoren nicht grenzenlos sind. Aber das sind die von Jürgen Becker oder Walter Kappacher (Büchnerpreis 2009) auch nicht. Aber die jüngeren Autoren haben einen spürbaren Einflüss auf die Gegenwartsliteratur – wie es die Büchnerpreis-Satzung verlangt. Und für sie und ihre weitere literarische Arbeit hätte diese Auszeichnung eine außerordentlich hohe Bedeutung.

Die diesjährige Entscheidung der Akademie ist ängstlich und bedenkenträgerisch. Mag sein, dass die Jury wegen ihrer Entscheidung für Sibylle Lewitscharoff im vergangenen Jahr (nach der “Halbwesen”-Rede Lewitscharoffs) Kritik einstecken musste. Aber ich halte es für viel angemessener, einem umstrittenen Autor den Büchnerpreis zuzuerkennen, als einem vollkommen Unumstrittenen, dessen Werk in der Literaturgeschichte eine größere Rolle spielt als in der literarischen Gegenwart.

 

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Eine Antwort auf Büchnerpreis 2014 für Jürgen Becker

  1. Brigitte sagt:

    Lieber Uwe Wittstock,
    vielen Dank für diese Einschätzung. Bedauerlicherweise kenne ich von Jürgen Becker sehr wenig, was sich nun aber ändern wird. Vielleicht ist der Preis ja auch dazu gut – auch wenn es nicht in der Satzung steht.
    Mein Eindruck zur diesjährigen Vergabe war ein anderer: Als der wunderbar genaue Beobachter Peter Kurzeck starb, gab es kritische Stimmen, weil die Akademie es fertig gebracht hatte, ihn jahrelang zu ignorieren. Vielleicht wollten sie diesen Fehler nicht noch einmal begehen?

    Einen lieben und mit Dank für den Blog verbundenen Gruß
    Brigitte

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