Ein literarisches Versteckspiel, herrlich!
Der überlebensgroße Erfolg der Fifty Shades of Grey von E.L.James hat viele Begierden geweckt. Nicht zuletzt die Begierde anderer Autoren, nach dem gleichen SM-Muster abzukassieren wie die britische Meisterkassiererin. Auf dem Büchertisch meiner nächstgelegenen Großbuchhandlung liegen deshalb inzwischen neben den drei Bänden Fifty Shades einträchtig drei Bände 80 Days von Vina Jackson (zwei weitere folgen bis Mai) und zwei Bände Crossfire von Sylvia Day (ein weiterer bis Mai). Ob Day, ob Grey – in all diesen Büchern geht es, wie im großen Vorbild von E.L.James, jeweils um eine sehr junge Frau, die den überaus handfesten Verführungskünsten eines wahlweise einflussreichen oder schlicht reichen, immer aber 20 Jahre älteren Herren erliegt und eine bemerkenswerte Mixtur aus Unterwerfung, Schmerz und Lust kennen- und schätzen lernt.
Auf exakt der gleichen Schiene rollt jetzt auch der Roman Stolz und Demut von Sophie Weiss in die Buchläden. Was meine Neugier auf dieses Buch erregte, waren die kargen Angaben zur Autorinnenbiographie: “Sophie Weiss ist das Pseudonym einer deutschen Autorin, die bereits mehrere Romane veröffentlicht hat.” Ein literarisches Versteckspiel, herrlich! Jeder Versuch etwas geheim zu halten, lässt ja sofort die Lust an der Enthüllung ins Kraut schießen.
Um es gleich zu sagen: Ich habe einen dringenden Verdacht, aber keine Beweise. Schon aus Gründen der Fairness (und um die investigativen Gelüste findigerer Detektive, als ich einer bin, anzustacheln) werde ich hier keine Namen nennen.
Zunächst zum Buch: Stolz und Demut tritt anfangs so genau in die Fußstapfen der Fifty Shades, dass es mich beim Lesen peinlich berührte. Die unverhohlenen Anleihen beim Vorbild machen plausibel, weshalb hier ein Pseudonym herhalten musste: Niemand möchte sich bei einem derart ungenierten Abkupfern erwischen lassen. Die SM-unerfahrene Studentin Sophie, kurz vom Examen, gerät aus Übermut in einen einschlägigen Club, lernt den – wie üblich – rund 2 Jahrzehnte älteren und sehr reichen Richard kennen, der sie in die Szene und Praktiken einführt usw. usf.
Die einzige erwähnenswerte Variante des mittlerweile geläufigen Handlungs- und Personalschemas bringt das Finale: Hier spielt der Roman auf das Kachelmann-Verfahren an. Sophie hat sich in den verheirateten und deshalb auf Diskretion bedachten Richard verliebt. Es kommt zum Streit, er vergewaltigt sie, sie zeigt ihn an, vor Gericht kann sie nichts beweisen, er wird freigesprochen, seine Karriere ist zerstört, seine Ehe ein Trümmerfeld.
Die Geschichte wird mal aus Richards Perspektive, mal aus der Sophies erzählt. Seine Empfindungen, sein Diskretionsbedürfnis, seine Freude am Unterwerfen, seine Schuldgefühle und auch seine Liebe zu seiner Frau werden meines Erachtens viel glaubwürdiger geschildert als Sophies erotische Entdeckungs- und Unterwerfungslust, ihre Liebe zu und dann ihr Zorn auf Richard. Deshalb nehme ich an, hinter dem Pseudonym steckt ein männlicher Autor.
Wer ernstlich darauf bedacht ist, seine Anonymität zu wahren, ist aus Gründen der Tarnung natürlich gut beraten, mit der Wahl des Pseudonyms einen Geschlechtswechsel vorzutäuschen. Tatsächlich nimmt der Piper Verlag die Sache mit dem Pseudonym sehr ernst. Nach Auskunft von Verlagschef Marcel Hartges und Cheflektor Thomas Tebbe kennen nur zwei Personen in ihrem Hause den Klarnamen. Gerade das gibt meines Erachtens einen zweiten Hinweis auf die Identität von Sophie Weiss her: Ein Autor, der um jeden Preis auf die Wahrung seines Pseudonyms bedacht ist, wird sich mit dem betreffenden Manuskript nicht an Fremde, sondern an Verlagsleute wenden, denen er vertraut, weil er schon einmal mit ihnen zusammengearbeitet hat.
Meine Vermutungen sind also: 1.: ein Autor, keine Autorin, 2.: bereits bei Piper verlegt. Das schränkt den Kreis der möglichen Verdächtigen bereits spürbar ein. Kommt hinzu, dass der Roman sprachlich viel besser ist als der ersten Band von E.L. James (den einzigen, den ich kenne). Hier war ein Profi am Werk, der Freude hat am klaren, knappen, handlungsstarken Erzählen. Auch davon gibt es – zu meinem Bedauern – nicht so schrecklich viele im deutschsprachigen Literaturbetrieb. Ich blätterte ein wenig im Gesamtverzeichnis des Piper-Verlags und schnell drängte sich mir ein Name auf.
Kurz: Ich habe den Betreffenden angerufen. Das war nicht ganz einfach, seine Mobilnummer wird bei allen Verlagen, mit denen er zusammenarbeitet, unter Verschluss gehalten. Auf seiner Festnetz-Nummer erreicht man seine Assistentin. Die bat ich, dem Autor meinen Wunsch nach Rückruf auszurichten. Als sie mich fragte, um was es mir denn gehe, nannte ich Stolz und Demut von Sophie Weiss – was sie ohne weiteres akzeptierte.
Nicht sofort, sondern Tage später rief mein Kandidat zurück. Ich hatte den Eindruck, er war unruhig und sehr auf der Hut. Als ich ihn fragte, ob er der Autor sei, der sich hinter dem Pseudonym Sophie Weiss verberge, verneinte er. Ich insistierte, er verneinte wieder. Und machte dann Scherze darüber, wie er zu der Ehre komme, als Autor eines Buches zu gelten, das er gar nicht kenne. Wir wechselten das Thema und plauderten über anderes. Woraufhin er sich spürbar entspannte. Was für eine Art Buch Stolz und Demut ist und wovon es handelt, hat er mich nicht gefragt.
Soweit meine Recherchen. Sie haben Spaß gemacht, sind aber bildschön im Sande verlaufen. Es gibt im Werk des Autors, den ich nach wie vor für Sophie Weiss halte, noch ein paar Indizien, die für seine Urheberschaft sprechen. Doch die möchte ich hier nicht ausbreiten, denn durch sie würde er erkennbar. Es wäre aber mehr als unangebracht, ihn einem Verdacht auszusetzen, für den ich keinerlei handfesten Beweis habe. Auch meine oben genannten Vermutungen sind nur Spekulationen, die niemand ernst nehmen muss, der sie nicht ernst nehmen will.
Bleibt meine Hoffnung auf andere Literaturdetektive, die geschickter, scharfsinniger und erfolgreicher sind als ich. Es wäre doch zu schade, wenn dieses fabelhafte literarische Geheimnis ungelüftet bliebe. Ich wünsche allen Suchenden viel Glück.