Statt eines Nachrufs

Jakob Arjouni ist tot

Heute kam die Nachricht, dass Jakob Arjouni in der Nacht zum Donnerstag in Berlin starb. Er hatte Krebs und lange gegen die Krankheit gekämpft. Er wurde nur 48 Jahre alt. Ich habe die meisten seiner Bücher sehr gemocht, fand manches darin aber auch politisch allzu korrekt. Ist es erlaubt, in einem Artikel zum Tode eines Schriftstellers ihn nicht nur zu loben, sondern auch anzudeuten, wo man glaubt Schwächen seiner Arbeit gesehen zu haben? Kein Zweifel: Arjouni war ein überragendes Talent der zeitgenössischen deutschen Literatur. Dennoch möchte ich hier, statt eines Nachrufs eine Rezension seines Romans “Kismet”(2001) zur Diskussion stellen. Denn der Roman zeigt in meines Augen sowohl die Stärken als auch die Schwächen dieses Schriftstellers mit großer Deutlichkeit. Die Rezension ist am 24. Februar 2001 in der “Welt” erschienen.

“Kismet”
Jakob Arjounis Roman ist hinreißend und hat einen Schönheitsfehler

Jakob Arjouni ist, das hat sich inzwischen herumgesprochen, eine der größten Hoffnungen der deutschen Kriminalliteratur. 1985 veröffentlichte er im Alter von gerade 21 Jahren in einem Hamburger Kleinverlag seinen ersten Krimi: “Happy Birthday, Türke!” Schon der zweite, “Mehr Bier”, erschien 1987 bei Diogenes in Zürich – und die Feuilletons überschlugen sich vor Begeisterung. Kein Vergleich schien zu hoch gegriffen, kein Bezug zu kühn, um seine beiden ersten Arbeiten ins rechte Scheinwerferlicht zu rücken. Selbst den Olympiern des Hardboiled-Genres, Dashiell Hammett und Raymond Chandler, wurde er in manchen Rezensionen nassforsch an die Seite gestellt.

Allerdings ist Arjouni ein ruhiger, bescheidener Mann und kann nichts dafür, wenn einige Kritiker bei der Beurteilung von Kriminalromanen nur über sehr wenige Vergleichsgrößen verfügen und also gebetsmühlenartig die immer gleichen beiden Namen herunterbeten. Geschadet hat das Arjouni gewiss nicht. 1991 wurde sein Erstling von Doris Dörrie verfilmt, im Jahr darauf erhielt er, nachdem sein dritter Roman erschienen war, den Deutschen Krimi-Preis.

Nun ist der vierte da: “Kismet”. Wie es sich für Serientäter seiner Profession gehört, hat Arjouni seinen vier Krimis den gleichen Helden gegeben, den deutsch-türkischen Privatdetektiv Kemal Kayankaya, und sie am gleichen Schauplatz, Frankfurt am Main, angesiedelt. Diesmal geht es um eine geheimnisvolle Bande stummer Schutzgelderpresser mit Perücken und die verschwundene Mutter eines kleinen Mädchens. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Bänden fließt in dem neuen jede Menge Blut – nichts für allzu zarte Gemüter.

Die unbezweifelbaren, die hinreißenden Talente Arjounis sind auch in “Kismet” auf jeder Seite spürbar. Es gibt kaum einen jungen deutschsprachigen Schriftsteller – und auch nur wenige ältere -, die so milieusicher sind wie er. Arjouni kann mit wenigen Worten Figuren, ihr Schicksal und ihren Habitus staunenswert plastisch einfangen und hält sich doch fern von platten Typisierungen. Er ist ein Meister der Skizze – und der Karikatur -, der mit sparsamsten Mitteln auskommt.

Dazu hat Arjouni einen begnadeten Sinn für Dialekte und Dialoge des Alltags. Fast nichts davon ist, wie das Klischee so gern behauptet, dem Leben abgelauscht. Das allermeiste verdankt sich vielmehr einer entschlossenen Verknappung und stilistischen Perfektion – ist also eine veritable künstlerische und keine stimmenimitatorische Leistung. Würden wir einem Menschen begegnen, der redete wie Arjounis Figuren, würden wir sie wohl wegen ihrer überzogenen Coolness, ihrer knappen Pointen als seltsam stammelnde pathologische Fälle betrachten. Gelesen dagegen klingt jedes Wort glaubhaft und nach authentischem Halbweltjargon.

Zu allem Überfluss hat Arjouni einen wunderbar grimmigen Witz und den nötigen Mut zur Übertreibung, ohne die ein Krimi in der Tradition der Schwarzen Serie nur das halbe Vergnügen ist. Als sein Held Kayankaya in “Kismet” von zwei Killern verfolgt und gestellt wird, gelingt es ihm, die beiden mit ihrem eigenen Wagen gleichsam an die Wand zu heften und dazu noch ein halbes Haus in Schutt und Asche zu legen. Sehr realistisch ist das nicht – aber sehr komisch.

So deutlich Arjounis Talente sind, so deutlich ist aber auch seine entscheidende Schwäche: Er hat die mitunter enervierende Neigung, in seinen Romanen gut gemeinten politischen Nachhilfeunterricht zu betreiben. Immer wieder konfrontiert er seinen Helden mit ausländerfeindlichen Ressentiments irgendwelcher dumpfen Deutschen – die Kayankaya dann regelmäßig mit fabelhaft flotten Sprüchen oder sarkastischen Kommentaren bloßstellt. Ja, er geht so gar so weit, Kayankaya nicht nur ein strenges moralisches Koordinatensystem mitzugeben (wonach das Genre verlangt), sondern auch ein klares parteipolitisches Weltbild zu verpassen (was, zumal mit Blick auf die wachsende Verwechselbarkeit der beiden großen deutschen Volksparteien, ein wenig lächerlich wirkt).

Wie kaum eine andere Form des Romans zielt gerade der Krimi auf die Schattenseiten, die Abgründe, die verborgenen, verleugneten Aspekte einer Gesellschaft. Das Genre lebt im doppelten Sinn vom aufklärerischen Impuls des Detektivs: Er macht nicht nur die jeweiligen Täter dingfest, sondern deckt auch unbequeme Wahrheiten auf, über die in aller Öffentlichkeit nicht gern gesprochen wird. Doch an diesem Punkt scheint Arjouni gelegentlich seine Courage zu verlassen. So erzählt er in “Kismet” von den Brüdern Schmitz (die erfahrene Kayankaya-Leser bereits kennen), die in den achtziger Jahren den Frankfurter Bahnhofs- und Rotlichtdistrikt beherrscht hätten. Diese Figuren hat Arjouni nicht völlig frei erfunden. In den achtziger Jahren wurden in Frankfurt tatsächlich zwei Brüder als die Bordell- und Glücksspielkönige bekannt, die über beste Verbindungen zur politischen Führung der Stadt verfügten: Chaim und Hersch Beker, zwei russischstämmige Juden, von denen der eine, Hersch, sich für einige Jahre vor den Nachstellungen der deutschen Justiz in Israel in Sicherheit brachte.

Bemerkenswert ist, dass Arjouni von diesen (vor allem in Deutschland) politisch heiklen Aspekten der Affäre Beker in “Kismet” nichts erwähnt: Zwei jüdische Zuwanderer, die sich zu den Herrschern der Frankfurter Unterwelt aufwerfen – das möchte Arjouni dem überaus korrekt geordneten Erfahrungshaushalt seines Helden offenbar nicht zumuten.

Doch damit unterfordert er nicht nur seine Leser, sondern, was schlimmer ist, auch die Form des Kriminalromans, der eben auf die sonst gern verheimlichten Elemente unserer Wirklichkeit aus ist. Eric Ambler beispielsweise, das britische Genie des Thrillers, machte nur acht Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einen überaus durchsetzungsfähigen deutschen Soldaten, eine blonde Bestie par excellence, zur Hauptfigur seines Romans “Schirmers Erbschaft”. Mehr noch: Er ließ eine ehemals von den Nationalsozialisten verfolgte hochintelligente Frau dem skrupellosen Charme seines Helden erliegen. Ambler fügte damit der Spannung seiner Story die Spannung der politischen Provokation hinzu. Dagegen wird die Handlung von Arjounis Romanen durch seine ängstlich um klare politische Frontverläufe bemühte Weltsicht mitunter vorhersehbar und also spannungsärmer.

Jakob Arjouni:
“Kismet”. Roman
Diogenes Verlag, Zürich
272 S., 10,90 Euro

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