Ich, die Facebookschlampe
Okay, zugegeben, ich bin kein native speaker der aktuellen Jugendsprache, sondern lausche ihr staunend. Dennoch hat mich der Langenscheidt Verlag seit 2010 eingeladen, an den Entscheidungen zum Jugendwort des Jahres teilzunehmen. In der 6-köpfigen Jury sitzen außer zwei sehr jungen Menschen (Jugendmagazin “Spiesser”) und zwei blutjungen Menschen (Schule) noch der Linguist Matthias Heine („Die Welt“) und ich („Focus“) als Literaturkritiker. Da also ältere Herrschaften in diesem Germium unübersehbar eine Minderheit sind, und es ohnehin nur eine Schlussauswahl aus jährlich rund 40.000 Einsendungen trifft, darf es vielleicht als fachkundig und vertrauenswürdig genug betrachtet werden.
Im diesjährigen Wettbewerb war der Einfluss des Internets auf die Jugendsprache nicht zu übersehen. Bei den diversen Abstimmungen unter den Juroen ging das im Netz vielbenutzte Akronym „YOLO“ rasch in Führung und trug schließlich siegreich den Titel „Jugendwort des Jahres 2012“ davon: Es steht für „You Only Live Once“ und ist unüberhörbar als Aufforderung zu verstehen, alle Erlebnischancen zu nutzen, die sich bieten. Vor 30 oder 40 Jahren hätten Absolventen humanistischer Gymnasien stattdessen wohl schlicht „Carpe diem“ gesagt.
Auf Platz 2 wurde die Abkürzung „FU!“ gewählt – eine im Internet weit verbreitete, wenn auch bedauerlich fantasiearme Abkürzung für „Fuck You“. Man merkt den beiden diesjährigen Spitzenreitern den Drang zur schnellen Verständigung im Netz an. Der Wunsch knappe Kommentare zu hinterlassen ist offenkundig größer als der, wohlerwogene Besinnungsaufsätze zu schreiben. Die vier in der Jury anwesenden Jugendsprachler versicherten nachdrücklich und glaubhaft, dass beide Worte nicht nur netz-schriftsprachlich, sondern unter den Angehörigen ihrer Jahrgänge auch im mündlichen Gespräch gebräuchlich seien.
Yalla, Yalla!
Den dritten Rang erreichte das aus dem Arabischen stammende Wort „Yalla!“, das so viel wie „Beeil dich!“ oder “Dalli dalli!” bedeutet. Als Vater von drei in Frankfurt beheimateten Söhnen zwischen 16 und 22 Jahren kann ich mich für den Gebrauch dieses neuen Fremdwortes durch deutsche Muttersprachler verbürgen.
Die ersten drei Entscheidungen waren sicher gut und richtig, aber nicht sonderlich komisch. Ein nicht geringer Teil des öffentlichen Interesses, den das „Jugendwort des Jahres“ genießt, beruht nicht zuletzt darauf, dass etliche der Wortschöpfungen satirische oder kabarettistische Qualitäten haben. So war 2011 „Zwergenadapter“ als Synonym für „Kindersitz“ im Wettbewerb, 2010„Arschfax“ für „Unterhosenetiketten, die hinten aus der Hose hängen“ oder 2008 „Stockente“ für „Anhänger den Nordic-Walking-Sports“.
Wulffen, guttenbergen
Anschluss an diese großen Vorläufer findet die Konkurrenz 2012 vielleicht mit dem auf den 4. Platz gewählten Verb „wulffen“, das in Anspielung auf die Affäre um Ex-Bundespräsident Christian Wulff sowohl für „jemandem die Mailbox vollquatschen“, „lügen“ oder „auf Kosten anderer leben“ steht. Enge Verwandtschaft unterhält offenkundig es zu dem 2010 auf Platz 3 gewählten Verb „guttenbergen“, dass zumal im schulischen Umfeld gern als Stellvertreter für „abschreiben“ benutzt wurde (oder noch wird).
Auf Platz 5 schaffte es in diesem Jahr schließlich „Komasutra“, das den „versuchten Geschlechtsverkehr zwischen zwei sehr betrunkenen Personen“ intelligent auf den Begriff bringt, witzig ist und außerdem noch auf eine gewisse kulturhistorische Bildung der Nutzer schließen lässt.
Liken und schlampen im Netz
Wie groß die Bedeutung des Internets für die Jugendsprache inzwischen geworden ist, zeigt auch „Me Gusta“, die spanische Variante der netz-typischen Kommentarfloskel „Gefällt mir“. Die Wendung gehörte ebenfalls zu den meistgenannten Einsendungen und fand in den Diskussionen der Jury einige Fürsprecher, konnte sich auf dem Weg zu den Top-Five aber nicht durchsetzen. Auf der Liste der Einsendungen weit oben stand zudem der Begriff „Facebookschlampe“, der Facebook-User bezeichnen soll, „die unbekannte Leute als Freunde akzeptieren, um ihre Freundesliste zu vergrößern“. Ein Neologismus, der, was auf der Hand liegt, ohne das Internet nicht denkbar wäre, allerdings auch an das Verhalten im Netz gefesselt bleibt, da es in der analogen Welt Ähnliches kaum geben dürfte.
Der Begriff passt im übrigen, wie ich zugestehen muss, hervorragend auf mich, da ich mich im genannten sozialen Netzwerk exakt entsprechend der Definition einer „Facebookschlampe“ verhalte. Als mildernde Umstände darf ich vielleicht anführen, dass ich a) bislang nicht ahnte, dass solches Verhalten verpönt ist und b) meine Facebook-Seite vornehmlich beruflichen und nicht persönlichen Zwecken dient.
Carpe Diem war auch in meiner Jugend sehr verbreitet, die noch keine 30 bis 40 zurückliegt, aber immerhin gute 20 Jahre. Diese Beliebtheit ging vor allem auf den Film “Dead Poets Society” zurück. Doch am besten gefällt mir, dass sich in all den Jahrzehnten der Wunsch nicht geändert hat, den Tag wirklich zu nutzen.