Also sprach Wiele
Der Bachmann-Auftakt ist schon mal fabelhaft, denn im Zug nach Klagenfurt las ich in der Frankfurter Allgemeinen von heute (4.Juli) eine kritische Einstimmung auf den Wettbewerb von Jan Wiele und eine bessere kritische Einstimmung als Wieles kann ich mir gar nicht vorstellen.
Jan Wiele hat Bücher von Ingeborg Bachmann gelesen und sich gemerkt, was drinsteht. Doch zu seinem Entsetzen nehmen am Wettlesen in Klagenfurt auch Schriftsteller teil, die keine Bücher von Ingeborg Bachmann gelesen haben und nicht wissen, was drin steht. Wiele findet das „frappierend“.
Klar, Wiele kennt sich aus und weiß: Es geht beim Bachmannpreis nicht darum, so zu schreiben wie Ingeborg Bachmann. Das wäre ja „absurd“, haha, schreibt er. Aber irgendwie wurmt ihn die Sache, und also hält er sicherheitshalber doch mal Ausschau nach ein paar heißen Sätzen aus Ingeborg Bachmanns Literatur-Schatzkästlein, die er im Befehlston brüllen kann, um diesen kenntnislosen Schriftsteller-Sauhaufen sauber ausgerichtet in Klagenfurt antreten zu lassen: lauter stramme Bachmänner.
Er selber hat nämlich, wir erinnern uns, Bücher von Ingeborg Bachmann gelesen und sich gemerkt was drinsteht. Und das sollen jetzt gefälligst alle machen. Also gibt er erst mal die am tötesten totgeritten Bachmann’sche Wahrheit zum Besten, nämlich dass dieselbe, also die Wahrheit, dem Menschen zumutbar sei. Man merkt, selbst vor komplett abgenudelten Plattitüden hat Wiele keine Angst, weshalb er umgehend zu einer greift und unserer bachmannfernen Oberflächenliteratur (Wiele) oberlehrerhaft „ins Stammbuch“ schreibt: „Aber Darstellung verlangt Radikalisierung und kommt aus Nötigung“. Wow! Wer wollte daran zweifeln, dass dieser wunderbare Satz die ultimative Schriftstellernothilfe in allen Schreibnotlagen ist.
Aber so richtig Fahrt nimmt Wiele erst auf, wenn es um Ingeborg Bachmanns Poetikvorlesung geht. Hier kehrt er den Klare-Kante-Wiele raus und erlässt Verordnungen für schlichtweg jeden Autor, wie es sich selbst die Sippe Kim nur in Nordkorea traut. Denn was von Ingeborg Bachmann in dieser Vorlesung „über ‚das schreibende Ich‘ oder den ‚Umgang mit Namen‘ in literarischen Texten gesagt wird, sollte jeder, der selbst einen verfassen möchte, einmal gehört haben.“ Also sprach Wiele.
Kurz: Ohne Bachmann geht nichts. Gar nichts. Wer ihr Werk nicht kennt, kann literarisch einpacken – soviel wurde mir klar mit Wieles Hilfe inmitten der hochdramatischen, ach, was schreibe ich: nervenzerfetzenden Alpenlandschaften auf dem Weg nach Klagenfurt. Doch das ist längst nicht alles, was Wiele allen Bachmann-Ignoranten in seinem Artikel hinreibt. Er kann‘s noch besser. Bachmanns Werk ist, schreibt er, „noch immer nicht ganz ausgemacht“. Selbst die jüngsten Editionen erfüllen nur eine „‘Basisfunktion‘ für die Forschung“, bis der „Briefnachlass“ der Autorin 2025 geöffnet werden dürfe.
Wahnsinn! Ohne das Werk Bachmanns ist man literarisch eine Null, das Werk Bachmanns aber „noch immer nicht ganz ausgemacht“ – also irgendwie noch gar nicht richtig da, noch gar nicht richtig zu verstehen.
Ja, und wie geht’s jetzt weiter? Ist die Literatur jetzt vorübergehend geschlossen, bis Bachmanns Briefe 2025 aufgemacht werden? Was sollen die Schriftsteller solange tun? Nichts mehr schreiben? Auch nichts mehr lesen? Besser ins Kino gehen? Warten, bis Wiele die Briefe sauber hinten aufschlitzt, sie liest, sich merkt und uns allen erklärt, was drinsteht? Ist das alles, was den Autoren dieser Welt übrig bleibt? Fragen über Fragen. Wer gibt Antwort? Himmel hilf! Oder besser: Wiele hilf! Wiele weiß bestimmt Bescheid.
Vergnügt schmökerte ich vorhin, nachdem ich Sie im Fernsehen in Klagenfurt hatte reden hören, in Ihren Blog, lieber Herr Wittstock.
Viele Fragen.
Die vielleicht kompromittierendste: Weshalb wird Wiele die Briefe aufschlitzen müssen? Hat denn diese Frau Bachmann (die ich, wie vermutlich Wiele auch, lediglich dem Namen nach bzw. – entfernt – durch Hupperts Malina kenne) diese Briefe noch gar nicht gelesen? Oder hinterher wieder zugeklebt? Ich verkneife mir ein Interpunktionsschmunzeln, gönne Ihnen stattdessen einen Einblick in mein Tagebuch, in dem Sie heute auch vorkommen:
Eigene poetische Texte öffentlich vorzutragen, ist ja an sich schon ein exhibitionistischer Akt, bei dem selbst arrivierte Großmeister wie Helmut Krausser noch das Zittern kriegen. Zugegeben: für die 25 Riesen würde so manch einer sich noch viel peinlicher prostituieren. Aber im Beisein des notgedrungenen Exhibitionisten-Prostituisten in einem dermaßen elaborierten Schnodderton dermaßen abfällig darüber zu palavern ist obszön!
Und OB das szön ist!
Ich frage mich: Was erwarten die denn von Leuten, die gerade eben erst ihr Studium abgeschlossen haben? Tiefschürfende Lebensweisheiten? Worüber denn? Wie kann da mehr rauskommen als handwerklich virtuose oder zumindest geschliffene Poesie?
Beide Textkünstler lassen das Gewitter stumm über sich ergehen. Wie gelähmt sitzen sie da. Das harte dürre Frollein Kränzler senkt ihren Kopf, möchte im Erdboden versinken. Der junge, ausdrücklich schwule Herr Froehling verfügt über genügend Selbstvertrauen, unbeirrt geradeaus zu blicken, während man seinen Text zerknüllt, bekotet, zerreißt. Beide gehen ab wie geprügelte Hunde. Jedenfalls wortlos.
In den “Richtlinien der Tage der deutschen Literatur” heißt es: “In die Diskussion kann der/die betreffende AutorIn auf Wunsch eingreifen und zur Kritik der Jury Stellung nehmen. Dem/der AutorIn steht auch das Schlußwort [sic!] zu.”
Es sind die Richtlinien von 2011. Vielleicht müssen die Betroffenen/Betroffinnen dieses Jahr schweigen.
Anschließend zwei weiteren Literatur-Profis zugehört, die ihrerseits wiederum über die Spontan-Räsoneure und -Räsonessen fachsimpeln sollen. Zum einen Doris Plöschberger, Suhrkamp-Lektorin, Superzicke, die sich beim Versprecher der Moderatorin geradezu echauffiert: Bloß keine Verlegerin wolle sie sein.
Überhaupt scheinen alle Literatur-Exegetinnen verhärtete Zicken zu sein, und alle Exegeten zufriedene Weicheier.
Zum anderen Uwe Wittstock, ein kluger, hübscher, weichlicher Sympath mit dünnen Armen, der immerhin mutig genug ist, das lese ich nachher in seinem Internet-Blog, seinem jungen, ungleich minder begabten, jedoch ebenso ungleich sportlicheren Kollegen eine Rüge zu erteilen.