Gemalte Fotografie
Der Künstler Jub Mönster ist ein ebenso eigenwilliger wie vielseitiger Fotorealist. In den letzten Jahren hat er unter anderem eine Werkgruppe mit Hinterkopf-Porträts vorgelegt, dazu eine Serie farbiger Szenen auf vorgefundenen Trägermaterialien wie alten Schultafeln aus einer Fahrschulen oder eine fotografische Werkgruppe mit Anschlüssen der öffentlichen Pariser Gasversorgung. Nun hat Mönster den Kugelschreiber als Mittel des Zeichnens bzw. Malens entdeckt. Die Frankfurter Galerie Mühlfeld und Stohrer eröffnet am 8. Juni eine Ausstellung seiner jüngsten Kugelschreiber-Arbeiten
„Aber bitte, verehrter Meister, machen Sie, dass es mir recht ähnlich sieht“, soll eine ältere Dame um die Mitte des 19. Jahrhunderts gesagt haben, als sie den Vater der Fotografie Louis Daguerre um ein Porträt von sich bat.
Dass es die herausragende Eigenschaft der neuen Kunst Daguerres war, Bilder hervorzubringen, die mehr als nur „recht ähnlich“ sind, hatte sich zu der besorgten Dame noch nicht herumgesprochen. Inzwischen ist nicht nur dies ein Gemeinplatz, sondern auch die kunsthistorische Überzeugung, die Fotografie habe die bildende Kunst von der Pflicht zur Nachahmung der Realität befreit. Bis dann rund hundert Jahre nach Daguerres Tod einige Künstler begannen, ihre Bilder wie Nachahmungen der Fotografie aussehen zu lassen, sich Fotorealisten nannten und ihre Leinwände mit grellbunten Reklame-Schriftzügen, Schnellrestaurants, Autowracks, Ketchup-Flaschen, spiegelnden Schaufenstern oder unvergesslichen Mädchenhintern füllten.
Wie grimmig ernst im Vergleich dazu gemalte Fotografie wirken kann, sobald sie ohne all die prächtigen Farben auskommen, zeigt Gerhard Richters Baader-Meinhof-Serie. Etwas von diesem Ernst des historischen Moments findet sich auch in Jub Mönsters beiden Is Paris burning-Bildern. Aber Richters Pathos fehlt.
Mir kommen Mönsters Arbeiten eher vor wie ferne, stockfleckig gewordene Erinnerungen an alte Fotografien. Hier wird nicht mehr nach dem Muster der Fotorealisten mit zeichnerischen
oder malerischen Mitteln die Anmutung von Fotografien imitiert, sondern hier wird diese Kunst der Foto-Imitation sowohl angewandt als auch ausdrücklich dem Betrachter bewusst gemacht und vorgezeigt.
Mönsters Material spielt natürlich eine große Rolle. Er zeichnet/malt mit Kugelschreiber – und kaum ein anderes Instrument, das zum Farbauftrag geeignet ist, kommt einem instinktiv so profan und kunstfern vor wie dieses. Als ich ihn fragte, warum er ausgerechnet auf dieses Werkzeug verfallen ist, antwortete er nicht mit kunsttheoretischen, sondern ausschließlich mit kunsttechnischen Überlegungen. Der „Grafik-Charakter“ seiner frühen Bleistift-Arbeiten sei ihm zunehmend auf die Nerven gegangen: „In den Folgejahren habe ich immer wieder nach anderen möglichen Materialien gesucht, die meinem Wunsch, es malerischer wirken zu lassen, eher entsprechen: Pastell- und Wachskreide, Sepia, etc. Schließlich war es ein Zufall, der mich auf den Kugelschreiber brachte: Meine Arbeitsplatte ist mit Resopal belegt und auf ihr hatten sich im Laufe der Jahre verschiedenste Strukturen, Verwischungen, etc., darunter auch Kugelschreiberkritzeleien ‚abgesetzt‘. Das Blau, und zwar ‚das Strahlende’, kam meinen Vorstellungen sehr nahe.“
Seither also bringt Jub Mönster Kugelschreiber-Händler und -Hersteller zur Verzweiflung, weil er nach ganz bestimmten Blautönen sucht und Minen braucht, die schnell klecksen – ein Ansinnen, das die Ehre jedes seriösen Kugelschreiber-Produzenten naturgemäß tief verletzt, auf das Mönster seiner Arbeit zuliebe aber nicht verzichten kann: „Die Tinteneigenschaft der Kugelschreiberpaste
lässt ein 2 – 3 maliges Überarbeiten zu, ohne dass die Gefahr des Abplatzens besteht. Dadurch ist es möglich, nahezu ein optisches Schwarz zu schaffen. Außerdem ergeben sich lasurähnliche Effekte“.
Vor allem seine Nacht-Bilder vom Hamburger Hafen, der Großen Bleichen oder der Automatengalerie der Raststätte Bühl entwickeln eine stark malerische Stimmung. Weshalb eine Musik, die ursprünglich nach Sonnenuntergang gespielt und gesungen wurde, den Namen Blues erhielt, leuchtet beim Betrachten dieser Bilder Mönsters unmittelbar ein.
In einer Zeit, in der es unendlich viele Möglichkeiten gibt, Fotografien in Sekundenbruchteilen zu scannen, zu kopieren, zu digitalisieren, zu speichern und beliebig verfremdet wiederzugeben, hat die altmeisterliche Sorgfalt, mit der Mönster sie hier von Hand neu erschafft, etwas von einer zutiefst romantischen Geste: Einem Kunst-Medium, das perfekt auf seine technische
Reproduzierbarkeit hin ausgerichtet ist, wird die Aura des Einmaligen und des Originals zurückgegeben.
Aber Mönsters Originale sind keine nachtblauen Kopien von Fotografien, sie sehen ihnen vielmehr „recht ähnlich“, so wie sich das einst jene Dame von Louis Daguerre wünschte. Diese Differenz, die Jub Mönster schon durch sein Arbeitsmaterial betont, macht den eigenwilligen Zauber seiner Kugelschreiber-Arbeiten aus. Ein Zauber, der mich an den Geschmack, den Geruch, das Aroma abgelegener, fast schon verlorener, nur ahnungsvoll wiedergewonnener Erinnerungen erinnert.
Weitere Bilder von Jub Mönster, auch aus anderen Werkgruppen sind zu sehen unter:
http://www.jubmoenster.de/
Auch ich staune jedes Mal wenn ich ein Kugelschreiber-Kunstwerk sehe. Sowas ist doch gar nicht möglich! Aber mit den Kugelschreibern in der richtigen Qualität wohl eben schon. Und der Künstler muss natürlich auch sehr begabt sein. Vielen Dank für den Beitrag!