Der Büchersäufer stellt Bücher vor, die er bis zur Neige genossen, oder an denen er doch lieber nur genippt hat.
Heute: Über ein Buch von Gewicht und die leichtsinnige Hoffnung auf irgendeinen kultivierenden Einfluss der Kunst sowie den Zusammenhang zwischen Hotels und Pilzen.
Was ist besser? Lesen oder Reisen?
Manche Bücher können das Reisen glattweg ersetzen. Mehr noch, ich behaupte, Bücher sind gelegentlich sogar besser als Reisen. Natürlich ist prinzipiell nichts einzuwenden gegen einen leibhaftigen Aufenthalt in fremden Ländern. Aber einige davon haben, seien wir ehrlich, schon so ihre Macken: Sie sind fürchterlich heiß oder erschreckend kalt, die Leute sprechen Sprachen, denen man nur mühsam folgen kann, und dazu die irren Roaming-Gebühren. Also, wenn ich schon auf eine einsame Insel soll, dann am liebsten in der Literatur und in einem Roman wie „Robinson Crusoe“. Da kann ich zwischendurch das Buch mal zuschlagen und Pause machen vom Einsamsein.
Auf dem Weg, eine Reise komplett zu ersetzen, kommt das gigantische Buch „The Grand Tour. Das goldene Zeitalter des Reisens“ von Marc Walter und Sabine Arqué (Taschen Verlag) schon allein in finanzieller Hinsicht ein gutes Stück voran. Es kostet 150 Euro, kann in der Budgetplanung also locker den Platz für den Tagesausflug einer kinderreichen Familie einnehmen.
Dafür hat der Prachtband allerdings auch eine Menge zu bieten: Er bringt gute 6,5 Kilo auf unsere Badezimmerwaage. Wenn ich ihn hochkant auf den Boden stelle, reicht er mir bis zum Knie. Und sobald ich ihn aufschlage, führt er an einige der schönsten Orte dieser Welt. Mit der Grand Tour rundeten nämlich einst die Adligen und Superreichen die Bildung ihrer Kinder ab, schickten sie zur Kunst-Beschau für ein oder zwei Jahre über Paris und Südfrankreich nach Italien und hofften, das würde irgendeinen kultivierenden Einfluss haben auf die lieben Kleinen. Später reisten manche sogar in den Orient oder bis nach Indien.
Natürlich kann man diesem goldenen Zeitalter des Reisens nachtrauen. Die Versuchung dazu ist sogar groß, sobald man in diesem Wunder-Buch blättert und sich in fabelhaft altmodischen Ansichten all jener herrlichen Orte vertieft, an denen inzwischen zwölfstöckige Hotelbauten sprießen wie die Pilze.
Doch an das endgültige Verschwinden der Grand Tour glaube ich nicht. Meines Erachtens lebt sie bis heute weiter – und zwar unter dem Tarnnamen „Work & Travel“. Inzwischen sind es nicht mehr die Eltern, sondern die Sprösslinge selbst, die sich nach Schulschluss für ein Jahr oder länger in Richtung Australien, Peru oder Togo verfrachten. Letztlich geht also auch in der Reisekultur nichts verloren und manches wird, genau betrachtet, sogar besser.