Entsetzlich: Keine Ketzerverbrennung mehr!
In den Osterferien habe ich Päpstin Johanna des griechischen Kritikers und Satirikers Emmanuil Roidis gelesen – und war sehr positiv überrascht. Zu dem Buch bin ich gekommen, weil mir jemand erzählte, es gäbe auffällige, plagiatsverdächtige Ähnlichkeiten zu Die Päpstin von Donna Cross. Mir sind aber keine skandalträchtigen Parallelen zwischen den beiden Büchern aufgefallen.
Emmanuil (oder Emmanouil) Roidis’ Roman ist 1866 in Athen erschienen und löste bei der dortigen Kirche helles Entsetzen aus. Was sehr verständlich ist, denn Roidis’ Ton ist angenehm respektlos und ironisch, sobald die Spache auf das Verhalten der mächtigen mittelalterlichen Gottesmänner kommt. Hier eine kleine Kostprobe über die Verhältnisse in Rom unter der Herrschaft einer – inzwischen schwangeren und deshalb sehr zurückgezogen lebenden – Frau auf dem Stuhl Petri:
“Die Frommen beschwerten sich, dass ihnen nicht mehr der Segen zuteil werde, die Bettler, dass sie ihr tägliches Linsengericht nicht bekämen, die Fanatiker beklagten unter Tränen, dass schon seit sechs Monaten kein Hexenmeister oder Ketzer mehr verbrannt worden sei. Doch die am meisten Verbitterten waren … vor allem die Kuppler und Barbiere, die es nicht begreifen konnten, weshalb sie im Schloß keinen Zutritt hatten, während doch Gewohnheit und Tradition dem Papst den Damenbesuch und das Rasieren zur Pflicht machten.”
Roidis kennt die Gesellschaftsromane seiner Zeit, das merkt man seinem Buch an. Er ist ein kluger, weltkundiger Erzähler. Ich fand seine Vorstellungen vom frühen Mittelalter viel glaubwürdiger als die von Donna Cross, bei der ich immer wieder den Verdacht hatte, ihre Figuren in Die Päpstin stammen gar nicht aus dem 9., sondern aus dem 19. Jahrhundert.
Obwohl: Das größte Lebensproblem der Päpstin Johanna, so wie Roidis sie schildert, ist die Liebe – genauer gesagt: der Sex. Ob das die Lage der Frau in der Jahrzehnten nach Karl dem Großen richtig beschreibt? Davon habe ich keine Ahnung, das sollen die Historiker entscheiden. Mein Vergnügen an dem Roman hat das nicht geschmälert. Im Gegenteil.