Die Macht der Nacht mal sacht bedacht
Heute: Über ristkante Fragen beim Lesen und vor allem beim Trinken
Das Glück ist ein Rausch, schnurren uns die Life-Coaches ins Ohr. Das mag so sein. Sobald allerdings ein Tresen in Sicht kommt, stellt sich die Frage schnell andersherum: Ist der Rausch ein Glück? Riskantes Thema, die Antwort kann leicht gesundheitsschädlich ausfallen. Sagen wir mal so: Wenn man mit Freunden in einer Bar steht, die ersten Gläser geleert sind und der Abend allmählich Fahrt aufnimmt, dann, ja dann kriegt die Welt manchmal so einen kostbaren kleinen Extraschwung in Richtung Glücksgefühl.
Benjamin von Stuckrad-Barre ist ein intimer Kenner solcher Schwung-Momente und er besingt sie klug und kraftvoll in dem kleinen Buch „Nüchtern am Weltnichtrauchertag“ (Kiepenheuer & Witsch, 8 Euro). Aber er nimmt nicht mehr an ihnen teil. Denn er ist, schreibt er, seit Jahren trocken: „Wenn ich am Alkoholtrinken etwas immer verachtet habe, so ist es das sogenannte maßvolle Trinken. Vernünftig trinken wohl gar noch, Rausch ohne Reue? Amateure!“
Klingt irre heroisch. Und irgendwie so radikal. Boah. Darf sich aber keiner wundern, wenn diese Kamikaze-Haltung ihn pfeilschnell auf modrige Friedhöfe oder ist fade Entzugskliniken führt. Egal. Stuckrad-Barres Büchlein zeigt, dass er auch alkoholfrei jede Menge vorbildlich ausdestillierte Sätze aufs Papier bringt. Schon deshalb hebe ich aus der Ferne mit allem Respekt ein solidarisches Glas Mineralwasser und bringe den Toast aus: „Nüchtern bleiben!“
2014 startete BUCH & BAR. Die Kolumne ist schon deshalb absolut unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das, worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.