In der Stadt der Dämonen
Martin Mosebach erlebt für seine Romane ebenso hohe Anerkennung wie rabiate Anfeindungen. Er ist notorisch umstritten, schon weil er sich selbst gern einen Reaktionär nennen. Daran wird sich auch mit seinem neuen Roman “Mogador” nichts ändern: Es geht darin um einen Bankmanager auf der Flucht, eine Bordellmutter mit besten Kontakten zum Jenseits und die alte Frage nach dem Glück. Ich traf Mosebach in München und habe mich mit über sowohl über das Glück, als auch über „Mogador“ unterhalten
“Das Glück?“
Martin Mosebach sitzt am Café-Tisch in der Sonne, die sich in diesem Sommer nur so selten zeigt. Der Himmel über Münchens Englischem Garten ist bayerisch blau mit zart hingetupften Schäfchenwolken, Vögel zwitschern, Kinder lachen. Ein guter Augenblick, um mit Mosebach über Glück zu reden.
„Die Vorstellung, ein Recht auf Glück zu haben“, sagt er, „die Vorstellung, das Recht zu haben, nach Glück zu streben, Pursuit of Happiness, ist für die westliche Welt seit der Amerikanischen Revolution entscheidend geworden.“
Mosebach hat eine charakteristische Diktion, eine Sprachmelodie, wenn er so etwas sagt, der Großteil des Satzes kommt sehr schnell, zack, zack, zack, stakkatoartig, aber dann, meist gegen Ende, zieht und dehnt er ein oder zwei Worte: „enteiiidend geworden“. Man spürt, wie genussvoll Mosebach mit Worten spielt, wenn er manche auf diese Weise zu streicheln scheint.
„Doch dieses Streben ist oft ein wahnhaftes Unternehmen, denn wir wissen nicht, worin unser Glück besteht.“ Wir lassen uns vielmehr, so Mosebach, kopfscheu machen von der permanenten Fahndung nach dem Glück, wir werden zu gehetzten Glückssuchern und verfehlen so erst recht das Ziel, Glück zu empfinden.
„Glück als Leistung“, sagt Mosebach, „das ist die Vorstellung, von der wir uns viel zu sehr beherrschen lassen. Wir glauben, versagt zu haben, wenn sich das Gefühl von Glück nicht einstellt.“
Dann setzt Mosebach eine kleine Pause, eine Sekunde der Stille, bevor er ein wenig leiser fortfährt: „Glück ist keine Leistung. Glück ist etwas, das uns hinzugegeben wird, manchmal. Wir können es nicht anstreben, nicht arrangieren. Wir bekommen es, oder wir bekommen es nicht.“
„Als Geschenk?“, gebe ich das Stichwort. „Ja“, nickt Mosebach, „das ist es wohl.“
Der Gedanke, Glück nicht erzwingen, sondern nur mit Demut erhoffen zu können, hat es in sich. Er verrät viel über den Schriftsteller Mosebach und viel darüber, weshalb seine Bücher neben faszinierten Lesern auch unversöhnliche Gegner kennen. Denn sie unterstellen ihm, dem gläubigen Katholiken, dass er Glück ohne metaphysische, göttliche Hilfe nicht für möglich hält.
Auf den ersten Blick spielt die Suche nach Glück in Mosebachs ebenso schönem wie geheimnisvollem Roman „Mogador“ keine große Rolle. Es geht um einen jungen Bankmanager namens Patrick, der sich halb aus Leichtfertigkeit, halb aus Willenlosigkeit von einem Mitarbeiter in kriminelle Unterschlagungen verstricken lässt. Als ihn die Polizei zu einem Gespräch vorlädt, gerät er in Panik, springt in das erste beste Flugzeug nach Marokko und taucht unter in der abgelegenen Hafenstadt Essaouira, die einst Mogador hieß.
Mosebach nennt sich selbst gern und mit Freude an der Provokation einen „Reaktionär“, und von literarischen Gegnern wird er als „Anti-Modernist“ bekämpft. Doch genau betrachtet ist er heute einer der modernsten, geistesgegenwärtigsten Romanciers der deutschen Literatur: Wie kaum ein anderer versteht er es, ein Porträt unserer globalisierten Welt zu zeichnen, in der die Industriekultur des Westens fast ungebremst auf die feudalen Strukturen zum Beispiel eines Landes wie Marokko prallt.
Virtuos entfaltet Mosebach dieses spannungsvolle Miteinander von Smartphone und Eselkarren, von Jeans und Dschellaba, von Coca-Cola und Kochen auf gestampftem Lehmboden. Seine Romane schärfen den Blick dafür, wie sehr die angeblich exotischen Kulturen anderer Kontinente aus ihren Traditionen heraus in eine hochkomplizierte Zukunft gerissen wurden. Und weshalb Religion – und eben auch religiöser Fanatismus – für manche Menschen dort eine stabilisierende Lebensstütze ist inmitten des rasenden Umbruchs.
Auf Patrick, den halbkriminellen Bankmanager, strömt all das ein bei seiner Flucht. Vor allem seine marokkanische Wirtin Khadija beeindruckt ihn, die ihm Unterschlupf gewährt, ohne Fragen zu stellen oder Papiere zu verlangen. Sie ist, im Gegensatz zu Patrick, ein wahres Monster an Willenskraft: Obwohl in brutaler Armut aufgewachsen, zweifach verwitwet und Mutter eines behinderten Kindes, hat sie sich dennoch zur Hausbesitzerin hochgearbeitet, zur Bordellchefin und zur Wahrsagerin mit besten Verbindungen zu übernatürlichen Kräften.
„In Essaouira, dem alte Mogador“, erzählt Mosebach, „ist der Dämonenglaube stärker verbreitet, als man es in der islamischen, der sunnitischen Welt erwarten sollte.“ Er stammt wohl von den schwarzen Sklaven, die früher aus Mali oder dem Senegal nach Mogador verkauft wurden.
Von einem solchen Dämon fühlt Khadija sich seit Kindheit an begleitet. Alle wichtigen Entscheidungen ihres Lebens, die Glück oder Unglück für sie bedeuten können, trifft sie mit dessen jenseitiger Beratung. Was ihr eine viel größere Entschlossenheit und Ruhe verleiht als dem wankelmütigen Patrick – der seine Flucht am Ende nur per Zufall mit heiler Haut übersteht.
Stimmt Mosebach in seinem neuen Roman also allen Ernstes ein Loblied an auf den Geisterglauben statt auf das rationale Streben nach Glück, wie es ihm Gegner vorwerfen? Empfiehlt er, der selbst ernannte Reaktionär, literarisch die Rückkehr in eine vormoderne Welt der Heilslehren? „Mein Buch“, sagt Mosebach, „ist ein Roman und keine Handlungsanweisung. ‚Mogador’ erzählt von zwei Menschen, die sehr unterschiedlichen Lebenshaltungen folgen. Mehr nicht.“
Als vorbildlich stellt Mosebach weder die eine noch die andere hin – aber in der Gegenüberstellung, im Kontrast werden beide deutlicher und erkennbarer. Kann man von einer guten Geschichte mehr erwarten?