Ein paar poetologische Lockerungsübungen
Ich habe einen Reader zur sprunghaften Karriere des Begriffs “Postmoderne” in den Diskussionen zur deutschen Literatur herausgebracht. Der Band enthält Aufsätze, Essays, Artikel deutscher Schriftsteller (und eines amerikanischen Kritikers) aus den letzten Jahrzehnten, die sich Gedanken darüber machen, wie es in der Literatur weiter und über die Theoreme der klassischen Literatur hinaus gehen kann.
“Eine sehr wichtige, toll ausgewählte, klug kommentierte Anthologie! Gibt zu denken: Die Moderne als ewige Untote?” Wolfgang Ullrich
Es geht los mit H.M. Enzensberger, der bei mir mit einem Aufsatz aus dem Jahr 1960 als “Erfinder der Postmoderne” firmiert. Weiter geht es mit eine erstmals vollständig dokumentierten Literatur-Debatte aus dem Jahr 1968, die von einem Aufsatz des Literaturkritikers Leslie A.Fieder über die “Todesagonie der Moderne und die Geburtswehen einer Nach-Moderne” ausgelöst wurde, und an der sich von Martin Walser bis Jürgen Becker, von Helmut Heißenbüttel Rolf Dieter Brinkmann alles beteiligte, was damals Rang und Namen hatte.
Darüber hinaus gibt es Aufsätze von Günter Grass, der die Neigung der Avantgardisten unter den Modernen zu totalitären politischen Gedanken kritisiert, von Christoph Ransmayr, Peter Sloterdijk, Sten Nadolny, Peter Rühmkorf, heiner Müller, Daniel Kehlmann, Klaus Modick, Dirk von Petersdorff, Ulrich Woelk, Durs Grünbein und noch einigen anderen.
“Postmoderne in der deutschen Literatur”
Lockerungsübungen aus fünfzig Jahren
Herausgegeben von Uwe Wittstock
Wallstein Verlag, Göttingen.
412 Seiten, 24, 90 Euro
»Die Moderne ist hundert Jahre alt. Sie gehört der Geschichte an«, schrieb Hans
Magnus Enzensberger 1960 in seinem Nachwort zur Sammlung Museum der modernen
Poesie. Auch wenn er hier den Begriff “Postmoderne” noch nicht gebraucht, kann dieser
Text als Beginn der Diskussion zum Thema im deutschsprachigen Raum angesehen werden, die zeitgleich auch in den USA in Gang kam. Was – mit allem Respekt – als »Moderne« verstanden wurde, schien plötzlich »ermüdet«, es konnte nun nicht mehr einfach für das Neue (Gute) im Gegensatz zum Traditionellen stehen, sondern wurde selbst in seiner Geschichtlichkeit gesehen. Aber es brauchte in Deutschland bis 1968, als der US-amerikanische Literaturwissenschaftler Leslie A. Fiedler mit seinem Freiburger Vortrag über »Das Zeitalter der neuen Literatur« (auf Englisch gedruckt im »Playboy«, auf Deutsch in »Christ und Welt«) eine über Monate geführte Diskussion auslöste – und für poetologische Aufregung sorgte unter den Alten wie Robert Neumann und Hans Egon Holthusen ebenso wie unter den damals Jungen: Rolf Dieter Brinkmann, Martin Walser und Jürgen Becker. Diese Diskussion von 1968 wird hier erstmals komplett in Buchform wiedergegeben. Gefolgt von beträgen jüngerer und junger Autoren aus den 90iger Jahren und den sogenannten Nuller-Jahren.