Wie täusche ich meinen Therapeuten richtig?
Heute: Über herrlich verhöhnendes Lesen und Trinken
Klar, Essen ist auch wichtig. Aber in dieser Kurz-Kolume BUCH & BAR geht es nur um Lesen und Trinken. Warum? Weil beides, in richtiger Qualität und Dosierung, einen kostbaren Fingerbreit über die klägliche Wirklichkeit hinausheben kann.
Die edelsten der edlen Menschen wurden in der Antike schöne Seelen genannt. Wenn Philipp Tingler seinen Roman „Schöne Seelen“ (Kein & Aber, 22 Euro) nennt, ist das purer Sarkasmus. Ich kenne keinen anderen deutschen Autor, der das Gala-Milieu der Reichen, Botox-Schönen und Prada-Berühmten so kenntnisreich und komisch zu verhöhnen versteht wie er.
Und das geht so: Viktor hat Geld wie Heu und Eheprobleme. Seine Frau schickt ihn zur Psychotherapie, doch dazu fehlen ihm Zeit und Lust. Also bittet er kurzerhand seinen Freund Oskar, für ihn zum Therapeuten zu gehen, um ihm anschließend davon zu berichten. Was er dabei dann aufschnappt, muss für Frau und Ehe reichen. Aus dem Rollentausch ergeben sich logischerweise fabelhafte und höchst pointenträchtige Komplikationen. Tingler schreibt absolut hinreißende Screwball-Dialoge. Aber leider ist er so verliebt in seine Story, dass er sie allzu breit auswalzt. Wäre sein Buch halb so lang, wäre es doppelt so gut.
Bei ihren Treffen trinken Viktor und Oskar Prince-of-Wales-Cocktails. Natürlich aus Silberbechern, damit jeder sofort sieht, dass nicht nur die beiden Trinker, sondern auch ihre Getränke etwas Besonderes sind. Für den Drink brauch es einen guten Cognac (mein Vorschlag: Prince Polignac VSOP), Kräuterlikör (D.O.M. Bénédictine) und Angostura, aufgefüllt mit, wie könnte es anders sein, Champagner.
Die Kolumne erschien im Focus vom 12. September 2015. 2014 startete meine Kurz-Kolumne Buch & Bar im Focus. Sie ist schon deshalb absolut unverzichtbar, weil sie dem weltbewegenden Zusammenhang zwischen Lieblingsbegleiter BUCH und Lieblingsaufenthaltsort BAR nachgeht, zwischen Geschriebenem und Getrunkenem, zwischen der Beschwingtheit, in die manche Dichter ebenso wie manche Drinks versetzen können. Also haargenau das, worauf jeder überzeugte Büchersäufer immer schon gewartet hat – weshalb ich die Kolumnen hier gern frisch auf die Theke meines Blogs serviere.
Treffend: “Wäre sein Buch halb so lang, wäre es doppelt so gut.”
Ich fand auch, daß das Buch trotz seines nicht gerade epischen Umfangs Längen aufweist. Letztendlich ein Saisonerfolg, der vom Prince-of-Wales-Cocktail lange überdauert werden wird.