Martin Mosebach: “Das Blutbuchenfest”

Von der Weisheit der Putzfrau

Ein hemmungsloses Fest, lauter Menschen mit hochstaplerischen Zügen und mittendrin Ivana, die alle Geheimnisse kennt. Martin Mosebach zeichnet in seinem virtuosen Roman Das Blutbuchenfest ein Sittenbild der Bundesrepublik der neunziger Jahre – aber eben nicht nur der neunziger Jahre.

Es geht uns großartig, meint Martin Mosebach, während er Tee einschenkt: „Die Restaurants werden immer teurer und sind dennoch jederzeit voll. Überall parken beeindruckende Autos, denen elegante Menschen entsteigen. Das Leben ist ein Fest.“ Oft bleibe rätselhaft, woher der Wohlstand komme. „Aber er ist da und wird genossen.“

Mosebach sagt das ohne Sarkasmus und lehnt sich mit der Tasse in der Hand im Sessel zurück. Seine Frankfurter Wohnung ist vollgestopft mit alten Dingen, alten Möbeln, Bildern, Büchern. Er gehört definitiv nicht zu den Schriftstellern, die vor dem, was gerade modern genannt wird, auf den Knien liegen. Aber auch nicht zu denen, die die Gegenwart schwarz in schwarz malen.

Lieber spürt der Autor dem Leben der Leute nach, die zu dieser Zeit gehören, all den „Beratern, Coaches, Vermittlern, PR-Agenten“, die unsere Dienstleistungsgesellschaft prä-gen: „Ihre Beschäftigungen sind nicht sehr konkret und nehmen deshalb einen leicht hochstaplerischen Zug an.“

Martin Mosebach: "Das Blutbuchenfest". Roman. Carl Hanser Verlag, München 2014. 24,90 Euro

In seinem wunderbaren Roman „Das Blutbuchenfest“ versetzt Mosebach die Leser mitten unter sie: eine lockere Gruppe von tatsächlichen oder auch nur scheinbaren Erfolgsmenschen aus Frankfurt, die effektvoll aufzutreten verstehen, auch wenn sie nur sehr luftige Leistungen anzubieten haben. Mosebach lässt sie ein herrliches Theater der Eitelkeiten und der Wichtigtuereien aufführen – und macht sich dennoch niemals lustig über sie. Denn auch ihre Jobs sind schweißtreibend und voller Risiken, auch wenn sie das niemals jemanden merken lassen dürfen.

Man kennt sich, man trifft sich, auf Empfängen, in Restaurants, verfolgt seine Interessen mal gemeinsam, mal in Konkurrenz zueinander – und achtet stets auf Unabhängigkeit und Distanz. Doch insgeheim sind sie alle, ohne es zu wissen, viel enger verbunden, als sie glauben. Denn sie alle beschäftigen, wie der Zufall es will, die gleiche Putzfrau: Ivana aus Bosnien.

Ivana ist nicht sonderlich neugierig, sondern eher phlegmatisch. Dennoch gibt es vor ihr, die alle Haushalte in- und auswendig kennt, keine Geheimnisse. Das macht den Roman sehr komisch und sehr ernst zugleich: Ivana ist die Einzige, die noch mit den Händen arbeitet, und die Einzige, die hinter alle Fassaden schaut. Doch die kleinen Affären, Liebesnöte oder finanziellen Engpässe, die sie dort beobachtet, interessieren sie überhaupt nicht.

Denn Ivana hat ihre eigenen Sorgen: Mosebach siedelt den Roman im Jahr 1991 an, als der Jugoslawien-Krieg ausbrach, der Ivanas bosnische Familie sofort in höchste Gefahr bringt. Während die Frankfurter Gesellschaft ihr lang geplantes, reichlich hemmungsloses Blutbuchenfest feiert, auf dem Ivana die Garderobe entgegennehmen oder Drinks und Häppchen reichen darf, hört sie parallel am Mobiltelefon die Schüsse mit, die ihre Eltern zur Flucht aus ihrer Heimat zwingen.

Mosebach hebt den Kontrast zwischen diesen beiden Welten scharf hervor, aber er spielt sie nie gegeneinander aus. „Es wäre“, erzählt er, „ein Missverständnis, wenn man glaubte, ich wolle etwas verurteilen. Ich sehe eine Aufgabe darin, Zustände zu schildern, nicht über sie zu richten.“ Zustände, die auch heute wieder, angesichts der Kriege in der Ukraine, in Syrien oder dem Irak, ungemildert zu erleben sind: wenn zwischen dem Frieden hier und dem mörderischen Hass dort nur wenige hundert Kilometer liegen, also nur ein Katzensprung in den Zeiten moderner Kommunikations- oder Reisetechnik.

Dieser Gegensatz macht das Buch, seiner oft satirischen Heiterkeit zum Trotz, zu einem so berührenden Leseerlebnis. Man hat Mosebach vorgeworfen, er lege seinen Romanfiguren Telefone (und Laptops) in die Hände, die es im Jahr 1991 noch nicht gab, sondern erst zwei, drei Jahre später auf den Markt kamen. Das mag sein, aber der Blick auf die Kriege  unserer Tage (zum Beispiel in der Ost-Ukraine) zeigt, wie unbedeutend der Einwand gegen dieses enorme Buch ist: An dem moralischen Dilemma, vom sicheren Port einer hochentwickelten Gesellschaft aus hilflos zuzuschauen, wie sich in leicht erreichbarer Nachbarschaft die Völker an den Kragen gehen, ändern die exakten Verkaufsdaten bestimmter Handy-Typen nichts.

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