Wenn Schriftsteller sich suhlen in politischer Angstlust
Michel Houellebecqs Unterwerfung und Dave Eggers Der Circle sind zeitdiagnostische Romane, die sowohl ästhetisch wie auch zeitdiagnostisch das literarische Klassenziel nicht erreichen. Dennoch feiern sie im Kampf um die öffentliche Aufmerksamkeit erstaunliche Triumphe. Wie kommt es zu diesen Erfolgen? Eine Spekulation
Michel Houellebecqs Unterwerfung ist noch nicht erschienen – und schon der meistdebattierte Roman dieser Tage. Ich habe eine digitale Fassung vom deutschen Verlag vorab erhalten und gelesen. Er ist in meinen Augen mit Sicherheit keine literarische Meisterleistung, aber dennoch ein beeindruckendes Buch. Denn es trifft mit erstaunlicher Präzision den (politischen) Nerv seiner Zeit.
Michel Houellebecq: "Unterwerfung". Dumont Verlag, Köln 2015, 22,99 Euro
Die Handlung ist bereits oft genug referiert worden, ich muss sie hier nicht noch einmal nacherzählen. Die grundlegenden Ideen Houellebecqs sind simpel: Im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2022 bekommen die traditionelle bürgerlichen und sozialistischen Parteien keinen Fuß mehr auf den Boden. In der Stichwahl machen der Front National mit Marine Le Pen und eine (fiktive) „Bruderschaft der Muslime“ das Rennen unter sich aus. Da sich die bereits zuvor geschlagenen traditionellen Parteien hinter die „Brüderschaft“ stellen, ist deren Spitzenkandidat Mohammad Ben Abbes der sichere Sieger.
Durchaus plausibel erscheint mir an diesem Szenario, dass es vor einem derart entscheidenden Wahlgang zu gewalttätigen Zusammenstößen kommt. Autos werden abgefackelt (nicht unüblich im Frankreich der letzten Jahre), dazu Schießereien in Paris, Überfälle auf Wahllokale usw. Nicht plausibel ist aber meines Erachtens, dass diese bürgerkriegsähnlichen Zustände nach dem Sieg von Präsident Ben Abbes fast sofort abflauen. Es wirkt so, als habe Houellebecq den Front National im zweiten Teil seines Romans schlichtweg vergessen.
Wichtiger ist Houellebecq in der zweiten Romanhälfte die Entwicklung seiner Hauptfigur, eines Literaturwissenschaftlers namens François. Denn der wandelt sich unter dem Eindruck der allgemeinen Islamisierung des Landes zügig vom religiös desinteressierten Agnoistiker zu einem potentiellen Konvertiten, dessen Übertritt zum Islam am Ende des Romans zumindest im Konjunktiv geschildert wird.
Sowohl die im Roman behauptete Unterstützung der „Brüderschaft“ durch die traditionellen Parteien als auch die angedeuteten Konversion der Hauptfigur liefern eine Begründung für den Romantitel: die bereitwillige „Unterwerfung” der westlichen, laizistischen, aufgeklärten Gesellschaft unter den im Glauben gefestigten Islam. Damit liefert das Buch mundgerecht den Debattenstoff, den unsere Talkshows in den Zeiten von Pegida brauchen.
Keine von Houellebecqs Ideen oder Überlegungen scheinen mir sonderlich originell, sein Zukunftsbild für Frankreich ist wenig überzeugend. Es setzt zu viele frei erfundene politische Faktoren voraus, für die es in der Gegenwart nicht mal die Andeutung von zukünftigen Realisierungschancen gibt. Kurz: Houellebecqs Geschichte ist nicht überzeugend. Wäre ein ähnliches Zukunftsszenario in Essays oder Zeitungsartikeln entworfen worden, wären sie wohl kaum ernsthaft diskutiert worden.
Dave Eggers: "Der Circle". Verlag Kiepenheuer & Witsch. Köln 2014, 22,99 Euro
Ganz ähnlich lagen meiner Meinung nach die Dinge bei Dave Eggers Roman Der Circle – dem Zukunftsskandalroman des vergangenen Jahrs. Auch dieses Buch ist (trotz einiger gelungener satirischer Elemente) literarisch eher dürftig: Die Hauptfiguren sind psychologisch so komplex wie Glasmurmeln und das zentrale Handlungsmotiv (Firmengründer Kalden versucht ausgerechnet die fanatische Circle-Anhängerin Mae zur ins Lager der Circle-Kritiker zu ziehen) ist geradezu haarsträubend unplausibel.
Dennoch gelang es auch diesem Roman, sich in den Mittelpunkt einer bewegten öffentlichen Debatte zu rücken. Obwohl die Ideen und Überlegungen auch dieses Buches alles andere als originell sind und das Misstrauen gegen eine allumfassende Überwachung (durch datensammelwütige IT-Konzerne oder NSA) schon lange vor dem Erscheinen des Romans zum Alltag gehörte.
Mir scheint das ein interessanter Punkt zu sein: Beide Romane sind literarisch nicht eben überwältigend. Zumindest haben sie sprachlich und psychologisch wenig mehr zu bieten als ein x-beliebiger Konfektions-Krimi. Aber auch inhaltlich liefern sie nüchtern betrachten keine aufregend neuen Thesen. Sowohl die Angst vor den Ausforschungs-Algorithmen als auch vor dem Islam oder wahlweise vor Islam-Feindschaft gehören zu den Plattitüden der gegenwärtigen Publizistik.
Woher kommt dennoch die erstaunliche öffentliche Resonanz auf diese Bücher? Offen gestanden, ich habe keinen Schimmer, ich kann nur spekulieren. Ein alter Grundsatz der Rhetorik besagt, dass Geschichten eine vielfach größere Wirkung beim Publikum erzielen als Argumente. Beruht der Erfolg von Eggers und Houellebecq auf dieser Regel? Sie liefern kaum Neues, sondern malen bereits bekannte und vielfach benannte Angstvorstellungen mit erzählerischen Mitteln aus. Sie suhlen sich gleichsam in der politischen Angstlust des Publikums. Was ihnen eine stattliche Leserschaft einträgt und ihre Bücher zu zentralen Bezugspunkten der Medien-Debatten macht – was ihnen naturgemäß noch mehr Aufmerksamkeit bei Lesern einträgt, woraufhin sie naturgemäß zu Referenzpunkten in noch mehr nervtötenden Talkshows werden. Usw.
Kurz: Der Schriftsteller wird hier zum Illustrator öffentlicher Streitfragen. Er liefert keine gute Geschichte, sondern vielmehr die richtige Geschichte zum richtigen Zeitpunkt. Er verwandelt die in Schlagworten gefassten politischen Befürchtungen (NSA-Überwachung, Islamisierung) zu emotional nachvollziehbaren Erzählungen. Er bebildert die sonst bilderlosen Konfliktthemen. Ob die jeweiligen Geschichten irgendeinen originellen Gedanken enthalten oder platt sind wie Briefmarken, ob sie literarisch gelungen oder auch nur einigermaßen inhaltlich überzeugend sind, ist dann unwichtig. Denn für solche eher differenzierten Überlegungen ist im rasend schnell losbrechenden allgemeinen Meinungsradau ohnehin keine Zeit mehr.
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Woher kommt dennoch die erstaunliche öffentliche Resonanz auf diese Bücher? Offen gestanden, ich habe keinen Schimmer,
Naja, Sie schreiben doch auch über diese Bücher und je mehr Leute darüber schreiben, umso grösser die Aufmerksamkeit.
Wie wäre es, wenn die Literaturkritik, die sich immer noch so nennt aber längst zum schnöden Literaturjournalismus mutiert ist, der nur noch “Skandalen” hinterherhechelt (auch hier: “Skandalbuch” – warum eigentlich? und: was bedeutet das?) möchte, einfach etwas mehr Wert auf die ästhetische Betrachtung eines Romans legen würde und weniger die eher an den Haaren herbeigezogenen Plots mit kommentieren würde?
Stattdessen wird jetzt Houellebecq für zwei, drei Wochen “durchgenudelt”. Das Feuilleton scheint sich auf diese Form der Aufmerksamkeitsökonomie spezialisiert zu haben. Da spielen literarische Aspekte längst keine Rolle mehr.