Verworren, brüchig, inkohärent
Über die endlosen Schwierigkeiten, Adolf Hitlers Buch “Mein Kampf” ins Französische zu übersetzen. Eine Gespräch mit Olivier Mannoni, der acht Jehre lang an einer fast unlösbaren Aufgabe gearbeitet hat
Olivier Mannoni ist ein herausragender Übersetzer, der deutsche Bücher ins Französische bringt. Er hat zahllose literarische Bücher, aber auch Sachbücher übersetzt. Vor allen Bücher von Historikern oder zu historischen Themen. Eins seiner großen Projekte war eine Übersetzung von Hitlers “Mein Kampf”. Über die Erfahrungen beim Übersetzen dieses so oft erwähnten, aber selten gelesenen und letztlich hundsmiserablen Buchs hat er dann selbst ein Buch geschrieben, das jetzt seinerseits ins Deutsche übersetzt wurde. Sein Fazit: »Hitler zu übersetzen, bedeutet auch, sich gegen seine zeitgenössischen Epigonen zu wappnen.« Ich habe mich mit ihm in Lyon über sein Buch unterhalten.
Uwe Wittstock: Sie haben Hitlers „Mein Kampf“ ins Französische übersetzt. Wie lange haben Sie dafür gebraucht?
Olivier Manonni: Acht Jahre.
Warum so lange?
Das deutsche Buch hat achthundert eng bedruckte Seiten. Meine erste Übersetzung war nach zwei Jahren fertig, zählte 1200 Manuskriptseiten und wurde vom ersten Herausgeber sehr gelobt. Doch dann brachte der neue wissenschaftliche Herausgeber Florent Brayard einen unerwarteten, aber wichtigen Einwand vor. Normalerweise versucht man als Übersetzer einen Text so verständlich und flüssig wie möglich in die andere Sprache zu übertragen. Das hatte ich auch in diesem Fall getan. Doch Brayard war dagegen. Er wollte Hitlers Buch genauso im Französischen, wie Hitler es im Deutschen geschrieben hatte: voller syntaktischer Fehler, endloser Sätze, zwanghafter Wiederholungen. Nur so, sagte Brayard, könnte die Übersetzung den gleichen Eindruck vermitteln, den das Original beim Erscheinen 1925/26 auf den deutschen Leser hatte. Das leuchtete mir ein und ich habe noch einmal sechs Jahre gebraucht, um Hitlers miserables Deutsch in ein ebenso miserables Französisch zu bringen.
Was war für Sie das größte Problem bei der Arbeit?

Olivier Mannoni: “Hitler übersetzen. Über die Sprache des Faschismus und ihre unheilvolle Wirkmacht”. Übersetzung: Nicola Denis. HarperCollins, 19,99 Euro
Viele der Originalsätze Hitlers sind verworren, brüchig, inkohärent. Das ist eine riesige Herausforderung. Es ist ungeheuer schwer, unverständliche Sätze so genau wie möglich in einer anderen Sprache nachzubilden. Daneben gibt es in dem Buch auch klare Formulierungen, zumeist wenn es um das geht, was Hitler heftig ablehnt, die Juden zum Beispiel. Sie spielen die Rolle des Feindes, daran lässt er keinen Zweifel. Manchmal übernehmen diese Rolle auch die Franzosen oder die Intellektuellen. Hitlers Sprache ist wie ein Morast, mir fällt kein besseres Wort ein, ein Morast, in dem man keinen richtigen Halt findet. Die einzigen klaren Haltepunkte sind die Stellen, in denen er vom Hass auf seine Feinde spricht.
Der erste Teil von „Mein Kampf“ ist eine Art Autobiografie: Hitler beschreibt seinen Werdegang zum Politiker und mischt unter die Fakten lauter Unwahrheiten und Verfälschungen. Ist es nicht eine Geschichtsklitterung, das heute wieder zu veröffentlichen?
Ich habe den Auftrag zur Übersetzung nur übernommen, weil ich wusste, dass der übersetzte Text zusammen mit den Kommentaren hervorragender Historiker gedruckt wird, die jede Lüge Hitlers analysieren und die Leser mit den historischen Wahrheiten konfrontieren. Zusammen ist das ein sehr großformatiger Band geworden, fast vier Kilo schwer, der 100 Euro kostet und den Titel „Historiciser le mal“ trägt, also „Das Böse historisieren“. Der Name Adolf Hitler kommt also nicht einmal auf dem Umschlag des Buches vor.
Es gibt kaum jemanden, der die Sprache eines Buchs so genau durchleuchtet, wie ein Übersetzer, der sie in einer anderen Sprache nachbilden muss. Welche Eigenheiten haben sie an Hitlers Sprache festgestellt?
Sie ist schwülstig, konfus, mit einer wackeligen Grammatik. Er benutzt entsetzlich viele Adverbien, was immer ein Zeichen für schlechten Stil ist. Er hat eine Neigung zu abgedroschenen und klischeehaften Bildern und Begriffen. Hinzu kommt seine auffällige Vorliebe, Adjektive wie „unbarmherzig“, „rücksichtslos“ oder „fanatisch“, die gewöhnlich immer in einem negativen Zusammenhang benutzt werden, mit einer scheinbar positiven Wertung zu versehen. Er hielt es für eine gute Sache, die Juden „unbarmherzig auszurotten“ oder betrachtete einen „fanatischen Nationalsozialisten“ als einen guten Mann. Außerdem stopft er seine Sätze voll mit Füllworten, die für die Aussage gar keine Funktion haben und des Satz schwerfällig, wenn nicht unverständlich machen.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Ich muss Sie warnen, die Sätze Hitlers sind wie Bandwürmer. Endlos.
Ich gehe das Risiko ein.
Im Kapitel 9 des zweiten Teils unterscheidet Hitler zwischen den drei Klassen der besten, mittleren und schlechtesten Menschen einer Gesellschaft: „Der Krieg hat nun in seinem viereinhalbjährigen blutigen Geschehen das innere Gleichgewicht dieser drei Klassen insofern gestört, als man – bei Anerkennung aller Opfer der Mitte – dennoch feststellen muss, dass er zu einer fast vollständigen Ausblutung des Extrems des besten Menschtums führte.“ Hier bleibt der Zusammenhang zwischen dem ersten und zweiten Satzteil unklar: Logisch müsste auf die anfängliche Behauptung, der Krieg habe das innere Gleichgewicht gestört, eine Art Beweisführung folgen. Stattdessen setzt Hitler ein „dennoch“ ein, das sich auf den Einschub „…bei Anerkennung…“ bezieht und so die Argumentation völlig zerfasern lässt.
Der Satz ist dunkel, fast unverständlich. Nietzsche hat mal gesagt, manche Autoren „trüben ihre Gewässer, damit sie tief scheinen“.
Hitlers Prosa ist tatsächlich trüb. Den gleichen Grad von Trübheit im Französischen zu erzeugen, war eine Aufgabe zum Haareausraufen.
Es ist eine alte Idee, man könne am Sprachstil eines Menschen, seinen Charakter erkennen. Schopenhauer nannte den Stil die Physiognomie des Autors. Welche Rückschlüsse erlaubt Hitlers Sprachstil auf die Persönlichkeit Hitlers?
Die konfuse Sprache lässt zunächst einmal auf ein konfuses Denken schließen. Aber das ist nicht alles. Hitler war ein Hassprediger. Immer wieder entlädt sich in „Mein Kampf“ ein unglaublicher Hass. Er geht wie eine Lawine auf den Leser nieder. Für Hitler war die Welt strikt in Freund und Feind geteilt. Es gab für ihn nur getreue Anhänger oder Feinde, die er hasste: Juden, Sozialisten, Kommunisten, Homosexuelle, Zigeuner und Arbeitsscheue, wie man damals sagte.
Wie kann es sein, dass ein Mensch, der eine so unklare, schwer verständliche Sprache spricht, politisch so erfolgreich war?

Olivier Mannoni: “Traduire Hitler”. Éditions Héloïse Ormesson. 15 Euro
Zumindest in seinem Hass war Hitler immer glasklar. Da hat er keinen Zweifel aufkommen lassen. Mit diesem Denken in simplen Kategorien von Freund und Feind hatte er tatsächlich große politische Breitenwirkung. Aber die ersten Reaktionen auf „Mein Kampf“ nach dem Erscheinen Mitte der zwanziger Jahre waren katastrophal. Sogar die Nazi-Zeitungen stellten entsetzt die Frage, ob denn ein Mann, der keine vernünftigen zwei Sätze schreiben könne, fähig sei, die Partei zu leiten. Das Buch hat sich zunächst ganz schlecht verkauft.
Ihre Übersetzung von „Mein Kampf“ ist nicht die erste. Schon 1934 wurde das Buch erstmals in Französische übertragen.
Ja, das war eine geglättete Fassung, die Hitlers Sprache viel klarer und einleuchtender erscheinen ließ, als sie es tatsächlich war. Absurderweise wurde diese Ausgabe von Adolf Hitler selbst verboten und zwar aus kommerziellen Gründen – er erhielt aus dem Verkauf in Frankreich keine Tantiemen. Aber auch aus politischen Gründen wollte er nicht, dass das
Buch in Frankreich erscheint.
Sie haben ein Buch geschrieben über Ihre Erfahrungen bei der Arbeit an „Mein Kampf“. Es ist jetzt in Deutschland erschienen …
… übersetzt von einer großartigen Kollegin, von Nicola Denis…
… und darin beschreiben Sie erstaunliche Parallelen zwischen der Sprache Hitlers und der heutiger Rechtspopulisten.
Da ist zunächst einmal die Neigung zur autobiografischen Lüge. Jordan Bardella, der Vorsitzende der rechtsextremen Partei Frankreichs „Rassemblement National“, hat im vergangenen Jahr ein Buch veröffentlicht, in dem er behauptet, als Kind armer Eltern im Elend aufgewachsen zu sein. Journalisten haben jedoch recherchiert, dass ihm sein Vater bereits im Alter von 20 Jahren eine Wohnung und ein Auto schenkte und dass er als Student niemals für seinen Lebensunterhalt arbeiten musste.
Donald Trump, ebenfalls ein Rechtspopulist, hat niemals behauptet, im Elend gelebt zu haben.
Richtig. Aber in seinem Leben gibt es so viele Unwahrheiten und Lügen, dass die amerikanischen Zeitungen aufgehört haben, sie zu zählen. Viel wichtiger sind jedoch zwei andere Punkte. Auch Trumps Sprache ist eine Sprache des Hasses. Er will mit seinen politischen Gegnern nicht zu einem Kompromiss kommen. Er will sie unterwerfen, oder besser noch vernichten. Und auch er denkt in den einfachen Kategorien von Freundschaft und Feindschaft. Er hat nur zwei große Themen: Unser Land ist kaputt, wir müssen es wieder groß machen. Und: Ich bin der Erlöser, der diese Aufgabe bewältigen kann. Mit solchen einfachen Formeln kann man offenbar Wahlkämpfe gewinnen.
Sie schreiben, auch für die Verschwörungstheorie des „Großen Austauschs“, also die Vorstellung, die deutsche beziehungsweise französische Bevölkerung solle gegen Muslime ausgetauscht werden, gäbe es bereits ein Vorbild in „Mein Kampf“?
Nicht unter diesem Namen, aber der Idee nach sehr wohl. Im 11. Kapitel des ersten Teils erläutert Hitler seine Vorstellungen zu „Volk und Rasse“. Darin behauptet er, die Deutschen würden förmlich von den Juden an den Rand geschoben und aus dem eigenen Land verdrängt. Die Juden besäßen alle großen Unternehmen und die wichtigsten Zeitungen. Diesen Einfluss würden sie nutzen, um allein die Juden zu fördern und die Nicht-Juden zu benachteiligen. Das höchste Ziel der Juden sei es zudem, junge deutsche Frauen zu verführen und zu schwängern, um so die deutsche „Rasse“ zu schänden und gewissermaßen genetisch auszulöschen. Auch in seinem rassistischen Wahn drohte also ein Großer Austausch.
Allerdings werden in der Verschwörungstheorie von heute die Migranten an die Stelle der Juden gerückt.
Unterschätzen Sie den Antisemitismus der Rechtspopulisten nicht! In Deutschland mag das bei der AfD noch nicht so deutlich sichtbar sein. Aber beim französischen „Front National“ war der Judenhass ein stark spürbares Element. Der Gründer der Bewegung, Jean-Marie le Pen, hat den Mord an den Juden in den Gaskammern hartnäckig als ein Detail der Geschichte abgetan – und ist dafür mehrfach verurteilt worden.
In den deutschen Debatten spielt heute nicht die Klimakrise, nicht die Kriegslust Putins oder die die Zerstörung der Demokratie durch die Sozialen Medien die Hauptrolle, sondern die Migration.
Ja, der Flüchtling ist zum Ahasver gemacht geworden, zum „Ewigen Juden“, zum Sündenbock, der angeblich an allem die Schuld trägt. Auch hier ist zu spüren, wie dieses toxische Buch „Mein Kampf“ bis heute Einfluss auf das Denken rechtsextremer Menschen nimmt. Diese Wirkung hat nie aufgehört, sie war einige Jahrzehnte lang nicht so deutlich zu bemerken, aber jetzt ist sie wieder da und hochgefährlich.
Olivier Mannoni: „Hitler übersetzen“. Aus dem Französischen von Nicola Denis. Verlag HaperCollins. 19,99 Euro