Maxim Billers Quartalsschwachsinn

Keine Ichzeit

Als sich Maxim Biller einmal gründlich verhob und glaubte, die deutsche Literatur fest im Griff zu haben.

Gern würde ich Trotzkopf Maxim Biller ja irgendwie mögen. Ich gebe mir auch immer wieder Mühe. Aber er macht es einem nicht leicht. Vor allem, wenn er wieder mal einen seiner Anfälle von Quartalsschwachsinn hat.

Heute vermisst er in der FAS großräumig “die Epoche, in der wir schreiben” und tauft sie “Ichzeit”. Falls ich alles richtig verstanden habe, ist es in seinen Augen das Kennzeichen unserer Epoche, dass die großen Autoren in ihren Büchern ihre “ganze verletzende und verletzliche Person stolz ins grelle öffentliche Licht” rücken. Biller hält das für richtig, weil dies derzeit ohnehin jeder täte, denn die Selbstbesessenheit werde “heutzutage auch beim normalsten Facebook-Nutzer durch die Medienlupe bis ins Monströse vergrößert.”

Gut und schön, offenbar glaubt Biller, in der Affirmation läge das Glück der Literatur. Das sei ihm gegönnt – mindestens ebenso wie sein alter Fimmel, falsche Superlative (“normalst”) für lustig zu halten.

Aber zum einen sind die Kriterien, die er für seine These nennt, so weit und unscharf gefasst, dass sie die halbe Weltliteratur umfassen: “Fast jedes der bedeutenden deutschen Bücher der vergangenen Jahre kommt in der ersten Person Singular daher – oder zumindest ist der Protagonist dem Autor zum Verwechseln ähnlich.” Zum anderen sind die Bücher, die er als Belege für seine These aus den letzten 25 Jahren herbeizitiert, derart willkürlich ausgewählt, dass sie alles und nichts beweisen.

Um nur ein Beispiel zu nennen: Der wunderbare Roman Tschick von Wolfgang Herrndorf ist reine Erfindungs-Literatur, ist eben nicht authentisch, sondern eine perfekte Fiktion, aus der sich der Autor persönlich heraushält. Herrndorf erschafft diese Fiktion, er selbst kommt nicht darin vor – nur seine Haltung zur Welt tritt in Erscheinung.

Wenn Billers Ansicht nach Tschick ein Beispiel für die Literatur der “Ichzeit” sein soll, daneben aber auch Helene Hegemanns Roadkill, dann kann einfach alles und jedes Literatur der Ichzeit sein. Ansonsten zieht er noch ein bisschen über die Literatur der Gruppe 47 und die 68igern her, doch es gibt derzeit wohl kaum etwas, das noch abgeschmackter, abgegriffener und altbackener ist als das Gruppe-47-und-68iger-Bashing. Was Biller jenseits von Honorar und Eitelkeit dazu treibt, derart dünne Laubsägearbeiten von sich zu geben, ist mir ein Rätsel. Das Ganze liest sich noch nicht einmal schwungvoll oder provokativ. Sondern langatmig und – eben – selbstbesessen. Ein Alterswerk.

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3 Antworten auf Maxim Billers Quartalsschwachsinn

  1. Pingback: Das Literarische Quartett - Die Bücher der 5.Sendung vom 29.April 2016

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    Grrrr… well I’m not writing all that over again. Anyhow,
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  3. Novalis sagt:

    Wie ich sehe, bin ich nicht der einzige, der sich diesen Schwachsinn tatsächlich durchgelesen hat …

    Wie kann man nur eine große Feuilletonseite, auf der wichtiges zur Gegenwartsdiagnostik hätte stehen können, für so etwas verschwenden?

    Eine minimale Geste der Wiedergutmachung könnte darin bestehen, am nächsten Sonntag an selber Stelle als Antwort auf Biller einfach noch einmal Barthes’ Tod des Autors abzudrucken – viel länger ist dieser Text auch nicht und dabei weit angenehmer zu lesen ..

    Meint Biller das alles wirklich ernst? Wie kann er so etwas gegenüber seinem eigenen intellektuellen Anspruch behaupten?

    (Dieses ständige Reden vom Un- und Antiideologischen der Gegenwartsliteraten ist in seiner Dummheit kaum erträglich und dabei doch zugleich entlarvend.)

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