Ich kann dieses Leben leben. Ich kann, ich kann
Schon wieder hat einer meiner englischen Lieblingsschriftsteller Geburtstag: Nick Hornby. Diesmal ist das 55 Wiegenfest zu feiern. Hornby ist sehr klug und sehr komisch. Und kein Avantgardist. Manchen Kritikern genügt das, um ihn als Unterhaltungsautor abzutun. Ich halte das für falsch und Hornby für einen großartigen Erzähler, einen manchmal etwas aufdringlichen Moralisten und einen pragmatischen Alltagsphilosophen
Nick Hornby ist ein fabelhafter Beobachter der Gegenwart. All den Neuen Archivisten des deutschen Pop-Romans zum Trotz sehe ich hierzulande neben Max Goldt keinen Schriftsteller, der einen auch nur annähernd so genauen Blick hätte für die Moden und Marotten, die Belustigungen und Belästigungen unseres derzeitigen westlichen Alltags. Doch anders als Goldt zimmert Hornby aus diesem Zeitgeistmaterial eben keine Kolumnen, sondern erfindungsreiche, ein wenig schräg dahinschlingernd Geschichten über ein englisches Großstadtmilieu, das mit materiellen Gütern nicht überreich gesegnet ist.
Im Kern sind die Geschichten, die Hornby erzählt, nicht neu. Im Gegenteil, es sind die uralten, immer gleichen Geschichten über Kindheit und Liebe und Tod, also über Vergänglichkeit und die Erinnerung an das Verlorene. Doch zum Geheimnis eines guten Erzählers gehört die Fähigkeit, solchen alten Geschichten ein neues, zeitgemäßes Gesicht zu geben, will sagen: den Figuren die jeweils aktuellen Kostüme auf den Leib zu schneidern und die Schauplätze mit den Kulissen der Gegenwart auszustatten. Das ist weitaus mehr als nur eine Frage der Dekoration. Denn wenn einem Autor das gelingt, fängt er etwas ein vom Geist seiner Zeit, der in diesen Oberflächen steckt. Er macht sichtbar, was uns so dicht vor Augen steht, dass wir es kaum erkennen können.
Doch Hornby ist nicht nur ein Erzähler, er ist zugleich auch so etwas wie ein postmoderner Moralist. In seinen besten Romanen, in About a Boy (1998) und A Long Way Down (2005), vor allem aber in How to be Good (2001) bringt er die Biographien seiner Figuren angesichts eines Lebens ohne religiöse Gewissheiten und ohne unumstrittene weltanschauliche Orientierung gründlich ins Trudeln. So unterhaltsam und witzig seine Geschichten üblicherweise auch sind, so ungeniert und direkt geht es in ihnen immer wieder um Depression, Selbstmord und Sinnsuche. Doch nur in How to be Good hatte Hornby bislang den Mut, seine Helden an ihren Problemen scheitern zu lassen. In den übrigen geht mal mehr, mal weniger deutlich der Therapeut und Lebenshelfer mit ihm durch. Er macht dann aus seinen Figuren exemplarische Fälle, anhand derer er seinen Lesern vorführt, wie sie ohne allen esoterischen Schabernack in einer kühl aufgeklärten Welt ein wenig soziale Geborgenheit und Lebenssinn für den Eigenbedarf sichern können. Was vermutlich zum enormen Erfolg seiner Romane beigetragen hat.
Kommunikation ist das Zauberwort
A Long Way Down zum Beispiel kann man als eine Art literarische Versuchsanordnung des Moralisten Hornby lesen: Vier Verzweifelte haben jeden üblichen Halt verloren, sie treffen sich zufällig auf den Dach eines Hochhauses, um mit einem letzten Sprung ihrem Leben ein Ende zu machen. Welchen Grund könnte es für sie geben, hier und heute, also in einer westlichen Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts dennoch am Leben festzuhalten? Was könnte geeignet sein, gründlich aufgeklärte, aber gefährdete Menschen vom Selbstmord zurückzuhalten? Hornbys Antwort ist strikt diesseitig, von einem religiösen Sinn des Daseins ist bei ihm nicht einmal in Andeutungen die Rede. Selbst seine Romanheldin Maureen, die sich gelegentlich auf Gott beruft, macht letztlich eine ziemlich nüchterne Kosten-Nutzen-Rechnung auf, wenn sie sich fragt, was sie noch vor Leben zu erwarten hat.
Kommunikation lautet Hornbys Zauberwort. Solange seine Figuren allein sind oder sich durch Schweigen isolieren, erscheint ihnen ihre Lage hoffnungslos. Doch sobald sie Anteil nehmen an anderen und anderen erlauben, Anteil an ihnen zu nehmen, knüpft sich ein feines, kaum wahrnehmbares Netz von Verbindungen, das sie behutsam ans Leben bindet – und dies selbst dann, wenn dieses Beziehungsnetz, wie bei Hornbys Helden, nicht nur freundschaftlicher, sondern durchaus konfliktträchtiger Natur ist. Zugegeben, überaus originell ist das nicht, aber doch ein pragmatisches und zeittypisches Stückchen Alltagsphilosophie.
Umso bemerkenswerter ist, wie sorgfältig und liebevoll Hornby in seinen Romanen fade männliche Obsessionen porträtiert. Auf diesem Gebiet ist er ein Virtuose. Den manischen Fußball-Fan porträtierte er in Fever Pitch (1992), den Pop-Besessenen in High Fidelity (1995), einen unbeirrbar dem Traum von Star-Ruhm nachhetzenden Musiker namens JJ in A Long Way Down, und in Juliet, Naked (2009) mit seinem Helden Duncan einen vom blinden Glauben an einen Künstler beherrschten Kritiker. Sie alle eint eine beunruhigende Neigung zur Realitätsflucht, zur sozialen Selbstverstümmelung und damit zur leichtfertigen Zerstörung jenes Beziehungsnetzes, dass sie enger und schützender ans Leben binden könnte. Sie sind allesamt Nerds, die sich in selbstgeschaffene Parallelwelten zurückgezogen haben.
Zu den großen Stärken Hornbys gehört seine Fähigkeit, Gespräche förmlich zu inszenieren. Er schreibt nicht einfach Dialoge, er lässt sie zugleich von seinen Helden kommentieren, mal sarkastisch, mal melancholisch, immer aber gescheit und empfindsam. So erreicht er dreierlei: er treibt die Handlung voran, er verschafft sich Gelegenheit, die Charaktere seiner Figuren genauer herauszuarbeiten, und er führt vor, wie inständig, ja wie verzweifelt sich seine Helden darum bemühen, ihre Lebenssituation zu reflektieren. Sie sind nicht dumm, sie denken intensiv über sich nach um Auswege aus ihren Notlagen zu finden und ihr Lebensglück zu retten. Aber das ist nicht leicht in einer Welt, die keinen Heilsplan mehr kennt.
Ein Blick ins leere Dunkel
Wie Juliet, Naked handelt auch Hornbys in meinen Augen bester Roman How to be good vom Zerfall einer Ehe, genauer: von einer Frau, die sich von ihrem Mann trennt. Es sind zwei oft sehr komische und doch beklemmend hoffnungslose Bücher. Ihr Thema gehört zweifellos zu den ältesten Stoffen der Weltliteratur. Doch sowohl die Sprache wie auch die Ausstattung seiner Geschichte, ihre Kostüme und Kulissen, sind von so bedingungsloser Aktualität, dass man sich unter den Figuren bewegt wie unter vertrauten Freunden und man – selbst falls man glaubt, sich der eigenen Liebe sicher sein zu können – bald merkt: Tua res agitur, hier wird deine Sache verhandelt.
Katie und David, die beiden Helden aus How to de Good, machen sich trotz ihrer Ehe-Dauerkrise immer wieder Gedanken darüber, ob sie denn moralisch richtig handeln, ob sie denn mit ihrem Leben – ernsthaft! – zur Verbesserung der Welt beitragen. Katie bemüht sich als Ärztin mit noch mehr Einsatz als zuvor um das Wohlergehen ihrer Patienten, und David, ein glückloser Schriftsteller, versucht, Obdachlosen ein Dach über dem Kopf zu verschaffen. Fast so als glaubten die zwei, durch vorbildliches Verhalten vom Schicksal das Anrecht auf eine Portion Glück einhandeln zu können. Doch dem Grund, weshalb sie sich nicht mehr verstehen, weshalb ihre Ehe zerfließt wie eine Sandburg bei Regen, kommen sie bei allem guten Willen nicht auf die Spur.
Schließlich beschließen die beiden trotz der Verletzungen, die sie sich bereits zugefügt haben und trotz der bleiernen Depression, die auf ihnen lastet, zusammen zu bleiben, weil ihre Kinder, Tom und Molly, die Geborgenheit einer Familie brauchen. Doch mit diesem Entschluss ist das Rätsel um ihr so wohlsituiertes Unglück nicht geklärt, sondern nur fürs Erste beiseite geschoben. Katie erkennt das genau: Als David sich am Ende des Romans während eines nächtlichen Wolkenbruchs aus dem Fenster lehnen muss, um die Dachrinne zu säubern, zieht sie Resümee: „David trägt Jeans, und Tom und ich greifen jeweils in eine seiner Gesäßtaschen, um ihn festzuhalten, während Molly nutzlos aber niedlich versucht, uns zu stützen. Meine Familie, denke ich, nur das. Und dann: Ich schaffe das. Ich kann dieses Leben leben. Ich kann, ich kann. Es ist ein Funken, den ich hegen und pflegen will, das stotternde Lebenszeichen einer leeren Batterie; aber genau im falschen Moment fällt mein Blick auf den Nachthimmel hinter Dave, und ich kann sehen, dass dort draußen alles leer ist.”
Ja, okay, ich weiß, literarische Avantgarde ist das nicht. Manche Kritiker schätzen Hornbys Romane nicht, weil die literarischen Mittel, die er einsetzt, recht geläufig sind. Aber das spricht in meinen Augen nicht gegen Hornby. Dieser Autor versteht mit seinen Mitteln umzugehen, verdammt effektvoll umzugehen. Seine Romane sind komisch und sehr, sehr ernst zugleich. Sie sind großartig, weil sie mit literarischen Mitteln ein präzises Bild unserer Zeit malen und weil sie einen dazu bringen, mal wieder den Blick ins Dunkel zu richten und sich einzugestehen, dass dort draußen alles leer ist.