Rainald Goetz: Johann Holtrop

Von Ratten und Deppen

Hat Rainald Goetz seit 29 Jahren keinen Roman mehr veröffentlicht (also seit Irre von 1983)? Oder erst seit 24 Jahren (also seit Kontrolliert von 1988)? Darüber gehen die Meinungen auseinander. Einig war man sich dagegen in den großen Erwartungen, als Goetz sein neues umfangreiches Prosawerk Johann Holtrop ankündigte. Bescheiden trat das Buch jedenfalls nicht auf, heißt es doch im Untertitel “Abriss der Gesellschaft”, fast so als wolle es nicht nur eine komplette Blaupause der Gesellschaft liefern, sondern ihr in gleichem Atemzug auch noch mittels Abrissbirne den Garaus machen. Um die Neugier der Leser zusätzlich zu reizen, wurde rechtzeitig gestreut, welche auffälligen Ähnlichkeiten der Lebensweg von Titelheld Johann Holtrop zeigt mit dem des Ex-Bertelsmann-, Ex-Acandor-Managers Thomas Middelhoff. Ist Goetz’ Buch also ein Schlüsselroman?

Natürlich ist das lustig. Natürlich stellt der Leser sich gern vor, alles sei so passiert. In seinem Roman Johann Holtrop bestätigt Rainald Goetz die üblichen Vorurteile über Industrielle, Spitzenmanager oder Finanzmagnaten gleich dutzendweise. Er erzählt die Geschichte seines Titelhelden so, dass sie in groben Zügen die Karriere Thomas Middelhoffs erkennen lässt. Jenes Middelhoffs, der als CEO den Umsatz der Bertelsmann AG verdoppelte, bevor er als Vorstandsvorsitzender KarstadtQuelle übernahm und sie unter dem klangvollen Namen Arcandor AG in den Abgrund zog.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 342 Seiten, 19,95 Euro

Große Sympathien hat der selbstverliebt auftretende Middelhoff wohl nie genossen. Seit er wegen seiner Verstrickung in dubiose Finanzgeschäfte mit der Oppenheim-Esch-Gruppe zu einem Fall für die Staatsanwälte wurde, scheinen abträgliche Informationen über ihn öffentlich auf spürbare Genugtuung zu stoßen. Mit anderen Worten: Autor Goetz hat es sich nicht gerade schwer gemacht, wenn er in seinem Holtrop die urböse Fratze des Kapitalismus zu porträtieren versucht.

Ist das Buch ein Schlüsselroman? Wohl eher ein Schlüsselpamphlet. Gleich der Anfang bespiegelt die angebliche Lieblingsbeschäftigung fieser Bosse: Holtrop alias Middelhoff feuert 100 zähe Seiten lang als Chef von Assperg alias Bertelsmann einen altgedienten Mitarbeiter. Später dann treten der ergraute Firmenpatriarch Assperg („gestört“) samt Ehefrau Kate („böse und freiwillig dumm“) auf. Sie residieren im Provinznest Schönhausen, in dem, wer will, den Bertelsmann-Sitz Gütersloh sehen kann.

Weiter: Zwar heißt der fiktive Vorstand der Deutschen Bank Hombach, er erinnert aber an den realen Josef Ackermann. Ein halb blinder Medienzar namens Binz erlebt den Zusammenbruch seines Hauses, so wie es ähnlich dem halb blinden Leo Kirch geschah. Auf den letzten 20 Seiten haspelt Goetz dann noch lieblos ab, wie Holtrop das Firmenimperium einer gewissen Gabriele Heintzen ruiniert, deren Schicksal dem der Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz gleicht.

Hinzu kommen fade Scherze: Hitler beispielsweise lässt Goetz „im Führerbunkerzimmer BERND EICHINGER mit seiner Munitionspistole vor seinen Generälen“ herumfuchteln. Ist es nicht reichlich albern, das Zimmer nach einem Produzenten zu benennen, der 60 Jahre nach Hitler einen Film über dessen Tod drehte? Und was ist eine Munitionspistole?

Psychologisch hat Goetz den Roman überaus simpel gestrickt. Alle auftretenden Spitzenkräfte betrachten sich als unübertreffliche Alphamännchen, die mit ihrem Ego spielend das Olympiastadion füllen könnten. Jeder Konkurrent ist in ihren Augen folglich rettungslos unterlegen und also wahlweise ein „Depp“, ein „absoluter Superdepp“, ein „Trottel“ oder auch mal eine „Ratte“.

Selbst seinem Helden Holtrop kann Goetz wenig abgewinnen. Er beschreibt ihn als „Blender“, der im Grunde von Tuten und Blasen keine Ahnung hat. Sobald konkrete Kenntnisse verlangt sind, zeigen sich sofort dessen offensichtliche „Inkompetenz, Hysterie, Fahrigkeit und sein in nichts fundierter Hochmut“.

Kurz: Goetz hat keine Geschichte über Menschen geschrieben, sondern eine über Schießbudenfiguren. Natürlich mag es mitunter lustig sein, wie er verbal auf sie einballert: ein Jahrmarktvergnügen. Aber kein Roman.

Rainald Goetz:
Johann Holtrop
Abriss der Gesellschaft
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012
342 Seiten, 19.95 Euro
ISBN: 9783518422816

 

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3 Antworten auf Rainald Goetz: Johann Holtrop

  1. Andreas Wolf sagt:

    Ich freu mich schon aufs Lesen, der Holtrop liegt bereits da, und bin insbesondere sehr froh, schon vorab erfahren zu haben, dass Goetz auch diesmal wieder genau keinen Roman geschrieben hat.

    • Uwe Wittstock sagt:

      Okay, dann bitte.
      Aber wenn er kein Roman sein soll, weshalb lesen Sie dann kein gut recherchiertes Sachbuch? Da kann man sich dann auf die Informationen verlassen. In “Johann Holtrop” kann man sich auf nichts verlassen: Einiges ist falsch aus Ahnungslosigkeit des Autors , anderes Fiktion und Dichterische Freiheit. Nein, das Gänze ist ein sehr langes Pamphlet. Wer so was mag, wird damit glücklich werden. Aber dass man dabei etwas lernt über das dargestellte Milieu, sollte man nicht erwarten.

      • Saskia von Swiontek sagt:

        Zum einem gebe ich Recht, dass sich die Geschichte unendlich viele Seiten quält und sich zäh dahin bewegt. Auch der Freitod des Krülpa Subunternehmenschef Thewe, war eher vorhersehbar, als überraschend, dennoch folgerichtig und konsequent dargestellt.
        Auf der anderen Seite benötigt Goetz die vielen Seiten als Vorlauf, um sein Figurenkonzept zu entwickeln. Die Figuren entwickeln per se keine Tiefe, benötigen sie aber auch nicht
        um ein mögliches Konzept der Nullerjahre darzustellen.

        Goetz arbeitet hier nach dem einfachen, aber gut erzählten Prinzip der Fallhöhe. Holtrops erster Aufstieg und eben auch sein comeback sind schnell und rasant dargestellt, zwar fehlt
        auch hier die erzählerische Substanz, kann aber auch als Ausdruck der machtpolitischen und wirtschaftlichen Substanzlosigkeit der Nullerjahre verstanden werden.
        Die Leistung Rainald Goetz ist allerdings nicht von der Hand zu weisen, in “Johann Holtrop” wird eben ein Abriss erzählt. Eine erste Schau auf unsere Gegenwart.
        d

        auch hier die.Substanz, aber auch das scheint eher ein Phänomen der wirtschaftlichen und machtpolitischen Ränkelein der Nul
        erjahre zu sein.

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