Krieg und Literatur

Kollektive Verdrängung?

Die deutschen Schriftsteller begegnen dem modernen High-Tech-Militär nahezu unisono mit Schweigen. Dabei ist der Krieg eines der ältesten Themen der Literaturgeschichte. Fällt den Autoren hier und heute zu Soldaten nichts mehr ein? Ein Zwischenruf.

Homer

Die Kriege unserer Zeit finden in der deutschen Literatur nicht statt. Das ist verständlich und verwunderlich zugleich. Verwunderlich, weil Krieg immer eines der wichtigsten Themen der Literatur war. Von Homers Ilias bis Cäsars Bellum Gallicum, von Shakespeares Königsdramen bis Grimmelshauses Simplicissimus, von Schillers Wallenstein bis Kleists Prinz von Homburg, von Remarques Im Westen nichts Neues bis Ernst Jüngers In Stahlgewittern gehörte Krieg zu den Stoffen, aus dem große Schriftsteller große Bücher machten.

Kleist

Auch in der deutschen Literatur nach 1945 spielte der Rückblick auf den Zweiten Weltkrieg zunächst eine zentrale Rolle. Heinrich Böll, Heiner Müller, Günter Grass, Theodor Plievier, Siegfried Lenz und viele andere hielten die Erinnerung an das Grauen und Töten auf dem Papier fest. Sie brachten damit zur Sprache, was die Gesellschaft jener Jahre geformt hatte und zu ihren stärksten Antriebskräften gehörte. Doch seither ist der Krieg, sind zumal die zeitgenössischen Kriege nahezu ganz aus der deutschen Literatur verschwunden.

Verständlich war das vor allem deshalb, weil der Krieg hierzulande lange nur als fernes Gespenst wahrgenommen wurde. Er schien jede Realität jenseits der Nachrichtenkanäle eingebüßt zu haben. Doch das ist seit zwanzig Jahren vorbei. Die Einsätze der Bundeswehr out of area lassen sich inzwischen an den Fingern beider Hände nicht mehr abzählen. Deutsche Soldaten sind vor den Küsten Libanons und Somalias, in Dafur oder am Hindukusch stationiert, überwachen, kämpfen, werden verwundet oder sterben im Auftrag ihres Landes. Das Engagement in Afghanistan wurde vom damaligen Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg entschlossen „Krieg“ genannt – und fast alle stimmten ihm zu, so dass dies eine Wort heute wie das größte Verdienst seiner Amtszeit wirkt.

Der deutschen Literatur ist zu all dem wenig eingefallen. Sie begegnet den spezifischen Schrecken des Hightech-Kriegs mit Schweigen. Ingo Niemann und Alexander Wallasch haben 2010 in ihrem gemeinsam geschriebenen Roman Deutscher Sohn einen Soldaten zur Hauptfigur gemacht, der verwundet aus Afghanistan ausgeflogen wurde. Doch statt von seinem Kriegsschicksal zu erzählen, nehmen sie die Figur zum Vorwand, allerlei pornographischen Phantasien nachzuhängen. Der Journalist und Erzähler Dirk Kurbjuweit hat 2011 in dem Roman Kriegsbraut eine deutsche Soldatin beschrieben, die nach Afghanistan kommandiert wird und nicht nur die Langeweile des Lageralltags, sondern auch Feuergefechte zu bestehen hat. Viel mehr gibt es bislang zu dem uralten, brandneuen Thema nicht.

Es versteht sich von selbst, dass Literatur über den Krieg mit Kriegs-Verherrlichung nichts zu tun haben muss. Spätestens seit Anbruch der Moderne sind die hymnischen Tön aus den Schlachtenbeschreibungen fast vollständig verschwunden. Auch heute erwartet niemand, dass Schriftsteller versuchen ihren Lesern einzureden, es sei süß fürs Vaterland zu sterben.

Im Gegenteil: Viele Bürger der westlichen Hemisphäre sehen im Ausbruch eines Kriegs inzwischen nichts anderes als einen Beweis für die Unfähigkeit der Politik. Sobald die Waffen sprechen, haben in ihren Augen die Diplomaten nachweislich versagt. Wie immer man zu solchen Argumenten steht – sie lassen den Krieg aus literarischer Sicht nicht uninteressanter werden. Denn was sind das für Menschen, die sich dennoch als Soldaten in den Kampf kommandieren lassen? Opfer, die für wenig Geld Kopf und Kragen riskieren müssen? Abenteurer, die auf Grenzerfahrungen aus sind? Letzte Idealisten, die sich für ihr Land einsetzen, auch wenn die meisten Landsleute es ihnen nicht danken?

Davon könnte Literatur heute erzählen. Kein Schriftsteller muss das tun, jeder hat  ganz persönlichen Themen, die ihn inspirieren. Doch wenn eine ganze Autorengeneration über Jahrzehnte hinweg einen uralten literarischen Stoff ausblendet, dann riecht das nach kollektiver Verdrängung. Oder steckt dahinter die Furcht, sich allein durch die Berührung mit dem Thema Krieg ins Abseits zu manövrieren, weil sie gegen einen pazifistischen Grundkonsens des Literaturbetriebs verstößt?

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4 Antworten auf Krieg und Literatur

  1. gregor Leip sagt:

    Uwe wittstock,wer “Deutscher Sohn” so versteht,ist mit Verlaub dämlich!

    • Uwe Wittstock sagt:

      Sehr geehrter Gregor Leip, ich finde Ihre Argumentation (“mit Verlaub dämlich”) nicht sehr differenziert. Könnten Sie etwas genauer ausführen, was an meinem Verständnis des Romans in Ihren Augen unzureichend ist? Ihr Kommentar bleibt sonst, mit Verlaub, auf dem Niveau einer bloßen Unmutsäußerung ohne jeden argumentativen Anspruch. Mit bestem Gruß Uwe Wittstock

  2. Klemperer sagt:

    Wie kommen Sie darauf, lieber Herr Wittstock, es gäbe einen “pazifistischen Grundkonsens” in der deutschen Literatur? Dann müßte man doch häufiger etwas gegen die gar nicht wenigen Kriege etwa der letzten 15 Jahre gehört haben? Wäre mir nicht aufgefallen. Ab und zu hörte ich ein paar Befürworter von Kriegen, etwa 2003, als die “Anti”deutschen grade in Mode waren und ein paar Befürworter und Befürworterinnen in der Literatur hatten.
    Vielleicht irre ich mich, aber mir scheint, statt von pazifistischem Grundkonsens kann man eher von einer gewissen Gleichgültigkeit der gesamten Gesellschaft, auch der Literatur, die in den letzten Jahren kaum sehr kritisch zur Gesellschaft ist, feststellen. Ein Grund unter sicher vielen mag auch sein, daß wir oder unsere Vorfahren etwa während des Vietnamkrieges Bilder des Grauens, der Verstümmelungen, der Morde gesehen haben.

    Die Kriege, die wir heute führen, sind nicht weniger grausam. Aber niemand interessiert sich dafür, es gibt keine Bilder, es geschieht lautlos für uns… Daß der Irak-Krieg eine Lüge war, daß heute noch viele Menschen dort sterben, daß nichts erreicht wurde, aber unendliches Leid angerichtet, wird darüber berichtet? Gibt jemand zu, daß dieser Krieg ein Verbrechen, und dazu ein Fiasko ist?

    Interessieren sich Literaten selten einmal für Konfliktländer, sind es oft eher wie”embedded journalists” arbeitende Ideologen, wie der furchtbare Jonathan Littell, der eine völlig einseitige Haltung einnahm, als er sich von “Rebellen” genannten Leuten, die nach allem, was wir wissen, ebenso blutrünstig sind wie der Diktator Assad, in Syrien rumfahren ließ… Eine Peinlichkeit, was herauskam – er sprach vom raschen Ende des Bürgerkrieges, über dessen Hintergründe (warum es mehr als 70 000 Emordete auf allen Seiten gibt, etwa) wir nie richtig informiert wurden – wir wissen fast nichts… Nur daß kein rasches Ende kam, sondern großes Leid.
    Wenn es solche Geschichten wären, man weiß immer schon, “wir” sind die 100% Guten, und “die” die 100% Bösen, freue ich mich, daß es nicht mehr solche Berichte oder Romane gibt.
    Die Indifferenz, die Gleichgültigkeit scheint keine pazifistische zu sein – eher eine des “geht mich nichts an” oder wie in Endloswiederholung ein leeres, postmodernes Gerede, wie man es tausendmal seit 1990 hörte – “das Private ist das Politische” “ich erfinde mich immer neu”… Pazifismus? Das würden die allermeisten fürchten, dann wäre man ja in Gefahr, wie abertausende “Gutmensch” geschimpft zu werden…

    • Uwe Wittstock sagt:

      Liebe/r Klemperer,

      ich habe den Eindruck, unsere Positionen sind in dieser Frage nicht weit auseinander. Wenn Sie schreiben,
      “Die Indifferenz, die Gleichgültigkeit scheint keine pazifistische zu sein – eher eine des “geht mich nichts an””
      dann scheint mir das im Grunde nur eine etwas andere Formulierung für das zu sein, was ich mit dem Titel zu meinem kleinen Zwischenruf “Kollektive Verdrängung” meine.

      Im Schlussabsatz wiederhole ich diese Hypothese noch einmal: “Doch wenn eine ganze Autorengeneration über Jahrzehnte hinweg einen uralten literarischen Stoff (den Krieg) ausblendet, dann riecht das nach kollektiver Verdrängung. Oder steckt dahinter die Furcht, sich allein durch die Berührung mit dem Thema Krieg ins Abseits zu manövrieren, weil sie gegen einen pazifistischen Grundkonsens des Literaturbetriebs verstößt?”

      Natürlich gibt es einen gewissen Unterschied zwischen “Geht mich nichts an” und “Kollektiver Verdrängung”. Das eine tendiert mehr in Richtung bewusster Gleichgültigkeit, das andere mehr in Richtung eines unbewussten Nicht-wahrhaben-Wollen. Ich halte, offen gestanden, bei einem solchen großräumigen, kollektiven Prozess, von dem hier die Rede ist, beides gleichzeitig für möglich.

      In einem Punkt muss ich Ihnen widersprechen, weil Sie mich falsch zitieren: Sie schreiben im ersten Satz Ihres Kommentars: “Wie kommen Sie darauf, lieber Herr Wittstock, es gäbe einen “pazifistischen Grundkonsens” in der deutschen Literatur?” Das habe ich nicht geschrieben. Meine Überlegung im Schlusssatz lautet, es könne vielleicht “einen pazifistischen Grundkonsens des Literaturbetriebs” geben, der Schriftsteller davon abhält, sich dem Thema Krieg zu nähern.

      Ich halte das für einen wichtigen Unterschied. Eine “pazifistische Literatur” ist ja eine, die zum Krieg unbedingt Stellung nimmt – und zwar konsequent ablehnend. Wogegen ein pazifistischer Grundkonsens im Literaturbetrieb, wenn er denn existiert, dazu beitragen würde, das Thema Krieg schlicht aus der Literatur auszublenden, weil die Beschäftigung mit diesem Thema so viele schmerzliche und schwer lösbare politische Probleme aufwirft.

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